Misstrauen Sie den Lehrpersonen?

Im Mai hat mich ein freundliches Brieflein einer Viertklässlerin erreicht. Thema Leistungsmessungen. Beim Verfassen meiner Antwort habe ich nochmals über Sinn und Zweck der Leistungsmessungen nachgedacht. Ich bin überzeugt, dass es sie braucht. Das ist auch die Auffassung der Schweizer Bildungsforschung. Mit Misstrauen hat das nichts zu tun. Stattdessen soll die professionelle Neugier geweckt werden. Der Schutz dieser Neugier ist mir sehr wichtig. Der Ansatz ist ein formativer: also mit Fokus auf den "Lehrfortschritt", wenn ich den Lernfortschritt von Lehrpersonen einmal so bezeichnen darf. No rankings, versprochen. Hier der Brief und meine Antwort.
Von Stephan Schleiss, Bildungsdirektor des Kantons Zug
Dein Brief vom 24. Mai 2024 betr. Check P4 Liebe ... Herzlichen Dank für Deine Hinweise und Fragen. Wenn Partikeln in der 4. Klasse noch kein Thema sind, dann war die Aufgabe für alle Schülerinnen und Schüler unlösbar. Das ist zwar blöd, aber für alle gleich unfair. Ich habe noch kurz im Lehrplan nachgeschaut. Der Begriff «Partikel» wird im Zyklus 2 behandelt. In welcher Klasse das genau ist, weiss Deine Lehrerin aber sicher besser als ich. Oder wollten die Prüferinnen und Prüfer herausfinden, ob vielleicht eine schnelle Schülerin den Begriff schon kennt? Ich weiss aber, warum wir den Check P4 machen. Wie eine Lehrperson ihre Schülerinnen und Schüler beurteilt, ist nämlich stark von der Klasse und natürlich auch von der Lehrperson selbst abhängig. Das wissen wir aus der Forschung und hat nichts mit Misstrauen zu tun. Darum ist es wichtig, dass die Lehrperson ab und zu eine Rückmeldung zum Lernstand ihrer Schülerinnen und Schülern erhält, die von ihr und von der Klasse unabhängig ist. Dazu kommt, dass jede Lehrperson natürlich auch viele Freiheiten hat, wie sie ihren Unterricht gestaltet und wie hoch sie die Ziele steckt. Auch deswegen ist ein gelegentlicher Blick von aussen wichtig. Genau das leistet der Check P4: er ist eine von der Klasse und von der Lehrperson unabhängige Standortbestimmung. Das ist sehr spannend für eine Lehrperson. Die Standortbestimmung hilft ihr, über ihren Unterricht und ihre Beurteilung nachzudenken. Auch für Dich kann es spannend sein, wenn Dein Lernstand einmal nicht von Deiner eigenen Lehrperson beurteilt wird. Der Test ist eine neue Erfahrung und ein Stück weit ein Abenteuer. Nervös muss aber niemand sein. Eine Rangliste oder so etwas wird es nicht geben. Ranglisten sind sogar verboten. Sie stören nämlich nur, wenn wir in aller Ruhe über die Resultate nachdenken wollen. Zu guter Letzt hoffe ich natürlich, dass Deine Lehrperson nach der vielen Bildschirmzeit für einen Ausgleich sorgt. Vielleicht mit einem Wanderdiktat oder Fangis? Was wäre Dir lieber?
Stephan Schleiss |