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28.11.2021

Vier Bilder für die gute Schule

28.11.2021
Vertrauen, Ziele, Spannung, Beziehung. Vier Bilder für die Schule.
LF
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Vertrauen, Ziele, Spannung, Beziehung: Vier Bilder denke ich mir dazu. Sie haben für mich viel mit der guten Schule zu tun. Die Geschichte dahinter ist mir im Zusammenhang mit dem Fokusthema «Problemverhalten» wieder in den Sinn gekommen. 

Von Lukas Fürrer*

In den Tiefen der Katakomben des Lehrerseminars gab es den Besinnungsraum. Dort wurden im Halbdunkel Andachten gehalten und Messen gefeiert. Dort wurde uns zum Beispiel von Pater Werner Hegglin höchstpersönlich vorgeführt, wie die Eidgenossen vor der Schlacht gebetet hatten, nämlich kniend und die Arme ausgestreckt, Handflächen und Blick gegen oben. Im Besinnungsraum hing auch die Tafel der verstorbenen Ehemaligen an der Wand, gestaltet aus Zapfenrondellen mit den Namen drauf. Von den anderen Bildern, die da auch noch hingen, erschloss sich mir eines nicht. Das Bild bestand aus vier kleineren, von geübter Hand gezeichneten Bildern, die voneinander unabhängig im Quadrat angeordnet waren. Ein Bach war drauf, eine Baumgruppe mit einer kleinen und einer grossen Tanne, in meiner Erinnerung auch eine Stromleitung und vielleicht auch noch eine Menschengruppe, aber so genau weiss ich das nicht mehr. Ich kann mich aber ganz genau daran erinnern, dass mir das Bild in seiner Vierheit ein Rätsel blieb. Ich brachte die Bilder in keine Beziehung.

Erst mein allerletztes Praktikum als Seminarist in einem Urner Bergdorf führte zur Auflösung des Rätsels. Das ist nun fast dreissig Jahre her. Zu der Zeit gab es in diesem Dorf noch eine Gesamtschule mit je einem Klassenzug Kindergarten/Unterstufe und Mittelstufe. Der Unterricht beider Klassenzüge fand in einem L-förmigen Raum statt, wobei die zwei Schulzimmer einzig durch eine Schiebewand getrennt waren. Die Mittelstufe war im horizontalen Strich des L angesiedelt. Das Schulzimmerchen bezeichnet man am besten als Stüblein, damit das richtige Bild entsteht. In diesem Stüblein sassen rund zehn Schüler aus drei Klassen beieinander und für den Lehrer gab’s ein platzsparendes Stehpult. Dort gab ich nun für einige Wochen Schule. Zunächst enger begleitet vom Praxislehrer und dann immer freier.

Gleich zu Beginn stach mir ein Schüler ins Auge. Offensichtlich ein sehr guter Schüler, aber das war es auch nicht, was mir auf den Wecker ging. Vielmehr störte mich sein Gehopse. Dieser Schüler sass nämlich nicht auf einem Stuhl, sondern als einziger auf einem grossen Ball und auf diesem Sitzball hopste das Ranggifüdle nun unablässig auf und ab. Auf und ab. Auf und ab. Nicht laut zwar, aber mitunter gestikulierend und vor allem während der Flugphase sich nach allen Seiten im Schulzimmer hinwendend. In der Innerschweiz sagt man in einem solchen Fall, dass «es mit einem tut». So war es. Eine Nervensäge, der ich früh den Stecker zu ziehen gewillt war. Unter Androhung des Ballentzugs beendete ich flugs das Auf und Ab.

An der Übungsbesprechung, vom Praktikumsleiter jeweils als Spaziergang ums Dorf gestaltet, war der Schüler auf dem Sitzball Thema. Es sei, so begann der Praktikumsleiter in der Kunst einer Hebamme, durchaus meine Sache, was ich als störend und nervig im Schulzimmer empfinden würde. In diesem Sinn sei die Beendigung des Gehopses folgerichtig und auch nicht ungeschickt umgesetzt gewesen. Ich solle mich aber, wenn das Gehopse am Folgetag unweigerlich seinen Fortgang nehmen würde, einmal darauf achten, ob der hopsende Schüler nur mich oder auch seine Mitschüler stören würde. Würde es die Mitschüler stören, sei das Gehopse zu unterbinden, andernfalls gäbe es Handlungsspielraum. Am andern Tag wurde wieder gehopst, worauf ich prüfend in die Runde schaute. Tatsächlich liess sich kein anderer Schüler vom Auf und Ab seines Schulkameraden irritieren. Es schien offensichtlich «zu tun mit ihm», aber den anderen Schülern tat das nichts. Ich war verblüfft und liess ihn gewähren. Nicht zähneknirschend, sondern mehr die Spannung aushaltend. Auf dem folgenden Spaziergang kamen wir wieder auf das Gehopse zu sprechen. Spannung, so mein Praxisleiter, sei Ausdruck davon, dass zwischen dem Schüler und dem Lehrer etwas fliesse. Ohne Spannung keine Beziehung. Ich könne mir dazu eine Stromleitung denken.

Vertrauen Ziele Spannung Beziehung
Bild Legende:

In diesem Augenblick fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das Bild im Besinnungsraum kam mir in den Sinn. Tatsächlich liessen sich nun auch die anderen drei Bilder zuordnen. Zur Spannung gesellten sich Vertrauen, Ziele und Beziehung. Der Praxisleiter empfahl mir, alle meine Schüler, einen nach dem anderen, immer wieder entlang dieser vier Bilder zu betrachten. Jeden einzelnen.

Vertrauen: Vertrauen ist besser als Durchschauen. Dem Schüler mein Vertrauen schenken, ohne dass er sein Inneres nach aussen kehren muss.

Ziele: Ziele haben für meinen Schüler. Dafür stand das Bild von der kleinen und der grossen Tanne. Ich sehe die kleine Tanne und habe einen Plan für den Weg zur grossen Tanne. Ich setze hohe Ziele und habe grosse Pläne für jeden Schüler. Der Schüler ist mir nicht die Zielerreichung schuldig, aber ich ihm hohe Erwartungen.

Spannung: Spannung als Voraussetzung, dass der Strom zwischen mir und dem Schüler fliessen kann. Spannung als Lebenszeichen. Das ist kein "laisser faire" und bedeutet sicher nicht die Duldung von Störungen zum Schaden der anderen Kinder. Ich anerkenne aber, dass nicht jedes Kind gleich unter Strom steht. Ich halte Spannung aus und verursache Spannung. Gut so. Denn was jeder Elektriker weiss, gilt auch für die Schule: Strom braucht Spannung.

Beziehung: Zu jedem Schüler eine Beziehung pflegen. Gute Momente dafür suchen. Das Gespräch beim Wandtafelputzen, auf dem Pausenplatz, auf dem Weg ins Turnen. Eine Spezialaufgabe geben, den Schüler eine Besorgung im Lädeli machen lassen. Es müssen ja nicht mehr Zigaretten sein. Ein Schultag bietet viele Gelegenheiten für die Beziehungspflege ausserhalb des kleinen Einmaleins (das aber als Schlüssel zur Welt unentbehrlich bleibt notabene).

Vertrauen, Ziele, Spannung, Beziehung: Wo ich Menschen führe, begleitet mich dieses Bild, das sich mir beim Spazieren um das Urner Bergdorf erschlossen hat. Im Verlauf meines Praktikums und später im Beruf bemühte ich mich, meine Schüler immer wieder entlang dieser vier Bilder zu betrachten. Wo vertraue ich? Fliesst der Strom? Habe ich grosse Pläne für jeden Schüler? Wie steht es um die Beziehungspflege? Die Bilder dazu haben mir geholfen. Und meinen Schülern auch. Davon sprach das Bild im Besinnungsraum. Ohne dass ich es wusste.

Was die vier Bilder mit der guten Schule zu tun haben? Ich finde, dass sie in ihrer Einfachheit und Klarheit geeignet sind, im Schulzimmer anzukommen. Das ist wichtig, denn «was den Unterricht nicht erreicht, geht verloren», wie das Jürgen Oelkers einst treffend zum Thema Qualitätsentwicklung in der Schule auf den Punkt gebracht hat.


* Lukas Fürrer ist Generalsekrektär der Direktion für Bildung und Kultur.

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