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04.03.2015

Der weite Weg zur Bildung für alle — Teil I

04.03.2015
«Die Jugend zu erbauen und zu belehren» — Karl Kaspar Kolin. Von der Schiefertafel zum Notebook, vom Federkiel zum Laptop — der weite Weg zur Bildung für alle. Dies waren Titel und Untertitel eines ...
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«Die Jugend zu erbauen und zu belehren» — Karl Kaspar Kolin. Von der Schiefertafel zum Notebook, vom Federkiel zum Laptop — der weite Weg zur Bildung für alle. Dies waren Titel und Untertitel eines Vortrags, gehalten bei der Zuger Kolingesellschaft am 20. Oktober 2014. Die nachfolgende Skizze zur zugerischen Bildungs- und Schulgeschichte basiert darauf. Das Referat vermittelte einen kurzen Überblick von den bescheidenen Anfängen zur heutigen Situation. Für eine akribische Dokumentation mit allen Quellenangaben und den bibliographischen Querverweisen reichte die Zeit nicht.

Von Carl Bossard*

Was heute selbstverständlich scheint und unwidersprochen, musste während Jahren und Jahrzehnten mühsam erkämpft werden: Bildung für alle. Vom Federkiel zu Facebook war ein weiter Weg. Immer aber war Bildung auch Treiber gesellschaftlicher Entwicklung. Das skizziert das Referat. Es geht von einem Diktum des letzten männlichen Vertreters der Familie Kolin aus. «Die Jugend zu erbauen und zu belehren», so schrieb Landammann Karl Kaspar Kolin seinem Luzerner Freund Balthasar, als er 1785/86 das erste Zuger Neujahrsblatt publizierte – notabene auf eigene Kosten.

 Erstes Zuger Neujahrsblatt von 1785/86

 

Teil I analysiert die Schulsituation um 1800 und schildert den zaghaften Aufbruch. Wie sich das Schulsystem langsam etablierte, beschreibt Teil II. Der dritte und letzte Abschnitt führt in die Gegenwart. Das Referat malt mit dem groben Pinsel von Vincent van Gogh und nicht mit Albrecht Dürers feinem Stift. Die Synopsis verlangt es — und die Länge des Textes sowieso.

Teil I: Von der kirchlichen Elementarbildung zur modernen Volksschule. Oder: im Schatten der Kirche
In seinen lesenswerten Memoiren „Notizen eines Müssiggängers" schreibt der Historiker und Publizist Prof. Jean-Rudolf von Salis:

Eine Epoche des radikalen Umbruchs. Genau zu dieser Zeit ging der Stadtzuger Knirps Joseph Christian Landtwing zur Schule: in jener heftig bewegten Zeit des Aufbruchs — nach der Französischen Revolution, kurz vor dem Zusammenbruch der Alten Eidgenossenschaft 1798 und dem Beginn des 50-jährigen Ringens um den neuen Bundesstaat von 1848.

Von Joseph Christian Landtwing ist ein Heft mit Kritzelnotizen überliefert. Wie sah sein Schulalltag aus? Aus Predigten und Schulvorschriften, aus Briefen und der berühmten Stapfer-Enquête können wir die Schule des Ancien Régime rekonstruieren und Landtwings Weg durch die Unterrichtswoche beschreiben.

Kritzelheft von Joseph Christian Landtwing

 

Darum ein Querverweis: In der revolutionierten Schweiz von 1798 geschah etwas Einmaliges, als Zeitphänomen in Europa gar Einzigartiges: Erstmals wollte ein Minister über Umfragen genau wissen, wie die Realität aussah. In einer Enquête erkundete Philipp Albert Stapfer (1766 – 1840) den helvetischen Schulalltag. Stapfer war während der Helvetik Minister der Künste und des Unterrichts. Er stellte ganz konkrete Fragen. Die Antworten malen ein eindrückliches Bild der zum Teil desolaten Schulrealität vor 200 Jahren.

Proviserhus in der Zuger Altstadt

 

Zurück zu Joseph Christian: Mit sechs Jahren trat er in die Elementarschule ein; vermutlich ging er ins Provisorhaus an der heutigen Unteraltstadt 29. Das Schulhaus war, wie sein Lehrerpriester Georg Alois Herster 1799 schrieb, «ziemlich alt und ungemächlich» — aber immerhin ein eigentliches Schulgebäude. Das hatten nicht alle Gemeinden.

Der Unterricht fand meist in einer armseligen Schulstube, oft im Pfarrhaus statt. «[...] viel zu eng, dunkel und ungesund» war zum Beispiel das Unterrichtszimmerlein in Unterägeri. Die Kinder sassen in engen Räumen an einfachen Tischen, die nicht zu ihrer Körpergrösse passten. Schlecht waren die hygienischen Verhältnisse, kurz die Lernzeiten. Der Unterricht dauerte von Anfang Dezember bis Mitte oder Ende März, meist bis zum Palmsonntag. Kaum ein Ort auf dem Land kannte neben der Winterschule auch die Sommerschule. Für den Unterricht bestand keine Pflicht; darum war kaum ein regelmässiger und noch viel weniger ein allgemeiner Schulbesuch üblich. Nur «wenige besuchten die Schule. Die Eltern scheuen die Unkosten», rapportierte ein Zuger Lehrergeistlicher Bildungsminister Stapfer. «Eines kömbt heut, das andere morgens», beklagte ein anderer. Der Lehrer aus Unterägeri schrieb 1799 an Stapfer: «Weil von dieser Gegend die mehreste[e] Vätter nichts vom Schreiben und Läsen wissen, so wird das Schulgehen von ihnen auch nicht viel geachtet».

Wie fast alle Schüler ging Joseph Christian Landtwing zu Geistlichen in den Unterricht. Die Reformation und die Gegenreformation mit dem Konzil von Trient (1545-1563) hatten im 16. Jahrhundert der damaligen Welt die Schule zur Pflicht gemacht. Der Unterricht gehörte darum vielerorts zum Pflichtenheft einer geistlichen Stelle (Schulpfrund), meist jener des Kaplans. Weltliche Lehrkräfte gab es um 1800 nur in Hünenberg und Rumentikon.

Lehrschwestern und geistliche Lehrer
Seit 1657 besuchten die Zuger Knaben und Mädchen getrennte Schulen. Auf Gesuch des Zuger Stadtrates übernahmen damals die Schwestern des Klosters Maria Opferung die «Meittlischull». Mehr als vierhundert Jahre lang erteilten sie fortan Primar- und später auch Realklassen Unterricht. Erst 1965 ging dieses schulische Engagement zu Ende.

Wollte Joseph Christian Landtwing weiter lernen und allenfalls studieren, so besuchte er das Stadtzuger Gymnasium. Dank einer Pfrundstiftung entstand im 18. Jahrhundert auch das kleine Baarer Gymnasium. Weitere Ausbildungswege führten an das Luzerner Jesuitenkollegium und nach Mailand. Hier waren im Zuge der katholischen Reform am Collegium Helveticum Freiplätze für Innerschweizer geschaffen worden. Für viele führte der Weg an andere ausländische Schulen und Universitäten, wie den Stapfer-Enquêten entnommen werden kann. Natürlich stand auch der Pfad über Offizierslaufbahnen in fremden Diensten offen.

Die Kirche prägt den Schulalltag
Auf dem Schulweg musste sich Joseph Landtwing anständig aufführen, «um dem Publikum eine gute Meinung von den Herren Lehrern einzuflössen». Vor dem Unterricht führte der strenge Priesterlehrer die Kinder vom Schulhaus zuerst zur Kirche. Der tägliche Morgengottesdienst und der nachmittägliche Rosenkranz waren für alle Schüler obligatorisch. Sie hatten beidem «mit aller Andacht, Zucht und Ehrbarkeit von Anfang bis zum Ende» beizuwohnen. Die Teilnahme an den sonn- und feiertäglichen Messen, an den religiösen Unterweisungen (Christenlehre), an Prozessionen und ausserordentlichen Andachten waren weitere Pflichten. Auch der Empfang der kirchlichen Sakramente Beichte und Kommunion war vorgeschrieben. Dabei hielten die Lehrkräfte straffe Aufsicht und führten Absenzenkontrolle. Schwätzer, Ungehorsame und Saumselige mussten «gebührender Massen abgestraft werden».

Die grosse Kirche prägte die kleine Welt der Schule. «Der Anfang aller Weisheit und alles Heil ist die Furcht Gottes» stand in der Stadtzuger Schulordnung — dieses Bildungsziel bestimmte den Unterricht. Josephs Schulwoche begann darum am Montagmorgen mit der Repetition der sonntäglichen Predigt und der Christenlehre. Der Lehrer war verpflichtet, «den Kindern hieraus die notwendigsten Lehrpunkte strengstens einzuschärfen».

Kaum ein Kind kannte das Alphabet
Religion und Lesen sowie — wenn es gut ging — auch Schreiben und Rechnen waren die Fächer der damaligen Volksschule. Joseph Christian Landtwing und die damaligen Schulkinder lernten vor allem auswendig, auch die Buchstaben, und zwar dem Alphabet nach von A bis Z. Nicht der Laut wurde ihnen vermittelt, sondern der Buchstabenname (also bee, cee, dee usw.). Dieses didaktisch wenig sinnvolle «Syllabieren» zerhackte den Wortsinn und erschwerte das Zusammensetzen der Lautzeichen zu Silben und Wörtern. Mit dieser Methode brauchte es mehrere Jahre, bis die Kinder notdürftig lesen konnten. Viele blieben Analphabeten — und waren damit auf Vorlesen oder bestenfalls auf gemeinsames Deuten eines Textes angewiesen. Eindrücklich schildert das der Pädagoge und Sozialreformer Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) in seinem Stanser Brief: «Unter zehn Kindern konnte kaum eins das Abc.»

Dazu kam, dass einheitliche Lehrmittel fehlten. Die Kinder brachten irgendwelchen Lesestoff mit in die Schule, oft einen alten Kalender. Der Unterricht beruhte meist auf dem Katechismus, dem sogenannten kleinen «Kanisius». Das Religionsbuch basierte auf dem Frage-Antwort-Schema. Der „Kanisi" konnte nicht ins Lesen einführen; er lieferte lediglich den Memorierstoff, diente als Buchstabier- und Lesebuch und vermittelte primär religiöse Inhalte.

Der Katechismus

 

Nicht alle Kinder, die lesen konnten, lernten auch schreiben. Schreiben blieb ein anspruchsvolles Handwerk. Einerseits waren die Unterschiede zwischen der gedruckten und der geschriebenen Schrift gross, anderseits war es praktisch unmöglich, in der Realität des damaligen Schulalltags Schreiben zu erteilen. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert wurde das Schreiben zum Allgemeingut. Gleiches gilt für das Rechnen. Hier erstreckte sich der Stoff auf die vier Grundoperationen, manchmal noch auf Dreisatzrechnungen.

Wegen der unterschiedlichen Hilfsmittel konnte sich der Lehrer immer nur mit einem Kind beschäftigen, der Rest der Klasse war sich selbst überlassen. Dazu kam, dass jedes Kind die notwendigen Schreibutensilien auf eigene Kosten anschaffen musste und die Eltern die finanziellen Mittel oft kaum aufbringen konnten. Hier hatten es Joseph Christian Landtwing und seine Stadtzuger Mitschüler besser. Um 1780/90 wurden an den Stadtschulen Zug vermutlich die Lehrbücher von Pater Nivard Krauer aus dem Zisterzienserkloster St. Urban eingeführt. Einheitliche Lehrmittel gestatteten den Übergang

  • von der einsamen Einzelarbeit im grossen Kollektiv
  • zum geführten Unterricht im Klassenverband. Johann Heinrich Pestalozzi kämpfte vehement für einen gemeinsamen und geleiteten Unterricht.

Streng geregelte Freizeit
Der damalige Schulalltag war monoton, geprägt von Auswendiglernen und Repetieren. Und dennoch durften Joseph Christian Landtwing und seine Mitschüler abends nicht ohne Hausaufgaben nach Hause gehen. So sollte «dem Müssiggang und dem zu vielen Gassenlaufen so viel möglich gesteuert werden». Klagen über Müssiggang und Faulheit waren oft geäusserte Vorwürfe an die Adresse der Schüler. Darum war das Betragen in der Freizeit streng reglementiert. Der Besuch von Wirtschaften und Schenkhäusern, von Tanzanlässen und Maskeraden war den Stadtzuger Schülern «bei Straff der Exklusion» Tag und Nacht verboten, ebenso das «eines Schülers geringe Rekreationsgeld übersteigende Karten- und Kegelspiel». Untersagt war auch «das Dantzen undt zuo denen Däntzen gehen [ ... ] als eine gefährlichi undt böse Gelegenheit, allwo sie mehr Böses als Gutes sehen, hören undt erlehren».

«Lesen — wahrlich ein seltenes Glück»
Bereits im Alter von neun bis zehn Jahren verliessen die ersten Kinder die Schule wieder. Trotz eines verstärkt einsetzenden Alphabetisierungsprozesses blieb darum bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein ein Teil der Bevölkerung des Lesens und vor allem des Schreibens unkundig. Bei den Mädchen fiel der Befund deutlich schlechter aus als bei den Knaben. Ulrich Bräker, der «arme Mann vom Tockenburg» (1735-1798), wusste es. In seinem Tagebuch heisst es: «Lesen — wahrlich ein seltenes Glück». Joseph Christian Landtwing hatte dieses kostbare Glück. Er konnte lesen und schreiben, wie wir aus seinem Kritzelheft wissen.

Gross waren die Schatten, die über der Schule lagen. «In omni aliquid et in toto nihil», beschrieb ein geistlicher Lehrer die pädagogische Situation. «In allem etwas und im Ganzen nichts». Und einer jammerte ganz erbärmlich: «Ich kann kaum glauben, dass es in der ganzen Welt eine schlechter besoldete Einrichtung gibt als hier in Zug.» Nicht verwunderlich, dass ein anderer schrieb: «Jupiter quem odit eum praeceptorem facit. » (Wen Zeus hasst, den macht er zum Lehrer).

Das war — in kurzen Zügen skizziert — die Situation: die Realität.

Die aufgeklärte Vision einer besseren Zukunft
Wir sind im 18. Jahrhundert. Es regte auf breiter Grundlage eine Reform des Schul- und Erziehungswesens an. Darum wird es als Jahrhundert der Aufklärung und Vernunft und darüber hinaus mit dem Attribut des «pädagogischen» bezeichnet. Bildung als gesellschaftliche Promotorin. Die Aufklärung orientierte sich nicht an der Realität, sondern an der Utopie einer neuen Zeit und besseren Zukunft: die Idealität.

Es war die Zeit Immanuel Kants — nach ihm richteten sich ganze Generationen. In seiner berühmten Schrift «Was ist Aufklärung» aus dem Jahr 1784 skizzierte der Königsberger Philosoph das ideale Bild eines mündigen Bürgers. Er sollte imstande sein, sich seines Verstandes ohne Anleitung anderer zu bedienen. Dazu gehört Mut. Und diesen Mut forderte Kant ein: «Sapere aude!» – wage es, weise zu werden!, so lautete sein Leitgedanke. Er prangerte Faulheit und Feigheit an. Sie seien die Ursachen, warum ein grosser Teil der Menschen zeitlebens unmündig bliebe. «Es ist», schreibt Kant wörtlich, «so bequem, unmündig zu sein.» Ganz ähnlich predigte der Zuger Stadtpfarrer Johann Konrad Bossard. Müssiggang war dem fleissigen Priester ein Gräuel.

Kant ging davon aus, dass der Bürger, der diese Faulheit überwindet, den Ausgang aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit" schafft. Er kann sich kraft seines Wissens und seiner Bildung ein eigenes Urteil bilden und so souverän entscheiden. Das humanistische Bildungsideal: die Autonomie des Menschen, die Mündigkeit des Einzelnen, die Souveränität des Individuums.

Diese Idee wirkte wie eine Antithese zur Wirklichkeit: Erinnert sei an Mozarts aufklärerische Oper „Die Zauberflöte". Die Königin der Nacht verkörpert die dunkle Realität; dagegen kämpft Sarastro, der Repräsentant des Lichts. Viele verstanden sich in der Folge als eine Art Sarastro und gaben dem Aufbau der Schulen höchste Priorität.

Goethe und Schiller studierten Kant; Beethoven bewunderte ihn. Er beeinflusste auch viele Schweizer. Der erste Schweizer Bildungsminister, Philipp Albert Stapfer, war an Kant geschult — ebenso Johann Heinrich Pestalozzi. Und natürlich der berühmte Wilhelm von Humboldt — mit seiner wegweisenden Theorie der Bildung des Menschen von 1793. Humboldt war der Gründer der preussischen Volksschule, Schöpfer des klassischen oder humanistischen Gymnasiums und Mitbegründer der Berliner Universität, der berühmten Humboldt-Universität. Er weilte im Oktober des Revolutionsjahres 1789 in Zug und besuchte den letzten Spross der berühmten Zurlaubenfamilie, Beat Fidel Zurlauben — auf seinem feudalen Landsitz, dem Zurlaubenhof im Süden der Stadt Zug.

Diese Vernetzung — fragmentarisch skizziert — fasziniert. Heute würde man wohl von Networking reden. Darum noch ein Hinweis: Humboldt führte in den preussischen Schulen Pestalozzis Lehrmethoden ein. Der Grund: Sie stimmten in ihrer liberalen Haltung mit seinen eigenen Ansichten von pädagogischem Denken und der Wissensvermittlung überein. Auch in Zug kannte man nach 1800 Pestalozzis Lehrbücher und -methoden.

Wegweisend war — ich wiederhole mich — die Utopie: Man träumte von einer besseren Welt und richtete sich nach der Idealität — ungeachtet der zum Teil widrigen Wirklichkeit. Am besten erkennen wir das bei Pestalozzi.

Der Pädagoge Pestalozzi — ein Schweizer Aufklärer
Johann Heinrich Pestalozzi, der grosse Erzieher, hat Ernst gemacht mit einer der gewaltigsten Ideen der Aufklärung: dass die Welt verbesserbar sei. In kühner Weise hat er diesen neuen Glauben angewendet auf die Kinder, hat in ihrer Verbesserung den ersten Schritt zur Verbesserung des Ganzen erkannt und seine Lebensarbeit darauf ausgerichtet. Er hat begriffen, dass Erziehung langsam geht, umständlich, dass sie die Menschen nicht dressieren darf wie Affen oder Soldaten, um Peter von Matt zu zitieren, sondern alles zusammen entwickeln muss, die Gefühle im Herzen, den Scharfsinn im Kopf und die Geschicklichkeit der beweglichen Hand.

Er hat es begriffen, hat es gelehrt — und meistens ist er in der Praxis gescheitert, weil sein funkelnder Kopf den tastenden Händen voraus- und davonlief. Aber versucht hat er es mit einer verzehrenden Glut. Auch in Stans. Inmitten einer kriegsverwüsteten Landschaft und schwarzer Brandruinen.

Gelebte Aufklärung auch in Zug
Kants, Humboldts und auch Pestalozzis Werke standen in der Stadtzuger Pfarrbibliothek. Gedanken flossen in die Predigten des Stadtzuger Dekans Johann Konrad Bossard ein. Der bildungsinteressierte und wissenschaftlich geschulte Geistliche wollte unter allen Umständen das Schulwesen verbessern. Und erreichte einiges: eine neue Schulverordnung, höhere Schulbesuche, bessere Bücher.

Zugute kam ihm die Tatkraft der Helvetischen Republik. In Stapfers Ministerium der Künste und Wissenschaften wurde das Schulprogramm des 19. Jahrhunderts formuliert. Die politischen Repräsentanten hatten den festen Willen, die Reform zu realisieren und die Theorie in die Praxis umzusetzen. Der äussere Kampf gegen das Beharrende, gegen altererbte Traditionen und Gewohnheiten im Schulwesen, gegen Vorurteile und Skepsis gestaltete sich allerdings aufreibend. Der Wille zur Beharrung war vielerorts grösser als der Mut zu Wagnis und Reform. Das Denken der Bildungspromotoren war revolutionär, ihr Handeln evolutionär. Die Helvetik trat damit in Dialog zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Utopie und Machbarkeit. Das gab einen Impetus und zeigte im Bildungswesen langfristige und nachhaltige Wirkung.

Aufbruch, Restauration und nochmaliger Aufbruch
Die fünf Jahre der Helvetik (1798 – 1803) waren zu kurz, die politischen Geschehen zu turbulent, wirtschaftliche Not und Kriegselend zu gross, um das Unterrichtswesen grundlegend zu verbessern. Vieles musste vorerst Postulat bleiben. Doch der pädagogische Enthusiasmus der Helvetik und das schulpolitische Engagement ihrer Repräsentanten popularisierten den Gedanken der Volksbildung in weiten Kreisen. Mitverantwortlich war unter anderem die Institution des kantonalen Erziehungsrates. Sie wurde in der Zuger Kantonsverfassung von 1803 verankert.

Diese Verfassung war wegweisend. Im Zuger Erziehungsrat sassen u. a. der Landammann und wichtige politische Repräsentanten. Er entfaltete eine rege Tätigkeit — über den ganzen Kanton. Durch umfangreiche Korrespondenzen und Inspektorenberichte konnte er Klarheit gewinnen und auf die konkreten Verhältnisse einwirken. Hautnah empfand er das Ungenügen vieler Schulen. Man beanstandete überkommene vorrevolutionäre Einrichtungen, stellte überlieferte pädagogische Methoden und Lehrmittel in Frage, vermittelte entscheidende Impulse und drängte vehement zum Aufbruch — auch mit neuen Lehrmitteln. Für alle Gemeinden wurden Schulhausbauten gefordert, dies gemäss der Devise «eine Gemeinde (Pfarrei), eine Schule, ein Lehrer». Bereits 1806 gab es eine erste kantonale Lehrerkonferenz. Die Wirklichkeit im Zuger Bildungswesen erfuhr durch die energische Bildungspolitik in Struktur und Programm eine erste Verbesserung: Dekan Bossard und der Erziehungsrat als Promotor — Bildung als Treiber gesellschaftlicher Entwicklung.

Die Geburtsstunde der Schweizer Volksschule liegt in der Helvetik. Die pädagogische «Frühlingssaat» ihrer bahnbrechenden Schulpolitik ging vorerst auf; doch die Restauration ab 1815 hemmte den Aufbruch und band vieles wieder zurück. Die neue Kantonsverfassung strich die Institution des Erziehungsrates und überliess die Schule wieder dem Belieben der Gemeinden — und damit dem kommunalen Zufall und behördlichen «Schlendrian».

Erst die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte ernten. Sie realisierte ideell und dann auch materiell-organisatorisch, was die Helvetische Republik erreichen wollte: nämlich eine umfassende und für alle obligatorische Bildung und Erziehung als Fundament des demokratischen Staates, mit Menschen, wie es in den Enquêten heisst, «nützlich» für Staat und Gesellschaft und damit brauchbar für die industrielle Revolution und den Fortschritt schlechthin — aber natürlich weiterhin «gottesfürchtig».

— ENDE TEIL I —

Link zum Teil II

*Carl Bossard, Dr. phil., dipl. Sekundar- und Gymnasiallehrer, Studium der Geschichte und Erzie-hungswissenschaften an den Universitäten Freiburg i. Üe., Montpellier und Bern. Rektor Kantonale Mittelschule Nidwalden, Direktor Kantonsschule Luzern und Gründungsrektor der Pädagogischen Hochschule PH Zug. Wissenschaftliche Interessensgebiete: Bildungs- und Schulgeschichte der Neuzeit und der Moderne.

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