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28.03.2024

Wie gelingt uns Integration?

28.03.2024
Überlegungen im Anschluss an das Forum Gute Schulen 2024.
Von Michael Truniger, Leiter Amt für gemeindliche Schulen
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Was bedeutet «schulische Integration»? Im Kanton Zug gilt der Grundsatz «Integration vor Separation», was bedeutet das genau für uns?

Von Michael Truniger, Leiter Amt für gemeindliche Schulen

Die Hauptorganisatorinnen des diesjährigen «Forums Gute Schulen»1, Silke Schreiber und Carla Canonica, fragten mich im Vorfeld der Veranstaltung, ob ich am Ende der Tagung zum Thema «Wie gelingt uns Integration?» ein Résumé ziehen würde. «Gerne», antwortete ich, ohne lange zu überlegen. Erst danach ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich keine Fachperson für schulische Integration bin. War die Zusage also ein Fehler? Nein. Als Leiter des Amts für gemeindliche Schulen betrifft mich das Thema auch als Nicht-Experte unmittelbar, kann ich von dem am «Forum Gute Schulen» vermittelten Wissen nur profitieren – und ist es mir unbenommen, mit meinem Fazit der Veranstaltung in den Dialog zu treten. Dies tue ich mit diesen Zeilen in der Schulinfo Zug.

Doch was bedeutet «schulische Integration» überhaupt? Im Kanton Zug gilt der Grundsatz «Integration vor Separation». Im Konzept Sonderpädagogik (Seite 9) heisst es zur besonderen Förderung: «Im Grundsatz sind integrative Schulungsformen gegenüber separativen vorzuziehen.» Zur Sonderschulung ist im Schulgesetz (§ 34bis Abs. 1) festgehalten: «Kinder mit einem Bedarf an verstärkten Massnahmen werden, soweit dies dem Wohle des Kindes dient und unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen möglich ist, in der Regelklasse unterrichtet, solange die schulische Qualität in der Regelklasse erhalten bleibt.» Die schulische Integration hat folglich zum Ziel, alle Kinder und Jugendlichen soweit möglich und sinnvoll in die Regelklasse zu integrieren. Von der «Schule für alle» ist im Konzept Sonderpädagogik (Seite 9) die Rede.

Nun denn: Welche zehn Punkte habe ich aus dem «Forum Gute Schulen» mitgenommen?

1) Gehen wir von Zielsetzungen aus
Es geht darum, die Tragfähigkeit und Leistungsfähigkeit der Schulen zu stärken; allen Schülerinnen und Schülern die «Türe der Opportunitäten» so weit wie möglich zu öffnen. Es geht um Chancengerechtigkeit; darum, allen unseren Schülerinnen und Schülern schulische und nachschulisch-gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Und schliesslich geht es in Fragen der Integration ganz wesentlich auch um die Stärkung der Schulgemeinschaft.

2) Denken wir Integration umfassend und «systemisch»
Ein «Flickwerk» von Angeboten und Massnahmen mag kurzfristige Erfolge zeitigen; mittelfristig aber verpuffen die positiven Effekte, Zentral ist, Integration umfassend und «systemisch» zu denken. Im Kanton Zug bilden das Konzept Sonderpädagogik, die Richtlinien Besondere Förderung sowie die Richtlinien Integrative Sonderschulung die massgebenden rechtlichen und konzeptuellen Grundlagen im Bereich der Sonderpädagogik. Diese gilt es, gemeinsam weiterzuentwickeln. – Im Bereich «Verhalten» werden die Gemeinden mit dem Inkrafttreten des revidierten Schulgesetzes verpflichtet, Konzepte für den Umgang mit herausforderndem Verhalten zu erarbeiten, die auch Gefässe für kurz- und mittelfristige Separationen (z.B. Schulinseln) beinhalten. Auch hier wird es entscheidend sein, diese Gefässe umsichtig konzeptionell einzubetten.

3) Angebote und Massnahmen sind das eine, die zugrunde liegenden Werte und Normen das andere
«Die Qualität des Unterrichts in Regelklassen, Sonderklassen oder Sonderschulklassen spielt eine grössere Rolle bei den Lernfortschritten der Schülerinnen und Schüler als die Schulungsform. Die Qualität und Tragfähigkeit der integrativen Schule werden durch die Haltung, durch die Einstellungen aller Beteiligten sowie durch die professionelle Zusammenarbeit beeinflusst.» Dieses Zitat von Romain Lanners (Direktor der Stiftung Schweizer Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik) ist mir im Verlauf des «Forums Gute Schulen» mehrfach in Erinnerung gekommen. Angebote und Massnahmen der inegrativen Schulung entfalten dann ihre Wirkung, wenn die ihnen zugrunde liegenden Zielsetzungen getelt und in der täglichien Zusammenarbeit gelebt werden. Unabdingbar ist folglich eine Auseinandersetzung mit den gemeinsamen Werten und Haltungen sowie der Zusammenarbeitskultur – innerhalb der Schulen, aber auch zwischen den «Stakeholdern» des Zuger Bildungswesens.

4) Angebote und Massnahmen sind das eine, echte Teilhabe und Zugehörigkeit das andere
Diesen Punkt habe ich aus dem Referat «Schulische Integration – Was heisst das und was wissen wir darüber?» von Prof. Dr. Franziska Felder (Universität Zürich) mitgenommen. Angebote und Massnahmen zur schulischen Integration können noch so «gut gemeint» sein. Sie erfüllen tatsächlich nur dann ihren Zweck, wenn sie den Kindern und Jugendlichen Teilhabe, soziale Integration und ein persönliches Zugehörigkeitsgefühl ermöglichen.

5) Die schulische Integration geniesst im Kanton Zug eine hohe Akzeptanz. Dies ist ein wichtiger Erfolgsaktor für deren Weiterentwicklung
Die Studie «Integration in der Schule – Herausforderungen und Gelingensbedingungen» des Instituts für Bildungsqualität und Bildungsinnovation (IBB) der PH Zug zeigt eine hohe Akzeptanz der schulischen Integration bei Schulleitungen, Lehrpersonen und Fachpersonen der integrativen Förderung im Kanton Zug. In der Umsetzungstabelelle zu den Strategischen Entwicklungslinien für die Zuger Volksschulen 2023 bis 2026 wird für die Jahre 2024 und 2025 die Überarbeitung der konzeptionellen Grundlagen im Bereich der Sonderpädagogik genannt. Die hohe Akzeptanz der integrativen Schule bildet das gemeiname Fundament für deren erfolgreiche Weiterentwicklung.

mat. – «Participation»
Bild Legende:
mat. – «Participation» (2020; 60 cm x 80 cm)

6) Setzen wir Ressourcen nachaltig ein
Zur Frage der Ressourcen stellt der oben zitierte Romain Lanners pointiert fest: «[Die] Anzahl Ressourcen ist nicht ausschlaggebend für die Integration, sondern die Umsetzung dieser Ressourcen. Mehr Ressourcen heisst nicht mehr Integration.» An dieses Zitat erinnerte ich mich in einem der sieben Diskussionforen, von denen die Teilnehmerinnen und Teillnehmer des «Forums Gute Schulen» zwei besuchen konnten. In der Diskussion mit schulischen  Fachpersonen kam zum Ausdruck, dass die Ressourcen allzu häufig für «Feuerlösch-​Übungen» eingesetzt würden. So gelte es, etwa das spezifische Know-​how der Schulischen Heilpädagoginnen und Heilpädagogen gezielter, geplanter, nachhaltiger, im Effekt multiplizierend einzusetzen – freilich im Wissen, dass auch «Feuerlösch-​Übungen» zur schulischen Realität gehören. Das Verhältnis von Aufwand zu Ertrag muss stets auch Thema sein.

7) Hüten wir uns vor einer «Pathologisierung» und «Ver-Diagnostizierung» der Kinder und Jugendlichen
Kinder und Jugendliche entwickeln sich sehr unterschiedlich; weder linear noch zeitgleich. Schwierigkeiten treten auf – und lösen sich oft wieder. Selbstredend benötigen Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung Unterstützung in ihrem privaten und schulischen Umfeld – und rund drei Prozent der Schülerinnen und Schüler benötigen Unterstützung in Form von verstärkten sonderpädagogischen Massnahmen. Entscheidend ist jedoch, Kinder und Jugendliche nicht zu «ver-diagnostizieren» resp. zu «pathologisieren». «Kind-Sein» muss auch in dieser Hinsicht ein «Schon-Raum» sein. Es gilt, «Fehlanreize» - etwa im Sinne von «Diagnose = mehr Ressourcen» - zu verhindern.

8) Schule findet in Gemeinschaft statt; es gibt Grenzen der Individualisierung
Die einzelnen Schülerinnen und Schüler sind je eigene «Entitäten» mit individuellen Ansprüchen, aber auch die Klassen einer Schule sowie die Schulgemeinschaftt als Ganzes sind je eigene «Entitäten». Demensprechend ist der Fokus auf einzelne Schülerinnen und Schüler stets durch den Fokus auf die Klasse und die Schulgemeinschaft zu ergänzen. Die einzelnen Schülerinnen und Schüler haben Anspruch auf Individualisierung; dabei gibt es aber Grenzen. Das Zuger Schulgesetz erfasst diesen Punkt griffig in der oben zitierten Bestimmung: «Kinder mit einem Bedarf an verstärkten Massnahmen werden, soweit dies dem Wohle des Kindes dient und unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen möglich ist, in der Regelklasse unterrichtet, solange die schulische Qualität in der Regelklasse erhalten bleibt.»

9) Vermeiden wir «Verantwortungs-Diffusion»

Angesichts einer Vielzahl von punktuellen Einsätzen von Fachpersonen und Helferinnen und Helfern (wie Klassenassistenzen etc.) gilt es, einer Verantwortungs-Diffusion entgegenzuwirken. Die Forschung zeigt, dass «Helfersysteme» oft nur unzureichend zur Lösung beitragen, die Vielzahl der involvierten Personen zu Unklarheiten über die tatsächlichen Zuständigkeiten führt. Barbara Fäh, Rektorin der Hochschule für Heilpädagogik Zürich, formuliert hierzu zugespitzt: «Das Delegationsprinzip akzentuiert die Ressourcenknappheit.» Dieser Bogen zu einem Referat Barbara Fähs hat sich für mich während eines Diskussionsforums ergeben. Keinesfalls sei hiermit die Bedeutung der Arbeit von Fachpersonen, aber auch von Helferinnen und Helfern, in Abrede gestellt. Gleichwohl ist es (auch) im Bereich der integrativen Schule entscheidend, klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu definieren und im Schulalltag zu leben.

10) Denken wir Prävention und Reintegration resp. «Anschlussfähigkeit» konsequent mit
Zu einem umfassenden, «systemischen» Verständnis von schulischer Ingegration gehören massgeblich Prävention und Reintegration. Prävention bedeutet Investition in Weiterbildung ebenso wie die Arbeit an gemeinsamen Werten und Normen. So kurz die Vorsilbe im Begriff «Re-Integration» ist, so schwierig erweist sich die Reintegration in der Praxis. Sonderschulungen verstetigen sich; Re-Integration in die Regelschule ist die Ausnahme – und nicht die Regel. Wir bilden uns zurecht sehr viel auf die Durchlässigkeit des schweizerischen Schulsystems ein. Der Durchlässigketi resp. Re-Integration von der Sonder- zur Regelschule muss ein besonderes Augenmerk gelten. Damit bin ich wieder bei der eingangs erwähnten Zielsetzung, allen unseren Schülerinnen und Schülern schulische und nachschulisch-gesellschaftliche Teilhabe – emphatisch: menschliches Gedeihen –  zu ermöglichen.

Wenn Sie in den Austausch zu den oben genannten Punkten treten möchten, können Sie dies gerne tun. Schreiben Sie mir eine E-Mail an michael.truniger@zg.ch.


1Das Forum Gute Schulen

Das «Forum Gute Schulen» findet alle zwei Jahre statt. Es ist eine Co-Produktion von Bildungsdirektion/Amt für gemeindliche Schule (AGS), Schulpräsidien und Rektorin/Rektoren der gemeindlichen Schulen. Die Organisation des Anlasses obliegt dem AGS.

Das diesjährige «Forum Gute Schulen» fand zum Thema «Wie gelingt uns Integration?» statt und wurde durch Silke Schreiber (Abteilungsleiterin Schulentwicklung des AGS) sowie Carla Canonica (Abteilungsleiterin Sonderpädagogik des AGS) moderiert. In zwei Blitzlichtern wurde durch Carla Canonica die schulische Integration im Kanton Zug, durch Tobias Gadient von der Schule Horbach die schulische Separation im Kanton vorgestellt. Prof. Dr. Franziska Felder (Universität Zürich) hielt ein Inputreferat zum Thema «Schulische Integration – Was heisst das und was wissen wir darüber?». Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des «Forums Gute Schulen» standen sieben Diskussionsforen zur Auswahl, von welchen sie zwei besuchen konnten:

1.     Gelingensbedingungen der Integration. Olivia Bühler und Géraldine Rossi

2.     Präventionsmassnahmen im Frühbereich und im Kindergarten. Monika Arnold

3.     Einsatz von sonderpädagogischen Ressourcen in der Praxis. Carla Canonica und Jolanda Joos

4.     Effizienzüberlegungen zur schulischen Integration. Lukas Fürrer

5.     So gelingt der Übergang in die Berufsbildung! Beat Unternährer

6.     Vertiefungen Schule Horbach. Tobias Gadient und Jonas Felix Meier

7.     Blick über die Kantonsgrenze: Projekt Polaris Schule Rothenburg.David Britschgi

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