Navigieren auf Schulinfo Zug

Inhaltsnavigation auf dieser Seite

Navigation
  • Fokus
  • Überfachliche Kompetenzen – eine Hinführung
23.02.2022

Überfachliche Kompetenzen – eine Hinführung

23.02.2022
Vom ‘sittlicher Führung’ zu den überfachlichen Kompetenzen im Lehrplan 21
mk
Bild Legende:

1910 hat man Fleiss und sittliches Betragen im Zeugnis beurteilt. Was würde man heute unter sittlicher Führung verstehen? Bekamen die besonders braven, stillen, angepassten, duckmäuserischen Kinder ein ‘sehr gut’? Über lange Zeit war dann im Zeugnis der Fokus auf ‘Betragen’, ‘Aufmerksamkeit’ und ‘Fleiss’. Und als Lehrperson fragt man sich unweigerlich, wie man diese Kategorien bewerten kann.

Von Martina Krieg*

Welche Beurteilung in ‘Betragen’ erhalten Kinder, die ständig ihre eigene Meinung sagen und immer noch ein ‘Sie aber …’ dranhängen? Sind die stillen Kinder weniger aufmerksam? Wie beurteilt man ein Kind, das in Französisch fleissig ist, aber überhaupt nicht in Mathematik? Halbfleissig?

SZ
Bild Legende:
Schulzeugnis von 1910 aus dem Königreich Württemberg: Fleiss und sittliche Führung im Fokus

In den Lehrplan 21 wurden nebst den fachlichen Kompetenzen auch ‘überfachliche Kompetenzen’ aufgenommen. Überfachliche Kompetenzen heissen anderswo Lebenskompetenzen, Schlüsselkompetenzen, Schlüsseltugenden, 4K-Skills usw. Der Begriff der Lebenskompetenzen wird von der WHO verwendet und treffend definiert: «Die persönlichen, sozialen, kognitiven und physischen Fertigkeiten, die es den Menschen ermöglichen, ihr Leben zu steuern und auszurichten und ihre Fähigkeit zu entwickeln, mit den Veränderungen in ihrer Umwelt zu leben und selbst Veränderungen zu bewirken» (1). Die Bedeutung dieser Kompetenzen für das Leben sind fundamental, sie sind der Grundstein für das Wohlbefinden von Lernenden und deren schulischen Leistungen. Im Lehrplan 21 werden drei Kompetenzbereiche festgehalten: Personale, soziale und methodische Kompetenzen, wobei sich diese Bereiche je überschneiden. Um in der Welt den Lebensalltag meistern zu können, braucht es die Balance von fachlichen sowie sozialen, personalen und methodischen Kompetenzen. Zusammen ermöglichen sie, die schulische Laufbahn zu bewältigen und später an der Gesellschaft als mündiges Mitglied teilzuhaben.

Der OECD-Bericht (2) zu sozialen und emotionalen Kompetenzen hält einige interessante Erkenntnisse fest:

  • Die sozialen und emotionalen Fähigkeiten junger Menschen nehmen mit dem Eintritt in die Pubertät ab. 15-Jährige berichten unabhängig von ihrem Geschlecht über geringere Kompetenzen als 10-Jährige, wobei der Unterschied bei Optimismus, Vertrauen, Energie und Kontaktfreudigkeit besonders ausgeprägt ist. Dieser Rückgang ist bei den meisten Kompetenzen bei Mädchen grösser als bei Jungen.
  • Im Durchschnitt berichteten Jungen über ein höheres Mass an emotionaler Regulierung, Kontaktfreudigkeit und Energie, während Mädchen ein höheres Mass an Verantwortung, Einfühlungsvermögen und Zusammenarbeit mit anderen angaben.
  • Jugendliche aus sozio-ökonomisch besser gestellten Lagen schätzen ihre sozialen und emotionalen Kompetenzen höher ein, als sozio-ökonomisch benachteiligte Jugendliche.
  • Das Wohlbefinden von Mädchen nimmt bis zur Adoleszenz ab, gleichzeitig steigt die Angst vor Tests.
  • 15-Jährige schätzen ihre Ausprägung an Kreativität und Neugier tiefer ein, als die 10-Jährigen.
  • Ein hohe Ausprägung an Kreativität geht bei Jugendlichen mit einer höheren Neugier gegenüber Neuem einher.     
  • Jugendliche, die sich auch an ausserschulischen Aktivitäten beteiligen, bezeichnen sich grundsätzlich als neugieriger.
  • Je höher sich Jugendliche in sozialen und emotionalen Kompetenzen einschätzten, desto mehr trauten sie sich für ihre Karrieren zu und desto höher waren die Erwartungen an sich selber.

Der Bildungsrat des Kantons Zug will überfachliche Kompetenzen weiterhin im Zeugnis beurteilt sehen. Er hat beschlossen, die personalen und sozialen Kompetenzen zu beurteilen. Die methodischen Kompetenzen werden hingegen nicht separat im Zeugnis ausgewiesen, sondern sollen bei den fachlichen Kompetenzen mit einbezogen werden (Tabelle 1). Die Formulierungen in der Beurteilungsskala im Zeugnis zeigen den Erfüllungsgrad der überfachlichen Lernziele für die definierten altersgemässen Anforderungen der Zyklen 2 und 3 (§ 3 Abs. 2 Promotionsreglement) (Tabelle 2).

T1
Bild Legende:
Tabelle 1: Bezeichnungen der überfachlichen Kompetenzen (grün umrandet sind Kompetenzen, die im Zeugnis separat ausgewiesen werden)
T2
Bild Legende:
Tabelle 2: Bedeutung der Punkte bei der Beurteilung der überfachlichen Kompetenzen

Wofür werden personale und sozialen Kompetenzen gebraucht?

Dieser Frage wird hier aus der Perspektive der Entwicklungsaufgaben nachgegangen. Es handelt sich dabei um Aufgaben, die sich Kindern und Jugendlichen im Laufe ihres Lebens stellen. Neuere Modelle der Entwicklung gehen davon aus, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Verlauf ihres Lebens durch Umstände, Ressourcen, gesellschaftliche Anforderungen und Möglichkeiten ihre eigene Entwicklung mitgestalten. Die Entwicklung wird dabei nicht als lineare Abfolge verstanden, die ein Individuum passiv durchläuft, sondern als ein lebenslanger Lernprozess mit Aufgaben, die bewältigt werden können bzw. müssen. Die erfolgreiche Lösung dieser Aufgaben führt zu Kompetenzen und Ressourcen, die wiederum zur Aufnahme der nächsten Aufgaben befähigen (3). Eine Liste von Entwicklungsaufgaben findet sich in Tabelle 3.

Tabelle 3: Entwicklungsaufgaben im Kindes-​ und Jugendalter

Entwicklungsaufgaben
mittlere Kindheit (6–12 Jahre)
Entwicklungsaufgaben
Adoleszenz (12–18 Jahre)
Körper
  • Erlernen körperlicher Geschicklichkeit, die für gewöhnliche Spiele notwendig ist.
  • Aufbau einer positiven Einstellung zu sich als einem wachsenden Organismus.
  • Veränderungen des Körpers und das eigene Aussehen annehmen.
Umfeld
Gleichaltrige
  • Lernen, mit Altersgenossen zurechtzukommen.
  • Entwicklung von Einstellungen gegenüber sozialen Gruppen und Institutionen.
  • Aufbau eines Freundeskreises: Zu Altersgenossen beiderlei Geschlechts werden neue, tiefere Beziehungen hergestellt.
Intimität
  • Aufnahme intimer Beziehungen zum Partner/zur Partnerin (Freund/Freundin).
Partner/
Familie
  • Vorstellungen entwickeln, wie der Ehepartner und die zukünftige Familie sein sollen.
Selbst
  • Erlernen eines angemessenen männlichen oder weiblichen Rollenverhaltens.
  • Erreichen persönlicher Unabhängigkeit.
  • Über sich selbst im Bild sein: Wissen, wer man ist und was man will.
Rolle
  • Sich Verhalten aneignen, das man in unserer Gesellschaft von einem Mann bzw. einer Frau erwartet.
Werte
  • Entwicklung von Gewissen, Moral und einer Wertskala.
  • Sich darüber klar werden, welche Werte man hochhält und als Richtschnur für eigenes Verhalten akzeptiert.
Bewältigung
des Alltags
  • Entwicklung grundlegender Fertigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen.
  • Entwicklung von Konzepten und Denkschemata, für das Alltagsleben notwendig sind.
  • Vom Elternhaus unabhängig werden bzw. sich vom Elternhaus loslösen.
  • Wissen, was man werden will und was man dafür können (lernen) muss.
  • Entwicklung einer Zukunftsperspektive: Sein Leben planen und Ziele ansteuern, von denen man glaubt, dass man sie erreichen kann.

Ganz generell brauchen wir überfachliche Kompetenzen, um alltägliche Herausforderungen zu meistern, Belastungen anzunehmen und einen förderlichen Umgang mit der Umwelt zu pflegen. Für Kinder und Jugendliche sind sie auch Grundlage für eine gelingende Schullaufbahn (4).

Überfachliche Kompetenzen als Selektionskriterium im Übergang in die Berufswelt

Überfachliche Kompetenzen spielen im Übergang zur Berufswelt eine besondere Rolle. Lehrbetriebe gewichten folgende Kriterien in der aufgelisteten Reihenfolge (5):

  • Unentschuldigte Absenzen
  • Selbst- und Sozialkompetenzen
  • Andere Informationsquellen (Schnupperlehre, Bewerbungsgespräch, Bewerbungsunterlagen, Schulnoten, Schulniveau)
  • Besondere Eigenschaften (Erscheinungsbild, Gesundheit, Herkunft, Geschlecht)

Ganz besonders wird dabei auf die Selbst- und Sozialkompetenzen geachtet. Die zwei wichtigsten genannten Kompetenzen sind Motivation und die Fähigkeit, sich in den Betrieb zu integrieren, um mit dem Team zusammenzuarbeiten. Um diese Selbst- und Sozialkompetenzen des Bewerbers oder der Bewerberin zu erkennen, stützen sich fast alle Lehrbetriebe auf das Verhalten und Präsentieren während der Schnupperlehre (6).

Hochgradig fraglich ist nun, wie diese, zweifelsohne wichtigen Kompetenzen, beurteilt werden können, wenn man dem Schüler, der Schülerin gerecht werden will. Oberstufenlehrpersonen beobachten immer wieder, wie Lernende im Unterricht kaum mehr Begeisterung oder Motivation für ein Thema aufbringen, dann aber z. B. bei einer Projektarbeit ungeahnte Energien zeigen und eine Leidenschaft entwickeln, die zu herausragenden Arbeiten führt. Sie arbeiten zielstrebig und mit viel Durchhaltevermögen an ihrem Projekt. Motivation ist eben hochgradig abhängig von eigenen Interessen und kann unmöglich über alle Fachbereiche hinweg generalisierend beurteilt werden.

Herausforderung bei der Beurteilung von überfachlichen Kompetenzen

Der LCH schrieb 2014 in seinem Positionspapier (7): «Eine Beurteilung von überfachlichen Kompetenzen gemäss Lehrplan 21 kann nicht aufgrund von Regelverstössen mit Strichlisten stattfinden». Ebenfalls hat der LCH damals gefordert, dass personale und soziale Kompetenzen nicht in Zeugnissen beurteilt, sondern, nur an Elterngesprächen formativ beurteilt werden sollen. Als herausfordernd oder gar problematisch sieht der LCH, dass in den jeweiligen Kompetenzbereichen unterschiedliche Fähigkeiten zusammengefasst werden: kognitive, emotionale, handlungsstrukturierende und kommunikative Fähigkeiten. (8)

Wie fachliche Kompetenzen braucht es auch für das Fördern und Lernen der überfachlichen Kompetenzen das Wissen, das Können und das Wollen. So weiss ein Kind, was in einer spezifischen Situation als ‘sich an Regeln halten bedeutet’, könnte die entsprechenden Regeln sogar benennen aber unter Umständen fühlt es sich durch die Situation so herausgefordert, dass es sich nicht an die Regeln halten will, wie folgendes, leider nicht fiktives Beispiel (9) schildert:
Lehrer Jost ist komplett aufgebracht, weil Sebastian auch nach mehrmaligem Aufrufen weiterhin über die Gruppe hinweg mit anderen schwatzt und nun auch noch sagt, er hätte die Hausaufgaben wieder nicht gemacht. Herr Jost schreit frustriert: «Nicht mal deine Mutter würde was für dich zahlen». Daraufhin ruft Sebastians Freund Eric in die Klasse: «Sie Herr Jost, das ist total gemein, wenn Sie das so sagen, ich kenne Sebis Mutter und die würde alles für ihn tun, Sie sollten das zurücknehmen.»

Ist Eric frech? Soll er einen Eintrag bekommen für ‘sich nicht an Regeln halten’? Schliesslich ruft er auch einfach hinein und gibt Herrn Jost eine ‘freche’ Rückmeldung.

Wenn Sie über 50 Jahre alt sind und sich diese Situation in Ihrer Schulzeit vorstellen, dann hätten Sie vermutlich dafür sofort einen Eintrag kassiert. Wenn Sie über 70-jährig sind, dann kann es sogar sein, dass Sie für einen solchen Zwischenruf mit Schlägen oder Tatzen (mit Lineal auf ausgestreckte Finger schlagen) hätten rechnen müssen.

Was sagt der Lehrplan 21 zu dieser Situation?

Hochgradig passen die beiden Facetten aus ‘Selbstreflexion’ und ‘Respektvoller Umgang’ dazu:

  • können eigene Gefühle wahrnehmen und situationsangemessen ausdrücken
  • können die Wirkung von Sprache reflektieren und achten in Bezug auf Vielfalt auf einen wertschätzenden Sprachgebrauch

Auch folgende Facetten liessen sich beiziehen:

  • können sich eigener Meinungen und Überzeugungen bewusst werden und diese mitteilen
  • können Argumente abwägen und einen eigenen Standpunkt einnehmen
  • können die Argumente zum eigenen Standpunkt verständlich und glaubwürdig vortragen
  • können je nach Situation eigene Interessen zu Gunsten der Zielerreichung in der Gruppe zurückstellen oder durchsetzen
  • können sachlich und zielorientiert kommunizieren, Gesprächsregeln anwenden und Konflikte direkt ansprechen
  • können sich in die Lage einer anderen Person versetzen und sich darüber klar werden, was diese Person denkt und fühlt
  • können Kritik angemessen, klar und anständig mitteilen und mit konstruktiven Vorschlägen verbinden
  • können Formen und Verfahren konstruktiver Konfliktbearbeitung anwenden
  • können sprachliche Ausdrucksformen erkennen und ihre Bedeutung verstehen

Im Kanton Zug gilt der Grundsatz 5 von B&F «Lehrpersonen gewährleisten Transparenz im Beurteilungsprozess», d. h., Lernziele müssen den Lernenden bekannt sein, bevor sie beurteilt werden. Für die Situation oben würde dies bedeuteten, dass es keinen Eintrag zur Folge haben dürfte, wenn die Lehrperson nicht explizit festgehalten hat, dass ‘sich an Gesprächsregeln halten’ das ganze Semester über gilt. Und wenn sie das als Semesterziel festgehalten hat, dann – man blicke nochmals auf die Facetten des Lehrplans 21 – eher eine positive Erwähnung finden müsste, weil der Schüler Eric im obernstehenden Beispiel die Courage besitzt, sich für seinen Klassenkameraden einzusetzen und seine Meinung inklusive einem konstruktivem Lösungsvorschlag äussert.

Solche Beispiele zeigen auf, dass es sich bei der Beurteilung von überfachlichen Kompetenzen um sehr komplexe Herausforderungen handelt. Überfachliche Kompetenzen können hochgradig vorhanden sein, aber wenn keine Situation geschaffen wird, können sie unter Umständen nie beobachtet werden. Hinzu kommt, dass das Sichtbarwerden von Kompetenzen auch noch von Personen, Umfeld und der Situation abhängt. So zeigt sich beispielsweise ein Kind in einer Gruppenkonstellation hochgradig konstruktiv und arbeitsam und in einer anderen Gruppe untätig. Oder im Fachbereich NMG sehr aktiv und interessiert, aber nicht im Englisch. Überfachliche Kompetenzen sind somit Produkte von in Interaktion stehenden Individuen in deren Kontext. Hinzu kommt, dass überfachliche Kompetenzen auch kulturspezifisch geprägt sind.

Der Begriff «überfachlich» steht im Zusammenhang mit der Tatsache, dass die entsprechenden Kompetenzen schulfach- und lebensbereichsübergreifend relevant sind. Im Gegensatz zu den fachbezogenen, deklarativen Wissensbeständen, sind überfachliche Kompetenzen wenig planbar und systematisch erzeugbar. Die Schule kann die gewünschten Effekte sehr begrenzt planen und nicht erzwingen, sondern nur Lernsituationen gestalten, die die Entwicklung dieser Fähigkeiten und Haltungen fördern (10).

Bisher kann im Zeugnisprogramm LehrerOffice bei Eintragungen zu überfachlichen Kompetenzen ‘neutral’, ‘positiv’ oder ‘negativ’ angekreuzt werden. Gegen Ende des Semesters werden dann die Eintragungen den Kompetenzbereichen zugeordnet und in eine Beurteilung bilanziert. Die festgehaltenen Notizen der Lehrpersonen in LehrerOffice sind zumeist defizitorientiert oder neutraler Natur (11). Es scheint, die Einträge in LehrerOffice werden vor allem für die Begründung beigezogen, warum eine Schülerin oder Schüler in der Bewertung nur ein oder zwei Punkte bei der Beurteilung einer überfachlichen Kompetenz erhält. Fast unmöglich wären dann ‘vier Punkte’, also übertrifft die Anforderungen, zu erreichen.

Damit künftig vergleichbare Erwartungen an Kinder und Jugendliche gerichtet werden, haben Lehrpersonen des Kantons Zug ihre altersspezifischen Erwartungen in all den Facetten der überfachlichen Kompetenzen gesammelt. Entstanden ist eine Liste mit Indikatoren, die zur Beobachtung der jeweiligen Facette beigezogen werden können. Lehrpersonen wählen die Indikatoren aus und bilanzieren am Ende des Semesters ihre Beurteilungen. In Entwicklung befindet sich zudem ein digitales Instrument, das Lehrpersonen bei der Planung und Beurteilung der überfachlichen Kompetenzen unterstützt. Es wird in enger Zusammenarbeit mit Lehrpersonen entwickelt, die sich freiwillig für die Mitarbeit am Instrument gemeldet haben. Das Amt für gemeindliche Schulen ist für dieses freiwillige Engagement sehr dankbar.

Rolle der Erwachsenen bei der Förderung der überfachlichen Kompetenzen

Schülerinnen und Schüler lernen nicht nur entlang der beabsichtigten Ziele des Unterrichts. Sie lernen ständig beiläufig und überall über sich selber, über andere Menschen und über das soziale und organisationale System, in dem sie sich befinden. Diesem beiläufigem Lernen ist höchste Beachtung zu schenken, weil der Beobachtung von Modellen eine hohe Bedeutung zukommt. Das Agieren, Reagieren und Interagieren von Lehrpersonen wird von Kindern und Jugendlichen beobachtet, interpretiert und unter Umständen als Vorbild genommen. Im obenstehenden Beispiel, zwischen Herrn Jost und den Schülern Sebastian und Eric, das sicher eine Ausnahme im Schulalltag ist, zeigt Eric das reifste Kommunikationshandeln. Vielleicht hat er dies zu Hause bei seinen Eltern beobachtet, denn Eltern nehmen eine bedeutende Vorbildfunktion ein.

Lehrpersonen erleben Eltern in der Phase der Adoleszenz ihrer Kinder oft als besonders anspruchsvoll. In dieser Phase verzeichnen Eltern eine höhere Unzufriedenheit mit der Elternrolle, meist aufgrund von Streitigkeiten und Uneinigkeiten mit ihren Kindern. Hinzu kommen für Eltern die Sorgen und Befürchtungen um die Zukunft des Kindes. Diese Diskrepanzwahrnehmungen werden von Eltern sehr unterschiedlich verarbeitet, von produktiv bis defensiv. Manche Eltern gehen weiterhin liebevoll mit herausfordernden Situationen um und wieder andere greifen zu immer härteren und meist auch erfolgloseren Massnahmen, womit sich Konflikte und Entfremdung noch verschärfen (12). Der Austausch zwischen Schule und Eltern verhilft dazu:

  • sich gegenseitig kennen und schätzen zu lernen, ohne dabei unbedingt ein bestimmtes Thema oder einen bestimmten Anspruch im Fokus haben zu müssen;
  • mehr über das Kind und seine Ressourcen zu erfahren, als in der Schule bzw. zu Hause allein möglich ist;
  • die Ansprüche, Orientierungspunkte, Regeln und Partizipationsangebote der Schule transparent zu machen und gleichzeitig zu erfahren, was für die Eltern wichtig ist;
  • genauer zu erkennen, welches die spezifischen Möglichkeiten und Ansprüche der Schule sind, welche Möglichkeiten und Ansprüche die Eltern haben und welche Möglichkeiten und Ansprüche sich im Überschneidungsbereich befinden und deshalb verhandelt werden müssen;
  • Gemeinsamkeiten, Spannungsfelder und allfällige Reibungsflächen zu erkennen;
  • Erwartungen, Möglichkeiten und Grenzen der Elternschaft in die konzeptuellen Überlegungen der Schule und des Unterrichts einzubeziehen und zu bedenken, wie allfällige Spannungen aufgegriffen und bearbeitet werden können.

Die Schule, die Klasse und das Elternhaus sind für Kinder und Jugendliche je eigenständige Lernfelder mit je eigenen Fördermöglichkeiten. Die Förderung der überfachlichen Kompetenzen kann nicht am einen oder anderen Ort konzentriert werden. Nur ausserhalb des Elternhauses können Kinder und Jugendliche beispielsweise lernen, dass sie sich in der Öffentlichkeit anders verhalten müssen und dort andere Regeln gelten als zu Hause (13). Spannend und herausfordernd bleibt es für Eltern und Schule – und besonderes für die Schülerinnen und Schüler, die daran reifen, ihre Kompetenzen in möglichst vielfältigen und lebensnahen Situationen einzusetzen und weiterzuentwickeln.

Dranbleiben am Fokusthema "Überfachliche Kompetenzen": Lesen Sie mehr zum Thema überfachliche Kompetenzen im April, wenn es um die Bedeutung der überfachlichen Kompetenzen im Beruf oder an weiterführenden Schulen geht. Im Mai wird über die Akzeptanzstudie des Kantons Zug berichtet, in die eine Million Rückmeldungen zu den vorgeschlagenen, zyklenspezifischen Indikatoren einflossen, die den Lehrpersonen die Förderung und Beurteilung von überfachlichen Kompetenzen ermöglichen sollen. Im Juni wird das Programm des Lehrer- und Lehrerinnentags im Herbst zum Thema überfachliche Kompetenzen vorgestellt und Prof. Yves Karlen schliesst im September das Fokusthema in der Schulinfo mit einem Beitrag ab, wie Lehrpersonen überfachliche Kompetenzen fördern können.

*Martina Krieg ist Leiterin der Abteilung Schulentwicklung im Amt für gemeindlichen Schulen des Kantons Zug.

 


Textmarken:

1) WHO: World Health Organization (1994). «Life Skills». Praktische Lebenskunde – Rundschreiben. Zusammenfassung der englischen «Skills for Life Newsletter» No. 1–3. Genf: WHO.

2) OECD (2021). Beyond Academic Learning: First Results from the Survey of Social and Emotional Skills. Paris: OEDC Publishing.

3) Oerter, R. & Montada, L. (2002). Entwicklungspsychologie. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz.

4) Neuenschwander, Markus u.a. (2011). Schule und Beruf. Wege in die Erwerbstätigkeit. Wiesbaden: VS.

5) Wüest, S. (2011). Lehrlingsselektion am Übergang von der Sek I in die Berufswelt. Zürich: PH Zürich. 
https://phzh.ch/globalassets/phzh.ch/ueber-uns/ph-akzente/22012/masterthesis_wuest_kuensch_welti.pdf

6) Ebd.

7) Positionspapier soziale und personale Kompetenzen nur formativ beurteilen. Ergänzung zum Positionspapier «Beurteilen der Kompetenzorientierung im Kontext Lehrplan 21» vom 3. Mai 2014.

8) Becker, G. (2008). Soziale, moralische und demokratische Kompetenzen fördern. Ein Überblick über schulische Förderkonzepte. Weinheim: Beltz.

9) Hat sich nicht im Kanton Zug ereignet.

10) Büeler, X. (1994). System Erziehung. Bern: Haupt. In U. Grob & K. Maag Merki (2000). Überfachliche Kompetenzen. 

11) Bänninger, B. & Hänggi, A. (2011). Die Beurteilung von überfachlichen Kompetenzen. Masterarbeit an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Zürich: Departement Sekundarstufe I.

12) Fend, H. (1998). Eltern und Freunde. Soziale Entwicklung im Jugendalter. Bern: Hans Huber. S. 178.

13) Frey, K. (2010). Disziplin und Schulkultur. Akteure, Handlungsfelder, Erfolgsfaktoren. Bern: Schulverlag.

Weitere Informationen

hidden placeholder

behoerden

Fusszeile