Wir spielen eine Rolle. Und das ist ganz gut so.

Von Silvano Cerutti*

Soziale Rollen sind im Alltag mächtige Werkzeuge. Und so selbstverständlich, dass wir ihren Einfluss gerne unterschätzen.

Ich habe einmal bei einem Schreiner ein spezielles Tischblatt bestellt. Die Details hatten wir vorgängig besprochen. Geliefert hat er dann aber etwas anderes, weil sich die Ausführung an jenem Tag «nicht richtig angefühlt» hätte. Es war ihm wichtiger, seinen Gefühlen zu folgen, als seine Rolle als Dienstleister wahrzunehmen.

Im Alltag nehmen wir viele verschiedene Rollen ein. Der Wechsel von einer zur anderen erfolgt so selbstverständlich und fliessend, dass ich lange gebraucht habe, um Rollen überhaupt als solche wahrzunehmen. Mehr noch: Rollen waren mir verpönt. Ich hatte mich in den Neunzigern nicht zuletzt deshalb so intensiv mit Rockmusik beschäftigt, weil sie einen authentischen Ausdruck fordert. Ich wollte weg von einem Rollenverständnis, hinter dem sich ein Mensch bis zur Unkenntlichkeit verstecken kann.

Heute gilt ein vermeintlich authentisches Verhalten als Standard. Authentizität wird sogar oft so absolut verstanden, dass sie uns bspw. in politischen Diskussionen daran hindert, die eigenen Interessen auch in einem grösseren Kontext zu sehen.

Und weshalb schreibe ich «vermeintlich authentisch»? Wir sind heute näher an unseren Empfindungen, schenken diesen mehr Beachtung und geben ihnen mehr Ausdruck. Das ist gut so. Aber beim Schreiner, der seine Rolle als Dienstleister nicht wahrgenommen hatte, habe ich nie mehr etwas bestellt. Der Ärger darüber ist längst verfolgen, weil ich damals erkannte: Wenn wir aus der Rolle fallen, kommt der soziale, wirtschaftliche und politische Verkehr zum Erliegen. Seither zähle ich Rollenkompetenz zu den Schätzen meines Lebens.

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*Der Autor Silvano Cerutti ist im Kanton Zug aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er lebt und arbeitet in Bern. www.papersnackwriter.com.