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05.09.2023

Psyche: Wie geht es der Zuger Jugend?

05.09.2023
Interview mit der leitenden Ärztin Kinder- und Jugendpsychiatrie Zug
MT
Bild Legende:

Selbstwirksamkeit und Flow-Erleben sind wertvolle Zutaten für psychisch robuste Kinder und Jugendliche. Die Schule kann dazu wichtige Beiträge leisten. Muss sie auch. Denn manche psychische Krankheiten treten immer früher auf, sagt die Zuger Kinder- und Jugendpsychiaterin Martina Trèves*.

Von Lukas Fürrer

Ich bin, ich weiß nicht wer,
Ich sterb’, ich weiß nicht wann,
Ich geh, ich weiß nicht wohin,
Mich wundert’s, dass ich so fröhlich bin.

Die Zeilen stammen aus dem Mittelalter. Mit Blick auf die heutige Jugend und in die Zeitung würde ich die letzte Zeile umdichten: "Kein Wunder, dass ich so traurig bin." Was sagen Sie als leitende Ärztin der Zuger Kinder- und Jugendpsychiatrie zu meiner Umdichtung?

Ihre Umdichtung deckt sich leider vielfach mit der Beobachtung, die wir im Arbeitsalltag machen. Bedauerlicherweise hat sich die psychische Gesundheit der Jugendlichen in der Schweiz in den letzten Jahren deutlich verschlechtert und diese Tendenz hat sich während und nach der Covid-19-Pandemie deutlich verstärkt. Bereits zuvor ist die Zahl der Anmeldungen für Abklärungen und Therapien und auch der Notfallkonsultationen gestiegen. Besonders fällt eine Zunahme an Depressionen, Suizidalität und Essstörungen auf. Ich denke, die Welt ist für viele Menschen und insbesondere Jugendliche mit ihren Entwicklungsaufgaben, die sie zu bewältigen haben, sehr komplex geworden und sie sind damit vielfach überfordert. 

Was muss ich als Lehrerin oder Lehrer über die psychische Gesundheit der Zuger Schülerinnen und Schüler wissen?

Ich denke, die Lage in Zug ist eine besondere. Viele Jugendliche, insbesondere aus Expat-Familien finden sich in einem recht leistungsorientierten Umfeld, was vielfach hohen Druck bedeutet. Weiter wissen wir, dass die Adoleszenz das Alter ist, in dem psychische Belastungen oder gar Erkrankungen sich erstmals manifestieren, aber gleichzeitig Ausbildung, Ablösung von der Familie und gelingende Beziehungen mit Peers etc. erfolgen sollen. Somit ist sind psychische Belastungen und Erkrankungen eine erhebliche Belastung und Bedrohung der Entwicklung eines jungen Menschen. Wir beobachten auch, dass manche Phänomene in immer jüngeren Alter auftreten (wie selbstverletzendes Verhalten, Essstörungen, Suizidalität bei Kindern noch vor Eintritt der Pubertät). Alarmzeichen sind jedenfalls suizidale Äusserungen, deutlicher sozialer Rückzug, gedrückte Stimmung, häufiges und/oder kontinuierliches Fernbleiben von der Schule (Stichwort Schulabsentismus). Lehrpersonen haben hier häufig eine wichtige Rolle inne, sie sind nah an den Schülerinnen und Schülern dran, sehen sie häufig, kennen sie meist sehr gut und können Veränderungen im Verhalten und Befinden gegenüber den Kindern und Jugendlichen ansprechen und die Eltern einbeziehen. Hier gilt es rasch ein Helfernetzwerk zu etablieren, um eine Verschlimmerung der Situation oder gar Chronifizierung zu verhindern. 

Auch der schulische Leistungsdruck wird als eine Ursache für die Zunahme der psychischen Probleme der Kinder und Jugendlichen genannt. Sind die Hürden zu hoch oder fehlt es an der Hürdentechnik?

Ich denke, wie bereits vorher geäussert, dass die Erwartungen unserer Leistungsgesellschaft und auch der schulische Leistungsdruck (der zum Teil auch von der Familie kommt oder sich von den Jugendlichen selbst auferlegt wird) einen erheblichen Teil dazu beitragen. Auch die sozialen Medien, mit ständigen Sichtbarkeit von durch und durch optimierten, makellosen Menschen belasten junge Menschen, vor allem weibliche Jugendliche und junge Frauen, die mit erhöhten depressiven Symptomen darauf reagieren, wie Untersuchungen zeigen. 

Häufig wird in der Schule und auch später in der Arbeitswelt auf das geschaut, was noch nicht gut läuft, Schülerinnen und Schüler werden kontinuierlich mit Defiziten konfrontiert, damit können manche junge Menschen recht gut umgehen (Stichwort stabiler Selbstwert), andere leiden klar darunter. Ich würde nicht per se sagen, dass die Hürden in jedem Fall zu hoch sind oder die Hürdentechnik fehlt.  Die Entwicklung der individuellen Resilienz der Kinder und Jugendlichen leidet meiner Meinung nach immer häufiger. Die sozialen Kontexte und die Situation vieler Familien hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert, wir werden immer mobiler, was gesellschaftlich auch sehr bereichernd ist. Jedoch fehlt vielfach bei vielen unserer Patienten ein stabiles soziales Netzwerk, was durch viele Umzüge, psychische Belastung/Erkrankung der Eltern oder Migration der Familie und damit verbundene soziale Isolation verschärft wird, was dann die Entwicklung eines gesunden Selbstwerts und einer stabilen Identität beeinträchtigen kann. 

Bild Michel Gilgen
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Bilder zum Fokusthema "Psyche": Selbstwirksamkeit erleben. Zum Beispiel beim Musizieren. Bilder: Michel Gilgen.

Wir leben ja nicht nur in Zeiten von Pandemie, Klimawandel, Krieg gegen die Ukraine und anderen Zukunftsängsten. Wir leben auch in Zeiten der Relativierung. Jede Wahrheit, jedes Wissen und jede Wertvorstellung: alles ist scheinbar umstritten. Was machen fehlende Gewissheiten mit dem Mensch?

Es ist schwer zu bestreiten, dass Jugendliche sehr vielen negativen und bedrohlichen Szenarien ausgesetzt sind. Das allein ist schon stark verunsichernd. Die von Ihnen angesprochene Relativierung hat meiner Meinung nach mindestens zwei Seiten: Für viele Menschen und insbesondere Jugendliche ist es gewiss eine grosse Erleichterung, dass die traditionellen Rollenerwartungen nicht mehr so präsent sind wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Insbesondere für junge Menschen mit nicht ausschliesslich heterosexueller Orientierung oder bei Jugendlichen, die im Bereich der Geschlechtsidentität am Suchen sind. Auf der anderen Seite ist es natürlich sehr verunsichernd, mit so vielen kontroversiellen und teils abstrusen Meinungen und Darstellungen im Internet konfrontiert zu werden. Ich denke, dass es eine Aufgabe der Erwachsenenwelt und damit auch der Schule ist, Kinder und Jugendliche fit zu machen, wie sie verlässliche Informationen erhalten, wie sie diese bewerten und welche Schlüsse sie daraus ziehen können. 

Im Rahmen seiner Maturareden hat Bildungsdirektor Stephan Schleiss das Bild der Bubble oder Blase aufgenommen. Psychische Probleme könnten sich verstärken, wo sich die Welt nur noch um diese dreht. Wie beurteilen Sie als Experte den Gang zwischen der gesellschaftlichen Akzeptanz psychischer Probleme und der Gefahr einer ungesunden Fokussierung?

Wie so oft gilt da auch hier der altbekannte Spruch: Es ist allein die Dosis, die bestimmt, ob etwas Gift ist. Die Entstigmatisierung von psychischen Leiden ist gewiss nötig, es kann auch für Betroffene sehr entlastend und stärkend sein, sich nicht allein mit seiner Situation zu fühlen. Jedoch ist ein allzustarker Fokus auf bestimmte Diagnosen oder Symptome, wie er auch in den sozialen Medien stattfindet, kontraproduktiv. Besonders vulnerable Jugendliche machen dann ihre Diagnose zu einem Teil ihrer Identität. Das ist natürlich eine Gefahr, die schlimmstenfalls eine Chronifizierung des Leidens unterstützt und eine gesunde Entwicklung hemmt. Wichtig ist, dass belastete junge Menschen einerseits Unterstützungsangebote, wie Psychotherapie oder Schulsozialarbeit haben, aber auch mehrere Orte haben, wo sie sich als auch kompetent und selbstwirksam erleben können. Wie eben im Sport, in der Kunst, in Jugendorganisation und eben auch in der Schule.

Bild Michel Gilgen
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Welche Zutaten braucht's, damit Kinder und Jugendliche unter Druck und in Krisen handlungsfähig bleiben?

Meiner Meinung nach braucht es unbedingt im Kindes- und Jugendalter zuverlässige, zugewandte Bezugspersonen, an die sich Kinder und Jugendliche wenden können, wenn sie Schwierigkeiten haben oder psychisch belastet sind.  Wünschenswert wäre es natürlich, dass dies in jeder Familie vorhanden ist, aber auch aufmerksame Lehrpersonen, Schulsozialarbeiter oder Menschen aus dem Umfeld (Nachbarn, etc) können da sehr wertvoll sein, wenn zuverlässige Bezugspersonen  im engsten Umfeld der Kinder und Jugendlichen fehlen sollten. 

In manchen Ländern, ich glaube einen Bericht aus England dazu gehört zu haben, werden in der Schule auch Techniken vermittelt, die den Schülerinnen und Schülern helfen sollen beim Umgang mit schwierigen Emotionen und die emotionale Selbstregulation unterstützen sollen (Achtsamkeitstechniken, Meditation etc). Aber auch Tätigkeiten, die ein „Flow“-Erleben ermöglichen sind sehr wertvoll für Heranwachsende. Da bietet der schulische Kontext häufig bereits sehr viel um solche Erfahrungen machen zu können: Sei es im Sport, beim Musik machen, beim der künstlerischen Betätigung oder beim Zeit in der Natur verbringen. Es ist wichtig, dass junge Menschen auch weiterhin in der Schule mit solchen Angeboten in Kontakt kommen und dies als Ressource für ihr Leben zur Verfügung haben. Dies nutzt letztlich auch ihrer psychischen Resilienz. 


* Dr. med. univ. Martina Treves hat in Wien studiert und in den Bereichen der Neuropädiatrie und Erwachsenenpsychiatrie in Wien gearbeitet. 2012 Umzug in die Schweiz, Facharztausbildung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Kanton Zürich und ab 2015 in Triaplus AG bzw. den Vorläuferinstitutionen absolviert. Seit Januar 2022 leitende Ärztin in der ambulanten Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Baar, Triaplus AG. Interessensgebiete: Psychotraumatologie und Arbeit mit Familien mit jungen Kindern (Baby-Kleinkind-Sprechstunde).

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