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04.04.2022

Überfachliche Kompetenzen – Sicht Wissenschaft

04.04.2022
Überfachliche Kompetenzen, Sicht Wissenschaft
KMMDC
Bild Legende:
Katharina Maag Merki* und Miriam Compagnoni**

Überfachliche Kompetenzen sind nicht neu und überfachliche und fachliche Kompetenzen gehören untrennbar zusammen. Prof. Katharina Maag Merki und Dr. Miriam Compagnoni von der Universität Zürich werfen einen wissenschaftlichen Blick auf das Fokusthema "Überfachliche Kompetenzen".

Frau Compagnoni, wie erklären Sie Ihrer Tochter, was überfachliche Kompetenzen sind?
Gerade letzte Woche habe ich das meiner 11-jährigen Tochter etwa folgendermassen erklärt: «In der Schule hast du ja Fächer wie Musik, Englisch, Mathe oder Sport. Um aber rechnen zu lernen, musst du nicht nur die Matheinhalte trainieren oder um im Unihockey besser zu werden, brauchst du nicht nur Übung im Stickhandling. Du musst dich zum Beispiel auch konzentrieren können, eigene Lösungswege ausprobieren und mit anderen zusammenarbeiten können, du musst deine Meinung vertreten können und wissen, wie du auf eine Prüfung lernen kannst. Das sind alles überfachliche Kompetenzen und die nützen dir nicht nur für das Lernen in den Fächern, sondern das ganze Leben lang - egal ob du dann Astronautin, Wildhüterin oder Primarlehrerin wirst. 

Frau Maag, woher kommt die Popularität der überfachlichen Kompetenzen?
Das ist eine spannende Frage, denn eigentlich sind überfachliche Kompetenzen nichts Neues. Schon 1971 beschrieb Heinrich Roth Sozial- und Selbstkompetenzen neben Sachkompetenzen als zentral zur Erreichung menschlicher Handlungsfähigkeit. Das floss schon damals in die Lehrpläne ein, allerdings eher als allgemeine Bildungsziele. Einen möglichen Grund für die Popularität sehe ich in dem durch Digitalisierung, Globalisierung, Pandemie oder Krieg ausgelösten Bewusstsein, dass wir als Gesellschaft die Kinder auf eine ungewisse Zukunft vorbereiten müssen. Und dass dafür neben der Fachkompetenz vor allem andere Kompetenzen zentral sind. Früher wurde oft auch von Schlüsselqualifikationen oder Schlüsselkompetenzen gesprochen. Heute spricht man eher von 21st Century Skills. Ein Begriff, der gewisse Überschneidungen mit einer Definition überfachlicher Kompetenzen beinhaltet. Allerdings sind diese Begriffe irreführend, da sie suggerieren, dass das fachliche Lernen nicht mehr zentral ist. Das Gegenteil ist aber der Fall: Überfachliche und fachliche Kompetenzen bedingen sich gegenseitig. Ein weiterer Grund könnte im bildungspolitischen Bereich auch sein, dass verschiedenste Forschungsteams gezeigt haben, dass überfachliche Kompetenzen in der Schulpraxis noch wenig systematisch gefördert werden.

Wie werden überfachliche Kompetenzen am besten gefördert? Was weiss man hierzu aus der Forschung, Frau Compagnoni?
Wichtig ist, dass die überfachlichen Kompetenzen in den Regelunterricht integriert und nicht losgelöst von fachlichen Inhalten vermittelt werden. Idealerweise planen die Lehrpersonen in ihren Teams zu jeder inhaltlichen, fachlichen Thematik immer auch überfachliche Kompetenzziele mit ein. Verschiedenste Forschungsergebnisse zeigen, dass es sinnvoll ist, direkte und indirekte Fördermassnahmen zu kombinieren. «Indirekt» meint über Lernaufgaben und das Lernumfeld, die ein Training überfachlicher Kompetenzen ermöglichen. Das heisst ein herausforderndes, autonomieförderndes Umfeld, das Fehler und Übungsphasen zulässt und an offenen Aufgaben Selbst-, Methoden- und Sozialkompetenzen trainiert werden können. «Direkt» meint beispielsweise, dass die Lehrpersonen Lernstrategien oder Konfliktlösungsstrategien explizit vorzeigen und einüben, oder im Kindergarten Impulskontrolle gezielt trainieren - da gibt es hervorragende Spielesammlungen dazu. Wichtig ist, dass man den Kindern kommuniziert, was sie lernen und sie auch im Bereich der überfachlichen Kompetenzen regelmässig ein Feedback bekommen – nur schon in Form von Lob. Je weniger die  Schülerinnen und Schüler eine ÜK beherrschen, umso eher wird sie direkt vermittelt

Und wie beurteilt?
Beurteilen ist ein schwieriges Wort im Kontext überfachlicher Kompetenzen. Ein faires Urteil zu fällen ist für Lehrpersonen sehr schwierig bis fast unmöglich. Ganz sicher kann sie auf Grund der Anzahl vergessener Hausaufgaben eines Kindes nicht direkt auf die Selbstkompetenz schliessen. Für eine gute Beurteilung müssten verschiedene Sichtweisen (Fachpersonen, Eltern, Kinder, Performanztests) in verschiedenen Situationen, in verschiedenen Fächern zu verschiedenen Facetten von Selbstkompetenzen miteinbezogen werden. Eine kaum leistbare Aufgabe. Zusätzlich kommt hinzu, dass sich weder in der Wissenschaft noch im Lehrplan 21 klar definierte Grundansprüche und Kompetenzstufen finden lassen. Ich vertrete deshalb die Ansicht, dass überfachliche Kompetenzen vorzugsweise formativ z. B. mittels eines förderorientierten Gesprächs beurteilt werden. Der Fokus muss dabei auf individuellen Lernfortschritten in ausgewählten überfachlichen Kompetenzen liegen. Ein schulinternes Konzept schafft hier Transparenz und stärkt auch die Reflexion und den Dialog im Kollegium. [Anmerkung der Redaktion: im Mai 2022 berichten wir über den Zuger Ansatz zur überfachlichen Beurteilung und die Akzeptanzstudie des Kantons Zug, in die eine Million Rückmeldungen zu den vorgeschlagenen, zyklenspezifischen Indikatoren einflossen, die den Lehrpersonen die Förderung und Beurteilung von überfachlichen Kompetenzen ermöglichen sollen].

Frau Maag, inwiefern bleiben Fachkompetenzen wichtig?
Keines ist ohne das andere möglich – Fach- und überfachliche Kompetenzen sind untrennbar verbunden. Überfachliche Kompetenzen, beispielsweise soziale Kompetenzen, lernen die Schülerinnen und Schüler in Gruppenarbeiten im Fachunterricht, wenn sie gemeinsam einen Fachinhalt erarbeiten. Allerdings ist es wichtig, wie schon erwähnt, dass die Lehrpersonen am Ende der Gruppenarbeit nicht nur das Fachergebnis in Mathematik beispielsweise bespricht, sondern auch die Zusammenarbeit in der Gruppe. Dies wird in der Schule noch zu wenig gemacht. Wünschenswert wäre eine stärkere Förderung überfachlicher Kompetenzen durch die Lehrpersonen, da überfachliche Kompetenzen mit Erfolg und Wohlbefinden in der Schule, Freizeit und Familie zusammenhängen und den Erwerb von fachlichen Kompetenzen über die gesamte Lebensspanne unterstützen.

Die Auseinandersetzung und Aneignung findet zwischen den Polen "Überfachliche Kompetenzen sind nix Neues unter der Schulsonne" und "Volle Konzentration auf die überfachlichen Kompetenzen, für Fachkompetenzen gibt's Maschinen" statt. Braucht's eine Balance und wie gelänge diese? Was raten Sie, Frau Compagnoni?
Gerade weil es „nichts Neues unter der Schulsonne“ ist, kann man als Lehrperson und als Schule schon auf sehr gute Grundlagen aufbauen und diese weiterentwickeln. Da überfachliche Kompetenzen nicht ohne fachliche Inhalte gelernt werden können und andererseits nötig sind, um Fachkompetenzen zu erwerben, sehe ich auch gar keine Gefahr, dass wir plötzlich fachlich völlig inkompetente Schüler und Schülerinnen haben, die nur noch Maschinen bedienen müssen. Im Gegenteil, durch die Förderung überfachlicher Kompetenzen werden die Schüler und Schülerinnen auch ihre fachlichen Kompetenzen längerfristig steigern können. So wissen wir beispielsweise, dass Schülerinnen und Schüler, die gelernt haben, ihr eigenes Lernen aktiv zu gestalten, an neue Herausforderungen anzupassen oder aus Fehlern zu lernen, besser in der Lage sind, Fachinhalte zu verstehen. Durch die Förderung von überfachlichen Kompetenzen gelingt es somit besser, fachliche Kompetenzen zu stärken; und umgekehrt: in dem die Schülerinnen und Schüler in der Schule anspruchsvolle (aber nicht überfordernde) Lernaufgaben bearbeiten, lernen sie auch, sich selber adäquat einzuschätzen und Strategien anzuwenden, um jenen Dinge, die sie noch nicht verstanden haben, auf den Grund zu gehen.  


* Frau Prof. Katharina Maag Merki ist seit 2009 Professorin für Pädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich. Sie war ursprünglich Primarlehrerin und studierte dann Pädagogik und Psychologie an der Universität Zürich. Nachdem sie 2000 ihre Promotion zum Thema ‘Überfachliche Kompetenzen’ abgeschlossen hat, war sie u. a. für vier Jahre als Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Frankfurt/Main und an der Pädagogischen Hochschule Freiburg/Brsg. tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Schulentwicklung, Schulqualität, Educational Governance und Selbstreguliertes Lernen.

** Frau Dr. Miriam Compagnoni arbeitet als Oberassistentin am Lehrstuhl von Frau Prof. Katharina Maag Merki am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich. Sie ist ausgebildete Primarlehrerin, studierte Psychologie, Pädagogik und Arbeitsrecht an der Universität Zürich und promovierte in Erziehungswissenschaft. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Selbstregulation, Selbstkonzepte, überfachliche Kompetenzen und Schul- und Unterrichtsentwicklung.

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