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21.01.2020

Trotz mieser Schulkarriere erfolgreich im Leben

21.01.2020
Bericht von Philipp Suter, Pädagogischer Leiter jugendbewaehrungshilfe.ch
Philipp Suter
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Von der nützlichen Erfahrung, nützlich zu sein. Im Titel des Buches von Hartmut von Hentig steckt der Schlüssel zu Schülerinnen und Schülern, die sich in der Abwärtsspirale befinden. Wo Vereine, Betriebe, Eltern oder die Schule diese Erfahrung ermöglichen, werden junge Menschen aufgefangen. Darüber müssen wir im Gespräch bleiben.

Von Philipp Suter*

Gute Lehrpersonen vermögen vieles zu bewirken. So erinnere ich mich beispielsweise an eine Schülerin, die wohl nicht in die Sek gekommen wäre, hätten nicht verschiedene Lehrerinnen und Lehrer an sie geglaubt, sie täglich ermutigt und fachlich unterstützt. Aber auch die Rolle von Mutter und Vater war wichtig: Sie hielten mit ihrer Tochter Fühlung, interessierten sich für ihr Leben, investierten viel Zeit und Energie, um mit ihr gemeinsam zu lernen. Das in diesem Fall geglückte Zusammenspiel zwischen dem Mädchen, den Lehrpersonen und den Eltern hat mich beeindruckt. Und immer wieder staune ich, mit welchem Engagement, welcher Kompetenz und Grossherzigkeit in der Schule gearbeitet wird.

Doch es gibt auch Situationen, wo guter Rat teuer ist, wo selbst erfahrene Pädagogen gewisse Jugendliche nicht mehr erreichen und wo bei den Jugendlichen eine Abwärtsspirale einsetzt: Sie kapseln sich ab, verweigern sich schulischen Anforderungen, reagieren nicht mehr auf Anweisungen von Lehrpersonen, bleiben dem Unterricht gar fern. Gerne möchte ich Ihnen aus meiner täglichen Erfahrung heraus darüber berichten, was junge Menschen stärken könnte. Was brauchen sie in solchen Situationen? Was hilft ihnen, wenn die schulische Bildung sie nicht mehr erreicht und sie sich kaum mehr zu etwas bewegen lassen?

Solche Situationen kommen zum Glück nicht häufig vor, aber es sind gerade gewisse Jungs auf der Oberstufe, die gefährdet sind, abzudriften und den Anschluss komplett zu verlieren. Und der Kreis derjenigen, bei denen bereits kleine Enttäuschungen und Misserfolge, familiäre oder persönliche Probleme dazu führen, den Faden und das Vertrauen zu verlieren, wird immer grösser.

Was dann helfen könnte, davon möchte ich erzählen.

1. Der erfolgreiche Unternehmer

Während meiner Schulzeit im Schulhaus Guthirt, Stadt Zug, gab es einen Jungen, etwas scheu, eher klein, wache Augen, ein grosses Herz, der in der Schule oft am Limit lief. Nach der Sekprüfung reichte es nur für die Realschule, eine grosse Enttäuschung. Er zog sich zurück, war eher ein Einzelgänger – und trotzdem, oder gerade deshalb, schaffte er es, sich eine Lehrstelle als Elektroniker zu erkämpfen. Für mich war das ein kleines Wunder, denn in der Regel waren die meisten Elektronikerlehrlinge sehr gute Sekschüler.
Nach erfolgreicher Lehrabschlussprüfung machte er die RS, bildete sich weiter, hatte diverse Stellen – und heute führt er sein eigenes Unternehmen mit achtzig Mitarbeitern. Sein soziales Engagement innerhalb und ausserhalb der Firma ist bekannt; sein guter Ruf drang immer wieder bis zu mir.
Später einmal haben wir uns getroffen, und was mich dringend interessierte, war die folgende Frage, wie es möglich war, dass er trotz seiner schwierigen Schulkarriere den Kopf nicht in den Sand steckte, Herausforderungen annahm und das Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten nie verloren hat? Seiner Erzählung habe ich entnommen, dass es vor allem drei Punkte waren: das Fussballspielen, das Wandern und das Ministrieren.

Im Fussball habe er gewinnen und anständig verlieren gelernt, sich auch in Ausdauer geübt und verschiedene Taktiken verinnerlicht: angreifen, verteidigen, Ball halten.

Beim Wandern habe er die Freude an der Natur entdeckt; die Freude daran, bei jedem Wetter gemeinsam mit seiner Familie im Freien zu sein und Schritt für Schritt mit eigener Körperkraft einen Berg zu erklimmen.

Und als Ministrant in der Kirche habe er zehn Jahre lang die Geschichten von diesem Jesus gehört: sie mal mehr, mal weniger aufmerksam aufgenommen und sich gefragt, was sie mit seinem Leben zu tun haben könnten. Heute könne er sagen, dass er sein solidarisches Handeln Jesus und der Kirche zu verdanken habe; auch seine Fähigkeit, nicht sofort Antworten zu geben, sondern zuerst zuzuhören, Fragen zu stellen, habe etwas mit diesem Jesus zu tun. Er wolle seinen achtzig Mitarbeitern ein aufrichtiger Chef sein.

Nicht nur die Schule bildet und prägt die Kinder, sondern auch Vereine, vorbildhafte Trainer, Mannschaftskollegen, gemeinsame Unternehmungen innerhalb und ausserhalb der Familie, Aufgaben, die man freiwillig übernimmt oder wo einfach mitgearbeitet werden muss.

Frage: Kennen Sie junge Erwachsene, welche sich von klein auf in Vereinen engagierten, mit der Zeit eine oder mehrere Aufgaben in der Pfadi, im Turnverein oder in einem Musikverein übernahmen – und die nach der obligatorischen Schulzeit keine Lehrstelle oder Arbeitsstelle finden konnten?

2. Die Schweizer Bauern

Daniel* besuchte die Werkschule. Als waschechter Schweizer war er dort ein Aussenseiter. Ich arbeitete als Fachlehrer an seiner Schule und machte mir um Daniel, auch wenn ihm das schulische Lernen schwergefallen ist, nie grosse Sorgen. Denn auf dem elterlichen Bauernhof hatte er vieles mitbekommen, was für ein gelingendes Leben wichtig ist: Gemeinsam, auch selbständig auf dem Hof Arbeiten erledigen; mit Maschinen und Werkzeugen fachgerecht umgehen können; sich von Mutter und Vater und von älteren Geschwistern etwas sagen lassen, von ihnen Hilfe annehmen; gemeinsam essen und lachen, sich in der Grossfamilie bewegen und bewähren, sich austauschen und einander zuhören.
Auch wenn Daniel in der Schule keine Glanzleistungen an den Tag legte, hatte er dank seiner wahrgenommenen Aufgaben und Verantwortung auf dem Bauernhof ein gesundes Selbstvertrauen erworben und wusste, dass er über vielfältige Talente verfügte.
Die Grossfamilie auf dem elterlichen Hof bildete für Daniel ein unterstützendes Umfeld. Nach der Werkschule trat er eine Lehre als Landschaftsgärtner an und schloss diese erfolgreich ab.

Gut, gibt's die Bauernfamilien und die vielen kleinen und grossen Unternehmen. Auch ich als ehemaliger Sanitärinstallateur verdanke ihnen vieles.

Frage: Weshalb werden die Ressourcen und das Umfeld, die Bauernfamilien, Unternehmer und Handwerker bieten könnten, für die Bildung von schulmüden Jugendlichen nicht vermehrt genutzt?

3. Massimo und seine Mutter

Familie
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Massimo* eckte in der Oberstufenzeit immer wieder an. Er provozierte andauernd die Lehrpersonen, wurde vor allem den Mädchen gegenüber ausfällig; und irgendwann, am Anfang der dritten Oberstufe, wussten selbst die Fachpersonen für integrative Förderung nicht mehr weiter. Ich wurde in den Fall miteinbezogen, führte Gespräche mit dem Schulleiter, hörte lange zu, stellte Fragen und wollte gerne auch die Familie kennenlernen. Nach vielen Gesprächen haben wir dann mit Massimo, gemäss dem Auftrag der Schulleitung, folgendes Programm gestartet: Vier Tage pro Woche in unterschiedlichen Betrieben schnuppern und sich bewähren können, sowie einen halben Tag arbeiten an einem schulischen Programm unter Begleitung durch eine schulische Heilpädagogin.

Der junge Mann blühte bei der Arbeit bald auf, und auch Massimos Mutter freute sich und zeigte ein grosses Engagement für ihren Sohn. Das Problem aber war: Massimo wollte die Regeln immer selber bestimmen. Sobald es aus seiner Sicht bei der Arbeit zu streng wurde oder ein Lehrmeister ihn korrigieren oder zurechtweisen musste, widersetzte er sich und erzählte zuhause alles seiner Mutter. Die Mutter nahm ihn darauf sofort in Schutz, verteidigte und rechtfertigte das Verhalten ihres Sohnes. Das Schutzverhalten der Mutter bzw. die ungünstige Symbiose zwischen Mutter und Sohn erschwerte die weitere Entwicklung. Aufgrund ihres eigenen strengen Vaters, der nur Befehle erteilte, wollte sie es als Mutter besser machen und kippte ins andere Extrem: viel Liebe, viel Verständnis, die Wünsche des Sohnes erfüllen, aber wenig erzieherischen Widerstand und kaum Durchsetzungskraft. Dadurch erschwerte sie es ihrem Sohn, unabhängig und gemeinschaftsfähig zu werden.

Frage: Wie wäre es, wenn kluge Brückenbauer/innen und fähige Beistände für eine solche ausserschulische Zusammenarbeit vermehrt miteinbezogen würden? Wenn Mütter und Väter ermutigt und dafür gewonnen werden könnten, ihr Verhalten zu ändern – damit die gute Bildungsarbeit der Schule auch bei verwöhnten, vernachlässigten oder dissozialen Jugendlichen auf fruchtbaren Boden fiele?

4. Junge Menschen müssen sich bewähren können

Pater Dr. Werner Hegglin
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Einer meiner Lehrmeister in der Führung und Bildung von Menschen war Werner Hegglin, u. a. Direktor des Lehrerseminars St. Michael, Zug, Co-Leiter des Bildungshauses Hertenstein, verstorben am 20. Oktober 2019. Während zwanzig Jahren war er mein Beistand im Menschen ermutigen und führen. Ihm habe ich viel zu verdanken und ihm habe ich auch viel erzählt: von meinem eigenen Weg als Schüler, Lehrling und später als Lehrer, von meinem Suchen und Irren, von meinen Fragen und Herausforderungen als Trainer und Brückenbauer.

2006 habe ich mit Werner Hegglin zusammen das Buch von Hartmut von Hentig «Bewährung: Von der nützlichen Erfahrung, nützlich zu sein» vom Verlag Hanser gelesen. Mir hat es nochmals die Augen geöffnet.
Denn gerade junge Menschen, die in der Schule abhängen, brauchen eine Aufgabe, mindestens eine, bei der es auf sie und ihren Beitrag wirklich ankommt. Eine Aufgabe, wo sie sich bewähren, ein handfestes Resultat sehen können; wo sie mit Kopf, Hand und Herz zeigen können, was in ihnen eigentlich steckt. Es ist immer wieder eine Freude, zu sehen, wie schulmüde Jugendliche plötzlich aufblühen, im wahrsten Sinne des Wortes wieder aufrechter gehen, wenn sie gebraucht und geschätzt werden und Teil von etwas Grösserem sein dürfen.

Indem wir den Sehnsüchten und Talenten von Jugendlichen mittels einer klar umrissenen Aufgabe, zu der sie selber Ja gesagt haben, zum Durchbruch verhelfen – anstatt ständig etwas einzufordern, was sie überhaupt nicht wollen, ja auch nicht zu wollen vermögen – können wir damit rechnen, dass auch der Alltag in der Schule entspannter wird, und nicht länger mehr nur ein Kampf ist. Immer aber ist kluge und ermutigende Elternarbeit ein entscheidender Faktor.

Wenn Lehrerinnen und Lehrer, Schulsozialarbeiterinnen und Heilpädagogen nicht mehr weiterwissen, lohnt es sich immer, sich an seinen eigenen Weg zu erinnern.

Daher meine Schlussfrage: Welchen Menschen, Begegnungen und Orten verdanken Sie, dass Sie heute sind, was Sie sind und die Kraft haben, für andere Menschen da zu sein?

*Philipp Suter hat nach seiner Lehre als Sanitärinstallateur ein Studium zum Religionspädagogen an der Universität Luzern mit einem Diplom als Religionspädagoge mit Zusatzqualifikation Jugendarbeit abgeschlossen. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Religionspädagoge, Erwachsenenbildner und Jugendarbeiter in Baar hat der Vater von vier Töchtern 2006 die (Link:) jugendbewährungshilfe.ch mit Sitz in Baar gegründet.
Philipp Suter
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Philipp Suter heute ...
Philipp Suter
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... und 1987 als Lehrling.
jugendbewaehrungshilfe.ch in Kürze

Von Walter Leupi, Beiratsvorsitzender jugendbewaehrungshilfe.ch

Die vernetzte Jugend- und Elternbildungsarbeit der jugendbewährungshilfe.ch aus Baar (ZG) begleitet Jugendliche und Eltern in der Berufsfindung und durch Krisensituationen.

Mit Coaching und Praktikas in Unternehmen der Region, mit denen die jugendbewährungshilfe.ch zusammenarbeitet, werden die Jugendlichen an einen haltgebenden Lebensrhythmus und ein neues Selbstvertrauen herangeführt.

Zentrales Element der Arbeit der jugendbewährungshilfe.ch sind die Ideen und Träume der jungen Menschen und die systemische Arbeitsweise. Die Erziehungsverantwortlichen werden dabei in ihrer anspruchsvollen Tätigkeit gestärkt. Darüber hinaus arbeitet die jugendbewährungshilfe.ch erfolgreich mit Paten zusammen.

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