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29.08.2019

Interne Evaluation – geht das?

29.08.2019
Beitrag von Wolfgang Beywl zum Thema Interne Evaluation auf www.schulinfozug.ch

Interne Schulevaluation neu gedacht

Wolfgang Beywl auf www.schulinfozug.ch
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Bremer Stadtmusikanten statt Orwells Auge

Von der externen zur internen Evaluation: diesen Schritt schlägt Wolfgang Beywl* im Interview vor, auf die Formel «Bremer Stadtmusikanten statt Orwells Auge» gebracht. Aber kann Unterrichtsentwicklung durch selbstgesteuerte Evaluation tatsächlich funktionieren? Ist die Gefahr nicht zu gross, dass wir uns lieber mit unseren Stärken als mit unseren Schwächen beschäftigen?

Das Interview führte Lukas Fürrer.

Wolfgang Beywl, gestatten Sie mir zu Beginn eine ketzerische Frage? Schneiden Schülerinnen und Schüler regelmässig evaluierter Schulen bei Leistungsvergleichen wie PISA oder TIMSS besser ab als ihre Gspändli an weniger häufig evaluierten Schulen?
Diese Frage hört man häufig. Und zeigt auf ein Grundproblem der Diskussion. Internationale Schulleistungsvergleiche wie PISA beruhen auf Daten, die bei repräsentativen Stichproben erhoben werden. Z. B. werden nach Zufallsprinzip ein paar Prozent der Schulen eines Landes gezogen und in diesen werden Schülerleistungen mit inzwischen sehr guten Tests gemessen. Aussagen zum Vergleich der Schulsysteme von Ländern werden möglich, evtl. auch zu Kantonen. Primäre Nutzerin der Studien ist die Bildungspolitik. Diese gibt dann Impulse an die Schulen, und diese womöglich an die Lehrpersonen. Aber: Weder die Schulen, noch die Lehrpersonen oder gar die Lernenden erhalten eine 'individualisierte' Rückmeldung. Ein Zyklus «Messung-Rückmeldung an Lehrende/Lernende-Optimierung von Unterricht und Lernprozessen», wie die Frage unterstellt, ist gar nicht möglich. Die Antwort heisst klar: «Nein! » Das ist kein Mangel von PISA & Co. Diese Erhebungen verfolgen einen anderen Zweck, nämlich eine bilanzierende und vergleichende Rechenschaftslegung letztlich der nationalen/kantonalen Schulsysteme. Dies ist die «summative» Rolle von Datenerhebungen im Schulbereich.

Können denn dann Vollerhebungen von Schülerleistungen wie z. B. Stellwerk 8 oder die Checks in der Nordwestschweiz das Lernen verbessern?
Sie versprechen in der Tat, dass die Klassen- oder Fachlehrperson (neben dem wiederum summativen Vergleich zwischen Schulen, Klassen und Lernenden) Hinweise erhält, wie sie ihren Unterricht optimieren kann. Wir kennen einige Lehrpersonen, denen diese «formative», also unterrichtsgestaltende Nutzung solcher Testdaten gelingt. Die umfassende Forschung etwa zum deutschen Pendant, den «Vergleichsarbeiten» (VERA), zeigt aber, dass der formative Effekt auf die Unterrichtsentwicklung bescheiden ist. Statt dies den Lehrpersonen in die Schuhe zu schieben, die solche Daten tatsächlich oft nicht entschlüsseln können, sollte die Bildungspolitik anerkennen, dass man mit demselben Verfahren nicht summative und formative Zwecke auf einen Streich erledigen kann. Für formative Zwecke sind solche gross angelegten Testverfahren lediglich eingeschränkt geeignet. Die Rückmeldungen kommen mit Verzögerung, zum falschen Zeitpunkt (z. B. Schuljahresende) oder mit zu wenig Informationsgehalt: Besonders aussagekräftige summative Tests sind «adaptiv» - sie stellen den Schülerinnen und Schülern je nach ihrem Leistungsniveau unterschiedliche Aufgaben. Die Lehrperson kann nicht identifizieren, an welchen Aufgaben die verschiedenen Lernenden gescheitert sind. Die Bildungspolitik, die wie die Medien Vergleiche liebt, sollte akzeptieren, dass summativ sinnvolle Testverfahren kein Wundermittel sind, um zu optimalem Lehren und Lernen zu kommen.

Was ist der grundsätzliche Unterschied zwischen externer und interner Evaluation?
Die erste Antwort ist einfach: Interne Evaluation wird von Mitarbeitenden der Schule, also Schulleitung und Lehrpersonen gesteuert. Bei der externen sind Fachleute von ausserhalb der Schulen, oft aus kantonalen Behörden, manchmal aus Pädagogischen Hochschulen zuständig.
Die zweite ist etwas schwieriger: «Externe Schulevaluation» nutzt als Bewertungsmassstäbe fixe Kriteriensätze, die von aussen vorgegeben sind. Sie speisen sich z. B. aus der Forschung zu «guten Schulen» und sind in kantonalen Qualitätsrichtlinien festgelegt. Man könnte solche Verfahren wie in anderen Ländern auch als «Schulinspektion» oder «Auditierung» bezeichnen. Deren Verdienste in den zurückliegenden Jahrzehnten liegen darin, dass sie den organisatorischen Handlungsrahmen geleiteter Schulen gestärkt haben. Doch auch sie haben es gemäss vorliegender Forschung nicht vermocht, einen nachhaltigen Beitrag zur Unterrichtsentwicklung zu leisten. Da ihr Leistungsvermögen ausgeschöpft ist, ist sie in fast allen Kantonen und deutschen Bundesländern entweder eingestellt oder stark reduziert worden.

Interne Evaluation. Geht das?
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Worauf liegt der Fokus der internen Evaluation?
Auf den unterrichtlichen Prozessen, auf dem Handeln der einzelnen Lehrperson und der unterrichtlichen Zusammenarbeit, bei pädagogischen Projekten der jeweiligen Schule, evtl. auch beim Beitrag der Schülerinnen und Schüler zu einem gelingenden Unterricht.

Aber muss dies nicht viel mehr als Zwängerei empfunden werden, wenn man allen genau auf die Finger schaut? Also Orwells Auge im Klassenzimmer?
Das ist der Unterschied zu einer externen Evaluation, in der Aussenstehende ohne genaue Kenntnis der Schule und ihres sozialen Umfeldes, der Zusammensetzung und Geschichte der jeweiligen Klasse usw. nach vorab fix gesetzten Kriterien bewerten. In der internen Evaluation machen dies die Lehrpersonen.

Bei der internen Evaluation geht es also auch um den inneren Antrieb?
Ja genau: Es geht um die selbst gesetzten Ziele, die eigenen pädagogischen Wertmasstäbe.

Das führt aber doch schnell zum Vorwurf, dass man ausschliesslich das evaluiert, wo man sicher ist, dass man ohnehin gut ist.
Da haben Sie recht. Dem muss vorgebeugt werden. Und zwar erstens dadurch, dass man vorab schriftlich festhält: die angestrebten Unterrichtsziele, das geplante Vorgehen, um diese zu erreichen, und schliesslich das Wie von Datenerhebung und –auswertung. Und dass man zweitens diesen Evaluationsplan genauso wie die erhobenen Daten, die Schlussfolgerungen und das weitere Vorgehen offenlegt. Indem man ihn Interessierten und Berechtigten, z. B. Eltern, vorstellt und dann am Schluss z.B. einen schriftlichen Kurzbericht abgibt. Dieses «Öffentlichkeitsprinzip» muss natürlich schrittweise eingeführt werden. Das kann so weit gehen, dass jedes Jahr ein Evaluationsbericht der Schule auf der Webseite steht, oder dass die Lehrpersonen beim Elternabend darüber berichten. Bis man sich so viel Transparenz zutraut, braucht man vielleicht ein paar Jahre. Und man sollte nicht mit dem Schwierigsten beginnen.

Können Sie in aller gebotenen Kürze die Phasen einer internen Evaluation anhand eines Beispiels erklären?
Für die Unterrichtsebene haben wir gemeinsam mit Lehrpersonen Dutzende von Beispielen veröffentlicht. Ebenfalls In der «Pädagogik», der meist verbreiteten deutschsprachigen Praxiszeitschrift für Schulen, haben wir eines für die Schulebene publiziert: Die Primarschule Matzendorf setzt einen Schwerpunkt auf die Entwicklung der Schulkultur, speziell die Chorarbeit. Mehrere Lehrpersonen arbeiten gemeinsam an diesem Projekt. In einem Kurzkonzept zur Chorarbeit konkretisieren sie wünschenswerte Musik-Fachkompetenzen sowie überfachliche Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler gemäss Lehrplan 21. Dabei verständigen sich Lehrpersonen auf Grundsätze der Zusammenarbeit und klären ihre pädagogischen Grundhaltungen. Rückmeldungen der Lernenden sind besonders wichtig und werden wenn sinnvoll direkt umgesetzt (z. B. Start der Chorprobe im Sitzen statt im Stehen). Aktive aus örtlichen Musikvereinen nehmen eine fachliche Einschätzung vor. Als weitere Perspektiven holt die Schule die Meinung von Eltern und Besuchern öffentlicher Auftritte des Schulchors ein. Nachfolgend zwei Aussagen von Direktbeteiligten: «Die Nähe zum normalen Unterricht und das genaue Hinschauen verändern das eigene Unterrichten positiv.» – «Dadurch, dass immer wieder Datenerhebungen gemacht und die Ergebnisse umgesetzt werden, muss man konstant dran sein.»

Interne Evaluation. Geht das?
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Der Aufwand ist bei aller Einfachheit gross.
Nein, es ist nicht der Aufwand. Es ist die Herausforderung zu planen, dies so zu verschriftlichen, dass es anderen gezeigt werden kann, die erhobenen Daten aufzubereiten usw. Dieses kleinschrittige dokumentierte Vorgehen empfinden manche Lehrpersonen als mühsam, da sie alltäglichen Unterricht als Profis mit viele Erfahrung «aus dem Handgelenk» gestalten, gerade auch in unvorhersehbaren Situationen. Bis man auch das Evaluieren automatisiert, das dauert etwas und erfordert wie auch das meiste andere Lernen: Üben – Üben – Üben.

Wie und wo kann Zeit dafür gewonnen werden?
Das zeigt sich exemplarisch in den beiden Aussagen der Direktbeteiligten. Indem das Evaluieren gleichzeitig auch Unterrichten ist, indem es ganz überwiegend in der Unterrichtszeit stattfindet, indem z. B. Schülerinnen und Schüler Daten erheben, indem man diese im Unterricht mit diesen auswertet, dann einen Dialog über den Unterricht führt – das ist datenbasierte Partizipation der Lernenden an der Gestaltung der Kernaufgabe von Schule. Der Kniff ist: Evaluation und Unterricht integrieren; Schulentwicklung und interne Evaluation in einem Zug.

Was müssen wir tun, damit interne Evaluation im Unterricht ankommt?
Evaluationen so anlegen, dass unmittelbar Nutzen für das Unterrichten und für das Lernen entsteht, also schon durch das Setzen und Transparentmachen von Zielen, das Datenerheben und das Auswerten. Und: Über Evaluieren mit der interessierten Öffentlichkeit, mit den Eltern und in der Gemeinde, im Quartier reden. So dass die Lehrerpersonen und die Schule gestärkt werden. Schliesslich: Gemeinsam Planen, Umsetzen und Untersuchen, Verändern, Anpassen – Zulassen von Neuem, Eingehen kalkulierter Risiken. Sich an die Grundhaltung der Bremer Stadtmusikanten zu erinnern kann dabei helfen: Auch in prekären Situationen bei Anerkennung der Verschiedenheit und Nutzung der jeweiligen Ressourcen nachhaltige Lösungen durch mutiges Ausprobieren finden. So macht interne Evaluation sogar Spass und kann Anlass zu Feiern sein.

Was weiss die Forschung über die Motivation der Lehrerinnen und Lehrer, sich selbst und ihren Unterricht zu evaluieren?
John Hattie zieht aus der Synthese von inzwischen ca. eineinhalb Tausend Meta-Analysen die Schlussfolgerung, dass Lehrpersonen, die als Team zu Evaluierenden ihres eigenen Unterrichts werden, einen mächtigen Hebel haben, um überdurchschnittliche Lernfortschritte auszulösen. U.a. die Forschungen zu den eher gross angelegten Lesson Studies oder zum stark fokussierten Mikroteaching (videogestützte Unterrichtsanalyse) unterstützen diese These. Aber auch hier plädiere ich dafür, statt herkömmliche Forschungsdesigns vom Schreibtisch aus zu planen, auf Augenhöhe mit den Feldexpertinnen und –experten in der Praxis an der Optimierung dieser kombinierten Lehr-Untersuchungsverfahren zu arbeiten, so dass deren Wirksamkeit laufend verbessert wird. Und auch die Erkenntnisse der Forschung werden dabei dichter, in angepasster Sprache formuliert und damit anschlussfähig.

Oder mit anderen Worten: Wie gewinnen wir unsere Lehrerinnen und Lehrer für die interne Evaluation?
Wenn ich für das «Wir» in dieser Frage einmal die Forschenden setze: Indem wir uns so in die anstehenden Veränderungsprozesse einbringen, dass angesichts der Ungewissheit bei rasant sich wandelnden technologischen und sozialen Zukünften Zuversicht entsteht: dass eine untersuchende, evaluierende, reflexive Zusammenarbeit Lösungen für Schule, Unterricht und Lernen schafft und schöne Erfolge möglich macht.

*Wolfgang Beywl leitet seit 2010 die Professur für Bildungsmanagement sowie Schul- und Personalentwicklung an der Pädagogischen Hochschule FHNW. Er ist Gründer und wissenschaftlicher Leiter von Univation, Institut für Evaluation, Köln. Er war langjährig Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Evaluation (DeGEval). In Forschung und Lehre beschäftigt er sich mit dem Aufbau von Evaluationsvermögen in Organisationen. Er hat zahlreiche Evaluationsprojekte geleitet, Lehrbücher zur Evaluation veröffentlicht und unterhält mehrere Webressourcen zu den Themen Evaluation sowie Evidenzbasierung von Lehren und Lernen.

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