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31.03.2021

Problemverhalten ist ein Problem

31.03.2021
Umgang mit Problemverhalten
PM
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Schülerinnen und Schüler mit Problemverhalten sind ein Problem an der Schule. Sie stören die anderen Kinder und belasten die Lehrpersonen. Der Weg führt über eine gemeinsame Kultur im Umgang mit Problemverhalten, die im ganzen Schulhaus gelebt und eingefordert wird. Auch niederschwellige, separative Gefässe auf Zeit leisten einen Beitrag zur Beruhigung.

Von Peter Müller*

Sven macht Probleme
Die Lehrperson der 1. Klasse meldet sich bei uns telefonisch. Sie beschreibt Sven, der ihr grosse Sorge bereitet. Sven wächst dreisprachig auf. In der Klasse provoziert er andere Kinder massiv. Die Schule findet er ‘blöd’, oft verweigert er die Arbeit. Sven kann richtig jähzornig werden. Unverständlich ist, dass Sven immer wieder von «Pitschi» erzählt. Im Kreis, wenn die Kinder vom Wochenende erzählen, ruft Sven ‘einfach so’: «Pitschi, Pitschi, Pitschi, Pitschi». Alles Nachfragen nutzt nichts. Er benutzt das Wort, wenn er wütend ist oder die Aufmerksamkeit sucht. Im Rechnen ist er super. Er hat Mühe sich selbst zu beschäftigen. Für das Anziehen und den Schulweg braucht er ‘ewig’. Auf der Strasse und am Wasser ist es gefährlich mit ihm. Kürzlich führten sie eine Feuer-Alarm-Übung im Schulhaus durch. Sven reagierte panisch. Er meinte danach: «Ich glaube, heute brauch ich 10 Minuten länger Pause». «Pitschi» ist wie ein Signalwort. Irgendetwas verbindet Sven mit «Pitschi». Oft taucht Sven in seine Welt ab. Er ist dann kaum mehr erreichbar. Was geht in Sven vor? Die Lehrperson fragt sich, ob ein ASS (Autismus-Spektrum-Störung) der Grund dafür sein könnte.

Es geht um Schülerinnen und Schüler (SuS), welche «auffallen», welche sich nicht so verhalten wie wir es von einem «normalen Kind» erwarten. Diese Schüler, es sind mehrheitlich Buben (dazu folgt im November 2021 der Beitrag «Problemverhalten und Psyche»), so sagen wir heute, ‘haben einen besonderen Bildungsbedarf’. Der Umgang mit diesen SuS ist sehr herausfordernd. Nicht nur die SuS haben einen besonderen Bedarf, auch die Schulen sind gefordert, ihre Kompetenzen im Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten immer wieder zu hinterfragen und zu erweitern.

Das Konzept Sonderpädagogik (KOSO) legt fest, dass zuerst immer vor Ort mit den Mitteln der «besonderen Förderung» (bF), mit sog. «einfachen Massnahmen» unterstützt werden soll. Die Massnahmen erfolgen gestuft (dazu folgt im Mai 2021 der Beitrag Stufen der Verhaltensauffälligkeit). Erst wenn die Stufen durchlaufen sind, die Massnahmen der bF nicht ausreichen, können weitere Massnahmen, sog. «verstärkte Massnahmen» (Sonderschulung), geprüft werden.

Das KOSO unterscheidet die Behinderungsarten «geistige Behinderung», «Sehbehinderung», «Hörbehinderung», «Körperbehinderung», «schwere Sprach- und Kommunikationsbehinderung» und eben «schwere Verhaltensauffälligkeit». Die geistige, die Seh-, Hör- und Körperbehinderung sind, ich nenne sie Hardfact-, Behinderungen. Der Bedarf ist «eigentlich», d.h. in den meisten Fällen, eindeutig und objektiv festzustellen. Mitgegeben sind immer traurige Schicksale des Lebens. Es ist klar, diese SuS brauchen besondere Unterstützung. Etwas schwieriger wird es bei den «Sprach- und Kommunikationsstörungen». Die Fakten sind nicht immer eindeutig (Softfacts). Am schwierigsten zu diagnostizieren, damit im Alltag umzugehen und die richtigen Massnahmen zu planen sind die «Verhaltensauffälligkeiten».

Wenn Lehrpersonen gefragt werden, was sie am meisten belastet, werden die Unterrichtsstörungen im Schulalltag regelmässig als DAS Problem geschildert. Der Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten kann unglaublich schwierig sein. Es ist deshalb dringend, dass wir uns eingehender damit beschäftigen. Versuchen wir, eine Ordnung zu schaffen. Was meinen wir mit Problemverhalten in der Schule, mit Verhaltensauffälligkeiten? Wie werden diese beschrieben? Was sind die Ursachen? Welche Formen gibt es? Was können wir tun?

Urban Jungle by Michel Gilgen
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Die Kategorisierung von Verhaltensauffälligkeiten

Es gibt unzählige Ansätze, die Verhaltensauffälligkeit zu beschreiben und einzuteilen. Blickwinkel bestimmen unsere Sicht der Dinge. So ist es auch mit den Erklärungsansätzen zur Verhaltensauffälligkeit: Je nach Perspektive (medizinisch, psychologisch, pädagogisch) stellen sich die Auffälligkeiten anders dar. Bitte beachten Sie, dass ihr eigener Standpunkt die Erscheinung entscheidend mitdefiniert. Das beinhaltet, dass Ihre Sichtweise über die Verhaltensauffälligkeit, auch ihre Kompetenzen im Umgang mit Auffälligkeiten das Erscheinungsbild mitdefiniert. Wir kommen später darauf zurück. Bekannt ist die ärztliche oder psychologische Perspektive mit der ICD, der internationalen Klassifikation der Krankheiten. Davon unterscheide ich unsere pädagogische Perspektive, welche die Phänomene so wie sie uns erscheinen beschreibt.

Die Hochschule für Heilpädagogik in Zürich hat im Herbst 2019 eine Literaturrecherche zum Problemverhalten an der Schule sowie eine Befragung der Beteiligten veröffentlicht (Müller, X., Sigrist, M. (2019): Bedarfsanalyse zum Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten in der Schule. Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich). Die Arbeit beschreibt die Phänomene so wie wir sie alltäglich antreffen. Diese Perspektive eignet sich für uns besonders, weil wir daraus Hinweise für unser pädagogisches Handeln ableiten können.

In dieser Arbeit werden die Verhaltensauffälligkeiten in «internalisierende», «externalisierende» und «gemischte» Verhaltensauffälligkeiten unterteilt.

Internalisierende Verhaltensauffälligkeiten

Dazu gehören:

  • Sozialer Rückzug: Allein sein wollen, wenig aktiv sein, häufig traurig sein.
  • Körperliche Beschwerden: Oft intensives Krankheitsgefühl ohne medizinischen Befund, z.B. Kopf- und Bauchschmerzen, Muskelschmerzen, Einschlafprobleme, Erschöpfungszustände.
  • Ängstlichkeit: Generalisierte Angstzustände, Panikstörungen, Phobien, posttraumatische Belastungsstörungen, Zwangsstörungen, Schulangst.
  • Depressivität: Veränderung der Motivation, des Antriebs, des Denkens, des körperlichen Befindens, Niedergeschlagenheit, Traurigkeit, mangelnde emotionale Ansprechbarkeit, Reizbarkeit, Einsamkeit, Schuldgefühle, Lustlosigkeit, Langeweile, Selbstwertzweifel, Verlangsamungen im Bewegen, im Denken, Appetitlosigkeit, Essensverweigerung, Schlafstörung.
  • Suizidalität: Suizid, Suizidversuche und Suizidgedanken. Diese sind bis im Alter von 13 Jahren (Achtung +/-) sehr selten, nehmen dann bis zum Alter von 24 Jahren aber zu.
  • (elektiver) Mutismus: Partielles Schweigen einem fremden Personenkreis gegenüber.

Wir wissen, dass gerade diese Kategorie viel zu oft vergessen wird. Eine grosse Bitte an Sie: Achten Sie nicht nur auf das «laute» Kind. Achten Sie auf sehr ruhige, in sich gekehrte Kinder. Vielleicht sind es viel mehr diese, die Ihre Hilfe brauchen. Auch bei Sven müssen wir uns überlegen, ob sein Verhalten nicht vielmehr als internalisierendes als externalisierendes zu werten ist. Vielleicht ängstigt sich Sven und möchte «gar nicht» auffallen.

Externalisierende Verhaltensauffälligkeiten (dissoziales Verhalten)

Dazu gehören:

  • Aggressives Verhalten
  • Oppositionelles Verhalten
  • Delinquentes, kriminelles Verhalten
  • Schulisches Problemverhalten (Unterrichtsstörungen)

Gemischte Verhaltensauffälligkeiten (keine eindeutige Zuordnung möglich)

  • Soziale Probleme: sozial-unreifes Verhalten, Ablehnung durch Gleichaltrige, unreifes- und erwachsen-abhängiges Sozialverhalten, hyperkinetisches Verhalten.
  • Aufmerksamkeitsprobleme: Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität
  • ADHS: Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom
  • Schulabsentismus, Schulschwänzen, Schulverweigerung
  • Alkohol- und Drogenmissbrauch mit Folgeproblemen, z. B. Begehen von Delikten, riskantes Sexualverhalten


Verhaltensauffälligkeiten belasten - und weitere Erkenntnisse

Die Studie zeigt, dass externalisierende Verhaltensauffälligkeiten, vorab das schulische Problemverhalten mit den Unterrichtsstörungen, das oppositionelle Verhalten und die Aufmerksamkeitsprobleme den Kern der Belastungen für die Lehrpersonen ausmachen. Einige weitere Ergebnisse der Studie, die mich eindrücklich dünken:

  •  Verhaltensauffälligkeiten können oft nicht klar in Kategorien eingeteilt werden. Insbesondere zwischen internalisierenden und externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten bestehen enge Zusammenhänge und Abhängigkeiten. Der Gesamtkontext muss berücksichtigt werden.
  • «Mit Bezug auf die in der Onlinebefragung aufgezeigte hohe Belastung im Zusammenhang mit Verhaltensauffälligkeiten, gilt es die Gesundheit der Lehrpersonen im Auge zu behalten.» Dieser Satz beschreibt worum es geht: Verhaltensauffälligkeiten belasten!
  • Lehrpersonen sind weniger durch schwerwiegende Formen wie z. B. Gewalt belastet. Vielmehr sind es die «harmloseren» aber repetitiven Verhaltensweisen, insbesondere das Reinreden im Unterricht ohne aufgerufen zu werden («Pitschi, Pitschi, Pitschi, Pitschi»), die Lehrpersonen zu schaffen machen.
  • Und eben: Kinder mit internalisierenden Verhaltensauffälligkeiten werden oft übersehen.
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Was können wir tun?
Wir wissen nun: Verhaltensauffälligkeiten sind das zentrale Belastungsmoment im Schulunterricht. Das offene oppositionelle und aggressive Verhalten, die Unterrichtsstörungen und die Aufmerksamkeitsprobleme belasten am meisten. Die oben genannte Studie nennt Massnahmen, die wir treffen können. Für die Lehrperson am wichtigsten ist die nahe personelle Unterstützung und der Austausch unter Kolleg*Innen im Schulhaus. Die Wirksamkeit ist höher je näher die helfende (Fach-)person am Schulgeschehen dran ist. Unterstützend wirken

  • das Mithelfen in der Klasse durch andere (Lehr-)personen
  • die Unterstützung, Beratung durch die Schulische Heilpädagogik
  • der Austausch im pädagogischen Team, Schulteam (interdisziplinärer Austausch)
  • die Intervision (kollegiale Beratung) und Supervision (externe Fallberatung)
  • die Unterstützung durch die Fachpersonen der gemeindlichen Schuldienste und die Schulsozialarbeit
  • den Beizug externer Fachstellen

In der Befragung zeigt sich, dass nicht so sehr die Fachrichtung/Fachausbildung als vielmehr die Nähe zum Unterrichtsgeschehen wirksam ist und als unterstützend erlebt wird. D.h. eine Klassenassistenz wirkt mehr, als eine von der Schule abgekoppelte, weiter entfernte medizinische oder psychologische Fachstelle. Als ebenso wichtiger Faktor werden klar definierten Strukturen und Abläufe (Konzepte), angewendete Programme (Weiterbildungen) und die gemeinsame Kultur im Umgang mit schulischem Problemverhalten genannt. An dieser Stelle kommt die eingangs erwähnte eigene Perspektive und Sichtweise ‘was auffällt’ mit ins Spiel. Ihre Kultur im Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten ist wichtiger Faktor bei der Beschreibung der Auffälligkeit. Was Sie als verhaltensauffällig beschreiben, empfindet ihre Kollegin vielleicht ‘nur’ als ‘originell’.

In der Befragung haben die Schulen folgende als besonders wirksame Programme im Umgang mit Verhaltensauffälligkeit angegeben. Dabei spielt die Stufe (Zyklus) keine Rolle. Die Aufzählung unterscheidet zwischen Präventions- und Interventionsprogrammen.

1. Präventionsprogramme

  • mit Fokus internalisierende Verhaltensauffälligkeiten: Gesundheit und Bewegung: Bewegte Schule - Schule bewegt- Fit4future – Purzelbaum
  • mit Fokus externalisierende Verhaltensauffälligkeiten: Peacemaker, Chili, Faustlos.

2. Interventionsprogramme

  • No Blame Approach
  • Ich schaff’s
  • PFADE
  • Class Room Management
  • Gewaltfreie Kommunikation
  • Neue Autorität
  • und weitere

Unsere Darstellung umfasst eine Auswahl von Programmen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Beispielsweise wird aktuell der Ansatz «Banking Time» als wirkungsvoll diskutiert und in einigen Gemeinden bereits angewendet. Als Spitzenreiter wird das Konzept «Neue Autorität» diskutiert. Es umfasst Werte, Haltungen und verschiedene Interventionsformen und verlangt einen umfassenden und kontinuierlichen Implementierungsprozess. Generell wird darauf hinzuweisen, dass die Wirksamkeit sich nicht am Programm entfaltet, sondern in der gemeinsamen Haltung, im gemeinsam getragenen Konzept zum Umgang mit den Verhaltensauffälligkeiten!

3. Separative Angebote der besonderen Förderung

Im Kanton Zug können die Gemeinden nach wie vor Kleinklassen für besondere Förderung (KKbF) einrichten. Diese Klassen wurden weiterentwickelt hin zu zeitlich beschränkten separativen Gefässen. Beispiele dafür sind der Abklärungs- und Beobachtungsaufenthalt (ABA), welche von verschiedenen Gemeinden gemeinsam geführt wird, die Timeoutklassen oder die Schulinsel. Mit der Beantwortung des (Link:) Postulats Ryser et al. betreffend Integration verhaltensauffälliger Kinder in den Schulbetrieb wird der Ansatz verfolgt, dass solche separativen Gefässe in allen Gemeinden verbindlich vorgeschrieben werden. In Ergänzung zu den integrativen Massnahmen, aber doch rasch bespielbar, sollen die Lehrpersonen in allen Gemeinden auf diese Weise eine praktische Perspektive für den Umgang mit Problemverhalten erhalten.

Wir befinden uns nach wie vor auf der Ebene der schulhausnahen, gemeindlichen (sog. einfachen) Massnahmen der «besonderen Förderung» (bF). Die Gemeinden sind für die Umsetzung zuständig. Sie können, sie müssen die Massnahmen selber konzeptualisieren, organisieren und auch finanzieren. Der Kanton beteiligt sich mit der sogenannten «Normpauschale» finanziell sowie konzeptuell mit dem «KOSO», den «Richtlinien besondere Förderung» und mit der «Orientierungshilfe» an dieser besonderen Förderung.

4. Weitere Massnahmen

 Der Beizug externer Dienste ist eine weitere Massnahme, welche oft getroffen wird, um dem Problemverhalten einzelner SuS zu begegnen. Dazu zählen der Beizug

  • der gemeindlichen Sozialdienste sowie der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB)
  • des kinder- und jugendpsychiatrischen Dienstes
  • der Kinder- und Fachärzte
  • privat tätiger Therapeutinnen und Therapeuten sowie Fachstellen
  • ausserkantonaler Fachstellen

 Die Unterstützung durch externe Dienste ist oft schwierig, da diese nicht in die Strukturen und Abläufe der gemeindlichen Schule «passen». Es stellen sich regelmässig Fragen zum Timing, zur Zuständigkeit und Finanzierung.

 5. Verstärkte Massnahmen - Sonderschulung

 Wenn die Massnahmen der besonderen Förderung getroffen wurden und doch nicht ausreichen, kann via Rektorat an den Schulpsychologischen Dienst (SPD) ein Auftrag zur Bedarfsabklärung für verstärkte Massnahmen (Sonderschulung) erteilt werden.

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Zusammenfassung, Veranschaulichung und Begriffe

Verhaltensauffälligkeiten, insbesondere die Unterrichtsstörungen, sind für Lehrpersonen DER grosse Belastungsfaktor. Zur Beschreibung dieser Auffälligkeiten eignet sich die pädagogische Perspektive, welche die Phänomene beschreibend in internalisierte, externalisierte und gemischte Verhaltensauffälligkeiten einteilt. Auch wenn die externalisierenden besonders belasten, dürfen wir die internalisierenden Verhaltensauffälligkeiten nicht vergessen. Bei den Massnahmen ist eindeutig, dass die direkte personelle Unterstützung im Klassenunterricht durch eine weitere (Fach-)person am besten wirkt. Je näher eine Unterstützungsperson am Schulgeschehen teilnimmt, desto besser die Wirkung. Danebst gehört der interdisziplinäre Austausch im Team dazu. Als Grundlage aller Massnahmen sind eine klar definierte Struktur und klar definierte Abläufe (Konzepte) im Schulhaus, die Auseinandersetzung mit dem Thema und der eigenen Sicht- und Handlungsweise anhand von bekannten wirksamen Programmen sowie die gemeinsame Kultur im Umgang mit schulischem Problemverhalten zu nennen. Der Beizug externer Beratungsstellen kann ein weiterer Schritt sein. In Ergänzung zu den integrativen Massnahmen verfolgt die Direktion für Bildung und Kultur den Ansatz, dass zukünftig alle Gemeinden über niederschwellige, zeitlich beschränkte separative Gefässe verfügen müssen (Schulinseln o. Ä.). Wenn alle Massnahmen ausgeschöpft sind, kann die Frage  nach verstärkten Massnahmen (Sonderschulung) gestellt werden.

Die folgende Grafik dient der Veranschaulichung und Zusammenfassung:

Grafik Intervention und Prävention bei Problemverhalten
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Empfehlungen aus schulpsychologischer Sicht und Ausblick

  • Wir empfehlen, die oben genannte Terminologie zur Beschreibung der Verhaltensstörungen anzuwenden. Eine gemeinsame Sprache vereinfacht das gemeinsame Gespräch.
  • Da das Problemverhalten von SuS belastet und die Auffälligkeiten an den Schulen eher noch zunehmen, sind die Schulen gefordert, sich einen «Werkzeugkoffer» zur Bewältigung der Situationen anzulegen. Als Inhalte empfehlen wir die in der obigen Grafik dargestellten Elemente. In der Arbeit der Hochschule für Heilpädagogik (HfH) finden sich dazu alle Detailangaben.

Massnahmen zu treffen, Angebote einzurichten, Ressourcen zu verteilen, ist schwierig. Der Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten erfordert ein gestaffeltes Vorgehen mit «Augenmass». Einzelne Kantone haben dazu ein Stufenmodell entwickelt. Auch wir machen uns dazu Gedanken (dazu folgt im Mai 2021 der Beitrag Stufen der Verhaltensauffälligkeit).

Und Sven?
Bei Sven fand ein Schulbesuch statt. Die Spurensuche nach den Ursachen und Zusammenhängen der Auffälligkeiten beinhaltete auch verschiedene Abklärungen bei Fachpersonen und viele Beratungsgespräche mit den Beteiligten. Für den Unterricht hat die Lehrperson für «Pitschi» einen «Unterstand gebaut». Dort bleibt «Pitschi» bis nach der Schule für sich allein. Trotzdem treten immer wieder Störungen auf. Bei Bedarf steht der Klassenlehrperson, nebst der Schulischen Heilpädagogin, eine Assistenz beiseite. Gemeinsam setzen Lehr- und Fachpersonen das im Konzept vorgesehene Belohnungssystem um. Da Sven in Teilleistungsbereichen anderen Schülern weit voraus ist, erhält er Zusatzaufgaben. In einer externen Therapie wird nach den tieferen Zusammenhängen gesucht. Es finden regelmässig gemeinsame Standortbestimmungen statt.

Am 2. Januar 2021 schreiben wir in unser Verlaufsprotokoll: «Leistungen tipptopp, aber Verhalten erinnert immer noch stark an ASS.» - Sven besucht mittlerweile die vierte Klasse. Nach wie vor treten Verhaltensauffälligkeiten auf. Diese sind aber nicht mehr so stark. Die Schule und auch Sven haben einen Umgang miteinander gefunden. «Pitschi» ist für Sven nicht mehr so nötig. Die Phantasiefigur stört den Unterricht weniger. Nach wie vor ist unklar, ob ein ASS vorliegt. Wir bleiben dran. Das nächste Standortgespräch ist im Frühjahr geplant.

*Dr. Peter Müller ist Leiter des Schulpsychologischen Dienstes des Kantons Zug, peter.mueller@zg.ch

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