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Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO

Regeste:

Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO – Ein prozessleitender Entscheid gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO ist nur mit Beschwerde anfechtbar, wenn der nicht leicht wiedergutzumachende Nachteil rechtlicher Natur ist.

Aus den Erwägungen:

1. Für den beim Kantonsgericht anhängigen Haftpflichtprozess, der vor dem Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) am 1. Januar 2011 eingeleitet worden war, ist die Zivilprozessordnung für den Kanton Zug (ZPO ZG) anwendbar (Art. 404 Abs. 1 ZPO). Dagegen ist das vorliegende Beschwerdeverfahren nach den Regeln der Schweizerischen Zivilprozessordnung abzuwickeln (Art. 405 Abs. 1 ZPO, Urteil Bundesgericht 5A_9/2012 vom 30. April 2012).

2. Mit Beschwerde anfechtbar sind nach Art. 319 ZPO nicht berufungsfähige erstinstanzliche Endentscheide, Zwischenentscheide und Entscheide über vorsorgliche Massnahmen (lit. a), andere erstinstanzliche Entscheide und prozessleitende Verfügungen in den vom Gesetz bestimmten Fällen (lit. b Ziff. 1) oder wenn durch sie ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht (lit b Ziff. 2) sowie Fälle von Rechtsverzögerung (lit. c).

3.1 Die Verfügung vom 4. April 2013, mit welcher die Anträge der Beschwerdeführerin auf Einholung von Obergutachten bzw. der Unterbreitung von Ergänzungsfragen abgewiesen wurden und zur Hauptverhandlung vorgeladen wurde, stellt eine prozessleitende Verfügung dar. Dabei handelt es sich indes nicht um einen Entscheid, der nach den ausdrücklichen Bestimmungen der Schweizerischen Zivilprozessordnung mit Beschwerde anfechtbar ist (Art. 319 lit. b Ziff. 1 ZPO; vgl. Sterchi, in: Hausheer/Walter [Hrsg.], Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. II, Bern 2012, Art. 319 ZPO N 7 ff.; Freiburghaus/Afheldt, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/ Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2013, Art. 319 ZPO N 12). Gegen die Verfügung vom 4. April 2013 kann damit nach Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO nur Beschwerde erhoben werden, wenn durch sie ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht.

3.2 In der Lehre ist umstritten, ob der nicht leicht wiedergutzumachende Nachteil rechtlicher Natur sein muss oder ob es ausreicht, wenn der drohende Nachteil tatsächlicher Natur ist (drohender Nachteil muss rechtlicher Natur sein: Sterchi, a.a.O., Art. 319 ZPO N 12; Spühler, in: Spühler/Tenchio/Infanger, Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Basel 2010, Art. 319 ZPO N 7; drohender Nachteil tatsächlicher Natur ist ausreichend: Freiburghaus/Afheldt, a.a.O., Art. 319 ZPO N 15; Staehelin/Staehelin/Grolimund, Zivilprozessrecht, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2013, § 26 N 31a; Blickenstorfer, in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, Zürich/St. Gallen 2011, Art. 319 N. 39; Reich, in: Baker & McKenzie [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, Bern 2010, Art. 319 ZPO N 9). Das Bundesgericht hat sich zu dieser Frage, soweit ersichtlich, noch nicht geäussert. Vielmehr hat es einzig festgehalten, dass die Beschwerde gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO immer dann gegeben ist, wenn die Anfechtung ans Bundesgericht nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG möglich ist, d.h. die Anfechtung eines Vor- oder Zwischenentscheids, der einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur bewirken könnte (BGE 137 III 380 ff.).

3.3 Der Auffassung, wonach ein prozessleitender Entscheid gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO nur angefochten werden kann, wenn der nicht leicht wiedergutzumachende Nachteil rechtlicher Natur ist, ist der Vorzug zu geben. Vorausgesetzt ist demnach, dass sich der Nachteil auch mit einem späteren günstigen Entscheid nicht oder nicht gänzlich beseitigen lässt (vgl. BGE 137 III 380 ff. E. 1.2.1). Das Bundesgericht verfügt damit über die gleiche Kognition wie die Beschwerdeinstanz. So wird sichergestellt, dass ein Entscheid der Beschwerdeinstanz in aller Regel beim Bundesgericht anfechtbar ist, was der Rechtssicherheit dient. Entscheidend kommt sodann hinzu, dass mit dieser restriktiven Haltung das erstinstanzliche Verfahren nicht unnötig verzögert werden kann und sich die Beschwerdeinstanz nicht mit Verfahrensfragen zu befassen hat, die ohnehin auf anderem Weg korrigiert werden können. Schliesslich wird vermieden, dass die Beschwerdeinstanz über Sachverhalte entscheidet, deren Beurteilung eigentlich dem erkennenden Richter vorbehalten ist.

3.4 Dies trifft genau für den vorliegenden Fall zu, in welchem der Referent der 2. Abteilung des Kantonsgerichts die Anträge der Beschwerdeführerin auf die Einholung von Oberexpertisen, eventualiter Ergänzung der Gutachten vom 7. Januar 2013 abgewiesen hat. Die Beschwerdeführerin kann nach diesem Entscheid ihre Beweisantäge an der auf die Vorfragen gemäss Verfügung vom 4. Mai 2012 beschränkten Hauptverhandlung wiederholen. Alsdann hat das Kollegialgericht darüber zu befinden (vgl. § 94 Abs. 3, § 97 und § 100 ZPO ZG). Demgemäss besteht kein Anlass, dass sich die Beschwerdeabteilung mit dieser Frage befasst. Sie würde damit ohne Not in den vorinstanzlichen Verfahrensgang eingreifen und ihre Kompetenzen überschreiten, zumal sie nicht berufen ist, über die Abnahme von Beweisen zu entscheiden. Dieser Entscheid muss dem erstinstanzlichen Gericht vorbehalten bleiben. Angesichts dieser Rechtslage ist nebst dem nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur auch der nicht leicht wiedergutzumachende Nachteil tatsächlicher Natur zu verneinen. Insbesondere kann nicht gesagt werden, dass mit der Aufhebung der angefochtenen Verfügung ein bedeutender Aufwand vermieden werden kann.

Obergericht, II. Beschwerdeabteilung, 29. Oktober 2013

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