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31.10.2023

Die Jugend aus Sicht der Kriminologin

31.10.2023
Interview mit Nora Markwalder über straffällige Jugendliche aus Sicht der Wissenschaft.
NM
Bild Legende:

In der Jugendphase sind Delikte schon fast ein Massenphänomen, weiss die Kriminologin Nora Markwalder* im Interview mit www.schulinfozug.ch. Intensivtäterinnen und Intensivtäter gibt es aber nur wenige. Die Lehrstelle und ein gutes schulisches Umfeld sind wichtig für die Prävention.

Eine kleine Gruppe ist für einen Grossteil der Jugendstraftaten zuständig. Diese Beobachtung machen wir in Zug. Lässt sie sich verallgemeinern?
Diese Beobachtung lässt sich tatsächlich verallgemeinern. Wir wissen aus der Forschung, dass viele Jugendliche in der Adoleszenz schon einmal ein Delikt begangen haben und z. B. Phänomene wie Ladendiebstahl oder Vandalismus häufig sind. Allerdings gibt es eine kleine Gruppe «hochproduktiver» Jugendlicher, die für den Grossteil aller begangener Delikte verantwortlich ist. Das sind übrigens oft auch diejenigen Personen, die über die Adoleszenz hinaus weiter delinquieren.

Kann man in Prozente fassen, wie viele Jugendliche straffällig werden?
Jugenddelinquenz ist wie bereits erwähnt ein «Massenphänomen», d. h. viele Jugendliche haben in ihrer Jugend schon einmal ein Delikt begangen. Wie viele Delikte das sind, misst man in der Kriminologie am besten mittels Befragungen zur selbst berichteten Delinquenz. Das sind Jugendbefragungen, in denen Jugendliche angeben, ob und wenn ja welche Delikte sie bereits verübt haben. Diese Befragungen haben im Vergleich mit den offiziellen Kriminalstatistiken den Vorteil, dass sie das sog. Dunkelfeld besser abbilden können, sprich auch Delikte erfassen, die nicht zur Anzeige bei der Polizei gelangten. Wir wissen z. B. aus der letzten Jugenddelinquenzbefragung von Kolleginnen und Kollegen der ZHAW und der HETS Fribourg aus dem Jahr 2022,[1] dass 15 % der befragten Jugendlichen in den letzten 12 Monaten einen Ladendiebstahl begangen haben. Waffentragen wurde von 10.3 % der Jugendlichen berichtet, und Vandalismus, die Beteiligung an Gruppenschlägereien sowie Graffiti sprayen waren mit 9.4 %, 6.4 % resp. 5 % ebenfalls häufige Delikte. Schwere Delikte wie Raub oder Körperverletzungen sind hingegen selten und wurden nur von 1.3% resp. 2.6% der Jugendlichen angegeben. Interessant ist auch bei diesen neusten Zahlen, dass rund 5 % der Jugendlichen über 75 % aller Delikte begehen. Die Schweizer Zahlen bestätigen somit bestehende Forschung, wonach ein kleiner Teil der Jugendlichen sog. Intensivtäterinnen und Intensivtäter und somit für den grössten Teil der begangenen Delikte verantwortlich sind.

Und wie geht es prozentmässig nach einem Erstdelikt weiter?
Es ist schwierig, das eindeutig vorherzusehen. Gerade bei den Intensivtäterinnen und Intensivtätern ist es aber häufig so, dass diese auch nach dem Ende der Adoleszenz weiter delinquieren. Bei solchen Jugendlichen ist das delinquente Verhalten nicht auf die Jugendzeit beschränkt, sondern wird im Erwachsenenalter weitergeführt. Aus einer Rückfallstudie minderjähriger Straftäterinnen und Straftätern des Bundesamtes für Statistik ist ersichtlich, dass die Rückfallrate im Erwachsenenalter bei männlichen Jugendlichen und bei solchen, die mehrere Vorstrafen aufweisen und mehrere verschiedene Delikte begangen haben, deutlich höher ist.[2]

Bild Michel Gilgen
Bild Legende:

Wie kann eine kriminelle Laufbahn von Jugendlichen wirksam gestoppt werden?
Hier gibt es nicht sicherlich nicht nur eine, sondern verschiedene geeignete Präventionsstrategien. Wir wissen aus bestehender Forschung, dass delinquente Jugendliche häufig auch delinquente Freunde haben und ein Ablösen aus diesem Umfeld für die Deliktsprävention daher wichtig ist. Der Berufseinstieg, z. B. mittels einer Lehrstelle, und ein gutes schulisches Umfeld sind sicherlich protektive Faktoren gegen Jugenddelinquenz. Hierbei helfen auch Ansätze, die Kinder mit schulischen Schwierigkeiten früh fördern und auffangen.

Kriminalität ist vor allem sozial bedingt, sagen die einen. Stimmt nicht, die andern, Kriminalität ist auch kulturell bedingt. Wieder andere sagen, Kriminalität ginge vom Gehirn aus und sei schlicht Schicksal. Was sagt die Forschung zu diesem "Richtungsstreit"?
Es gibt in der kriminologischen Forschung die unterschiedlichsten Erklärungsansätze, warum jemand kriminell wird. Allerdings vermag keine dieser Theorien sämtliche kriminelle Verhaltensweisen vollumfänglich zu erklären – dafür ist das soziale Phänomen der Kriminalität einfach zu vielschichtig und komplex.

Jeder hat das Recht auf eine Strafe, hat Sokrates philosophiert. Schon die Jugend?
Auch für die Jugend gilt das Strafrecht und die darin vorgesehenen Strafen. Allerdings haben wir in der Schweiz ein Strafrecht spezifisch für Jugendliche, in dem eben gerade nicht die Strafe, sondern die Erziehung und Besserung im Fokus steht.


*Über die Autorin: Prof. Dr. Nora Markwalder ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie unter besonderer Berücksichtigung des Wirtschaftsstrafrechts an der Universität St. Gallen.


Quellen
[1] Manzoni/Haymoz/Biberstein/Kamenowski/Milani, Jugenddelinquenz in der Schweiz. Bericht zu den zentralen Ergebnissen der 4. «International Self-Report Delin-quency» Studie (ISRD4). ZHAW 2022.
[2] BFS, Risikofaktoren für eine Wiederverurteilung straffälliger Minderjähriger im Erwachsenenalter, 1999–2015, Neuchâtel 2018.

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