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13.02.2023

Sexualität und Schule: gute Argumente

13.02.2023
Auch Rechte brauchen gute Argumente. Überlegungen zum Sexualkundunterricht an den Schulen.
CS & AS
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Gute Argumente für den sexualkundlichen Unterricht und Sexualaufklärung in der Schule sind wichtig. Zum Beispiel um die Eltern dafür zu gewinnen. Ausser Frage steht, dass die Kinder und Jugendlichen ein Recht auf Sexualaufklärung in der Schule haben.

Von Christine Sieber und Annelies Steiner*

 Wir alle wissen, dass eine alters- und entwicklungsangepasste Sexualaufklärung für Kinder und Jugendliche von grosser Bedeutung ist. Auch die öffentliche Gesundheit hat ein Interesse, Sexualaufklärung zu fördern, da sie ungewollte Schwangerschaften, Übertragungen von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen sowie sexualisierte Gewalt vermindert. Lange lag der Fokus der Sexualaufklärung vor allem auf der Risikoprävention, seit dem Jahr 2000 wird dieser jedoch zunehmend vom ganzheitlichen Ansatz der Sexualaufklärung abgelöst. Ganzheitliche Sexualaufklärung geht davon aus, dass Sexualität grundsätzlich etwas Positives ist und dass die sexuelle Entwicklung ein lebenslanger Lernprozess ist, den es zu begleiten gilt. Ganzheitliche Sexualaufklärung beruht auf den Menschenrechten, stärkt die Selbstbestimmung und zeigt die Grenzen der eigenen Freiheiten auf. Die WHO-Europa und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Deutschland haben diese Grundsätze aufgegriffen und daraus die «Standards für ganzheitliche Sexualaufklärung in Europa»[1] entwickelt.

Sexualität und Schule, Foto Michel Gilgen
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Diese Standards definieren Sexualaufklärung wie folgt: «Sexualaufklärung befähigt Kinder und Jugendliche, Entscheidungen zu treffen, die ihr Leben qualitativ bereichern und zu einer von Mitgefühl und Gerechtigkeit geprägten Gesellschaft beitragen. […] Darüber hinaus sollten international anerkannte Menschenrechte die Grundlage für Sexualaufklärung bilden. Dies gilt insbesondere für das Recht auf Information, das Vorrang vor der Prävention von Krankheiten und Gesundheitsbeeinträchtigungen hat» (WHO-Regionalbüro für Europa und BZgA, 2011, S.22).

Wer Sexualaufklärung unterrichtet weiss, dass Kinder und Jugendliche Fragen zum gesamten Spektrum der Sexualität haben und nicht nur zur Fortpflanzung oder zu sexuell übertragbaren Infektionen. Dabei geht es – je nach Altersstufe – um Fragen wie «Was bedeutet homosexuell?», «Wie flirte ich am besten?», «Wie viel blutet die Frau während ihrer Tage?», «Welche Sexualpraktiken gibt es?», «Mache ich mich strafbar, wenn ich einen Porno gucke?», «Ist Selbstbefriedigung schädlich?», «Entwickelt sich mein Körper normal?». Doch wie lässt sich eine ganzheitliche Sexualaufklärung in der Schule umsetzen? Welche Rolle haben Eltern oder Lehrpersonen in Bezug auf Sexualaufklärung? Welche Argumente stärken das Recht auf Sexualaufklärung, welche sich im Spannungsfeld zwischen Privatsphäre und öffentlicher Gesundheit befindet? Und gibt es dafür eine rechtliche Grundlage? Diesen Fragen gehen wir in diesem Beitrag nach.

Die Rolle der Eltern und anderen Erziehungsberechtigten
Die Eltern tragen die Hauptverantwortung für die Sexualaufklärung ihrer Kinder. Sie wird als informelle Sexualaufklärung bezeichnet (im Unterschied zur formalen Sexualaufklärung durch Lehrpersonen oder externe Fachpersonen, die sich vom Lehrplan 21 ableitet). Sie sollten über Inhalte und Ziele des sexualkundlichen Unterrichts an der Schule informiert sein. Dies kann an Elternveranstaltungen erfolgen, wo sie mit den Lehrpersonen oder externen Fachpersonen der sexuellen Gesundheit diskutieren können.

Sexualität und Schule, Schulinfo Zug, Foto Michel Gilgen
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Die Rolle von Lehrpersonen und externen Fachpersonen
Lehrpersonen greifen Themen über Beziehung und Sexualität gemäss Lehrplan auf. Die Schule sorgt dafür, dass alle Kinder und Jugendlichen zu ihrem Recht auf Sexualaufklärung kommen. Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Chancengerechtigkeit; denn nicht alle Kinder und Jugendlichen werden durch das soziale Umfeld in ausreichendem Masse aufgeklärt.
Schulexterne Fachpersonen der sexuellen Gesundheit ergänzen also idealerweise die schulische Sexualaufklärung. Im Kanton Zug ist eff-zett das Fachzentrum eine wichtige Ansprechstelle (siehe Kasten). Diese externen Fachpersonen arbeiten tagtäglich in den Themenfeldern der sexuellen Gesundheit. Auch die vom BAG in Auftrag gegebene Situationsanalyse zur Sexualaufklärung in der Schweiz misst schulexternen Fachpersonen eine bedeutende Rolle zu. Sie weist 2017 in ihrem Bericht «auf den Vorteil hin, dass bei SA (Sexualaufklärung) durch schulexterne Fachpersonen eine sachdienliche Rollentrennung zwischen beurteilender Lehrperson und beratender Person für intime Themen möglich ist.» [2] Des Weiteren wird im Bericht festgehalten, dass im Bereich der Ausbildung der Lehrpersonen in der Deutschschweiz Handlungsbedarf besteht und die Zusammenarbeit zwischen Schulbehörden und schulexternen Fachstellen der Sexualpädagogik gestärkt werden müsste.

Recht auf Sexualaufklärung
Der rechtliche Anspruch auf Sexualaufklärung resultiert aus dem Recht auf Bildung und Information aller Kinder und Jugendlicher die in der Schweiz leben, Kinderrechtskonvention, Art. 28 und Art. 29 und dem Anspruch jedes Kindes auf Grundschulunterricht, Bundesverfassung, Art. 19. Weiter ist Sexualaufklärung eine kantonale Aufgabe gemäss Bundesverfassung, Art. 62 (1-4): Die Kantone sind für die öffentliche Bildung zuständig. Sie sorgen für eine angemessene Grundausbildung für alle Kinder, die in öffentlichen Schulen kostenlos ist. Kinder mit Behinderungen haben das Recht auf Sonderschulbildung. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2017 wertet das Recht auf obligatorischen sexualkundlichen Unterricht so hoch, dass dadurch das Recht auf Privat- und Familienleben und die Glaubens- und Religionsfreiheit nicht verletzt werden[3]. 

Drei zentrale Argumente (nicht abschliessend), welche für die Sexualaufklärung sprechen

  • Schulische Sexualaufklärung ist für viele Kinder und Jugendliche eine wichtige Grundlage für die Bildung zu sexueller Gesundheit, die sich über die gesamte Lebensspanne erstreckt. Sexualaufklärung stärkt die Lebenskompetenzen [4] und fördert die Kenntnis der sexuellen Rechte [5]. Dadurch wird ein respektvoller Umgang mit den Mitmenschen und das Bewältigen von schwierigen Situationen gefördert. Sexualaufklärung erfüllt damit ein wichtiges Anliegen der öffentlichen Gesundheit in Bezug auf Kinder und Jugendliche.
  • Studien zeigen, dass das Interesse von Jugendlichen im Bereich der Sexualaufklärung weit über Themen der Reproduktion und Prävention von sexualitätsbezogenen Risiken hinausgeht [6]. Viele Kinder und Jugendliche machen im Umfeld der Schule erste Erfahrungen mit Verliebtsein, Beziehungen und Sexualität. Die Schule bildet somit den idealen Ort, um wohlwollend an diese Erfahrungen anzuknüpfen, die Schülerinnen und Schüler in ihrem Interesse abzuholen und es ihnen zu ermöglichen, sich Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen anzueignen, die ihnen für die weitere Entwicklung nützlich sein werden.

  • Auch wenn Sexualerziehung primär Aufgabe der Eltern oder engen Bezugspersonen ist, können nicht alle Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern über alle Themen der Sexualität sprechen. Wenn gewisse Themen der Sexualität in der Familie ein Tabu sind (nicht-heterosexuelle Orientierungen, Transgender-Identität, Sexualität von Menschen mit Behinderung, sexualisierte Gewalt usw.), kann Sexualaufklärung eine Lücke füllen, indem Kindern und Jugendliche erfahren, wo sie Antworten auf ihre Fragen und professionelle und vertrauliche Unterstützung erhalten. Diese Unterstützung ist für die Entwicklung der sexuellen Identität wesentlich.

Verschiedene Antworten auf politische Vorstösse und Berichte haben aufgezeigt, dass die ganzheitliche Sexualaufklärung international, aber auch in der Schweiz, breit abgestützt und evidenzbasiert ist. Nichtsdestotrotz gibt es nach wie vor grosse regionale Unterschiede bezüglich der Quantität und der Qualität von Sexualaufklärung in der Schweiz. Es ist an der Zeit, mehr Energie in die Umsetzung der ganzheitlichen Sexualaufklärung zu investieren. Die Expertise von Fachstellen für sexuelle Gesundheit sollte breiter genutzt werden, Lehrpersonen sollten vermehrt sexualpädagogisch aus- und weitergebildet werden und Eltern oder Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen sollten stärker mit ins Boot geholt werden, damit alle Kinder und Jugendliche überall in der Schweiz von ihrem Recht auf Bildung und Information profitieren können.


SEXUELLE GESUNDHEIT SCHWEIZ ist die Dachorganisation der Beratungsstellen, Fachorganisationen und Fachpersonen, die im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der Sexualaufklärung in der Schweiz tätig sind. Sie ist Partnerin vom Bundesamt für Gesundheit bei der Umsetzung des Nationalen Programms HIV und andere sexuell übertragbaren Infektionen (NPHS). SEXUELLE GESUNDHEIT SCHWEIZ engagiert sich auf nationaler sowie auf internationaler Ebene für eine umfassende Sexualaufklärung und die Promotion und Einhaltung der sexuellen Rechte. SEXUELLE GESUNDHEIT SCHWEIZ ist akkreditiertes Mitglied der International Planned Parenthood Federation (IPPF).

Angebote Lehrpersonen von eff-zett das fachzentrum
Wir von (Link:) eff-zett das fachzentrum bieten sexualpädagogische Unterrichtseinheiten für Kinder und Jugendliche verschiedener Altersstufen an. Die Inhalte sind auf den Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen abgestimmt, können jedoch bei Bedarf auch variieren.

6. Klasse (Workshop 1 ¾ Stunden mit 2 Kursleitenden)
Die Kinder setzen sich auf spielerische Art mit den körperlichen Veränderungen der Pubertät auseinander und erhalten die Möglichkeit in einer geschlechtergetrennten Sequenz ihre Fragen zu stellen.

1.Oberstufe (Workshop 2 ½ Stunden mit 2 Kursleitenden)
Wir sprechen über erste Freundschaften und wie man einander nahe kommen kann. Körpersprache und Selbstbestimmung spielen dabei eine grosse Rolle. In der geschlechtergetrennten Sequenz geht es um das Kennenlernen des eigenen Körpers und um Verhütungsmethoden. Die Jugendlichen haben wiederum die Möglichkeit Fragen zu stellen.

2.Oberstufe (Workshop 2 ½ Stunden mit 2 Kursleitenden)
Erwartungen und Bedürfnisse in Bezug auf Beziehung und Freundschaft werden gemeinsam diskutiert. In der Geschlechtertrennung stehen Sexualität, Geschlechtsverkehr und Verhütung im Vordergrund.  Auch hier bleibt viel Platz für die Fragen der Jugendlichen.

3. Oberstufe (Fragestunde mit einer Expert*in für ein- oder zweimal 45 Minuten, je nach Bedarf)
Die Jugendlichen werden nicht mehr nach Geschlecht aufgeteilt. Gemeinsam wird über verschiedene Arten der Sexualität diskutiert und die Jugendlichen haben die Möglichkeit, ihre Fragen anonym einzubringen.

Berufsschule (Workshop 2 ½ Stunden mit 2 Kursleitenden)
Die jungen Erwachsenen tauschen sich über unterschiedliche Bedürfnisse und Einvernehmlichkeit aus. Danach gibt es einen Postenlauf, um vorhandenes Wissen zu Sexualität zu vertiefen und neues Wissen zu erlangen.

Daneben bietet eff-zett das Fachzentrum Einzelberatungen und Gruppenworkshops für Lehr und Fachpersonen an, um sie bezüglich sexualpädagogischer Inhalte zu unterstützen. Zusätzlich leihen wir sexualpädagogische Materialien aus.
Kontaktieren Sie uns gerne bei Fragen und Anliegen zum Thema. ssb@eff-zett.ch oder 041 725 26 40 


*Von Christine Sieber und Annelies Steiner, SEXUELLE GESUNDHEIT SCHWEIZ, dem Dachverband der Fachstellen sexuelle Gesundheit

Quellen

  1. WHO-Europa & BZgA (2011). Standards für die Sexualaufklärung in Europa. Rahmenkonzept für politische Entscheidungsträger, Bildungseinrichtungen, Gesundheitsbehörden, Expertinnen und Experten, Köln. Online gefunden am 7.12.2022: 
    https://www.bzga-whocc.de/fileadmin/user_upload/BZgA_Standards_German.pdf

  2. Expertenbericht Sexualaufklärung in der Schweiz. Arbeitsdokument und Grundlage zur Erfüllung des Postulats 14.4115 Regazzi. Online gefunden am 7.12.2022: https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/mt/p-und-p/diverses/expertenbericht-sexualaufklaerung.pdf.download.pdf/expertenbericht-sexualaufklaerung.pdf S.82.
  3. Urteil EGMR A.R. und L.R. gegen die Schweiz von 19.09.2017.
  4. Lebenskompetenzen gemäss WHO (2003): Kompetenzen, die es einer Person erlauben, Herausforderungen des täglichen Lebens zu bewältigen. Dazu gehören Selbstwahrnehmung, Empathie, Stressbewältigung, Gefühlsbewältigung, Kommunikationsfertigkeit, kritisches Denken, kreatives Denken, Entscheidungsfähigkeit, Problemlösefähigkeit und Beziehungsfähigkeit. Online gefunden am 7.12.2022: http://www.who.int/iris/handle/10665/42818
  5. Sexuelle Rechte gemäss IPPF (2009): Sexualitätsbezogene Menschenrechte, die aus dem Recht aller Menschen auf Freiheit, Gleichstellung, Privatsphäre, Selbstbestimmung, Integrität und Würde abgleitet werden. Zugriff 7.12.2022: https://www.ippf.org/sites/default/files/ippf_sexual_rights_declaration_german.pdf
  6. IUMSP-Studie (2018). Online gefunden am 7.12.2022: https://www.iumsp.ch/Publications/pdf/rds291_fr.pdf S. 89.

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