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Art. 9 Abs. 1 IVG i.V.m. Art. 23bis Abs. 3 IVV
Art. 21 IVG, Art. 2 HVI
Art. 25 AHVG i.V.m. Art. 49bis und Art. 49ter AHVV
Art. 25 lit. c FamZG i.V.m. Art. 52 AHVG
Art. 35 Abs. 1 IVG i.V.m. Art. 25 Abs. 5 AHVG und Art. 49bis AHVV
Art. 50c Abs. 1 und Art. 50g AHVV

Art. 87 Abs. 2 und 3 IVV

Regeste:

Art. 87 Abs. 2 und 3 IVV – Gemäss Art. 87 Abs. 3 IVV wird eine neue Anmeldung nur geprüft, wenn die Voraussetzungen nach Abs. 2 dieser Bestimmung erfüllt sind. Danach ist im Revisionsgesuch glaubhaft zu machen, dass sich der Grad der Invalidität oder der Hilflosigkeit oder die Höhe des invaliditätsbedingten Betreuungsaufwandes der versicherten Person in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat (Erw. 3.1). Nach Eingang einer Neuanmeldung ist die Verwaltung zunächst zur Prüfung verpflichtet, ob die Vorbringen der versicherten Person überhaupt glaubhaft sind; verneint sie dies, so erledigt sie das Gesuch ohne weitere Abklärungen durch Nichteintreten (Erw. 3.2). Einzig aufgrund des Verlusts einer Arbeitsstelle ist eine anspruchserhebliche Veränderung nicht glaubhaft gemacht, auch wenn dieser – bei gleichbleibenden Befunden – auf (ärztlich attestierte) Arbeitsunfähigkeiten zurück zu führen ist (Erw. 6.1).

Aus dem Sachverhalt:

Der Versicherte V., geboren am 15. November 1978, ist gelernter Maschinenmechaniker. Am 8. August 2001 rutschte er beim Versuch, eine grosse Schraube in einer verdrehten Stellung von Körper und Handgelenk anzuziehen, mit dem Schlüssel aus. Es kam zu einer TFCC-Läsion rechts kombiniert mit einem ulnocarpalen ligamentären Schaden; in der Folge wurde der Beschwerdeführer mehrfach operiert. Am 19. August 2002 meldete sich V. bei der IV-Stelle des Kantons Zug zum Bezug von Leistungen (Berufsberatung/ Umschulung auf eine neue Tätigkeit) der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle sprach V. im Januar und Oktober 2004 Kostengutsprache für einen Vorkurs und ein Praktikum im Hinblick auf die Umschulung zum Sozialarbeiter bzw. Sozialpädagogen zu. Während des Praktikums verstärkten sich die Handgelenks-/ Armbeschwerden, weshalb die berufliche Massnahme per 10. Oktober 2004 abgebrochen wurde. Mit Verfügung vom 12. Dezember 2005 erteilte die IV-Stelle V. schliesslich Kostengutsprache für die Vollzeitumschulung zum Techniker HF, Fachrichtung Maschinentechnik. Am 28. Mai 2008 erwarb V. das Diplom zum «Dipl. Techniker HF Fachrichtung Maschinentechnik». Am 20. August 2008 teilte die IV-Berufsberaterin V. mit, er werde in der neuen Tätigkeit als voll arbeitsfähig betrachtet. Das IV-Dossier werde deshalb geschlossen. Ab dem 1. Mai 2009 war V. bei der M. AG als Techniker HF Konstruktion tätig, wobei dieses Arbeitsverhältnis per Ende November 2009 aufgelöst wurde. Am 2. März 2010 liess V. der IV-Stelle mitteilen, die Umschulung habe nicht den erwünschten Erfolg gebracht. Es stelle sich die Frage, ob durch eine weitere Umschulung die Arbeitsmarktfähigkeit verbessert werden könne. Die IV-Stelle wies das Leistungsbegehren von V. mit Verfügung vom 9. September 2010 ab.

Am 5. Mai 2012 meldete sich V. bei der IV-Stelle des Kantons Zug erneut zum Bezug von IV-Leistungen für Erwachsene (Umschulung auf eine neue Tätigkeit/Rente) an. Die IV-Stelle verfügte am 27. September 2012, auf das neue Leistungsbegehren werde nicht eingetreten. Mit Eingabe vom 2. November 2012 liess V., vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. L., gegen die Verfügung der IV-Stelle vom 27. September 2012 Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und beantragen, die Verfügung sei aufzuheben und die Streitsache sei zur materiellen Prüfung an die Vorinstanz zurück zu weisen.

Aus den Erwägungen:

(…)

3. (…)

3.1 Wurde eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung wegen eines zu geringen Invaliditätsgrades oder wegen fehlender Hilflosigkeit verweigert, so wird nach Art. 87 Abs. 3 der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 17. Januar 1961 (IVV, SR 831.201) eine neue Anmeldung nur geprüft, wenn die Voraussetzungen gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung erfüllt sind. Danach ist im Revisionsgesuch glaubhaft zu machen, dass sich der Grad der Invalidität oder der Hilflosigkeit oder die Höhe des invaliditätsbedingten Betreuungsaufwandes der versicherten Person in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat.

3.2 Nach Eingang einer Neuanmeldung ist die Verwaltung zunächst zur Prüfung verpflichtet, ob die Vorbringen der versicherten Person überhaupt glaubhaft sind; verneint sie dies, so erledigt sie das Gesuch ohne weitere Abklärungen durch Nichteintreten. Dabei wird sie unter anderem zu berücksichtigen haben, ob die frühere Verfügung nur kurze oder schon längere Zeit zurückliegt, und dementsprechend an die Glaubhaftmachung höhere oder weniger hohe Anforderungen stellen (ZAK 1966 S. 279, vgl. auch BGE 130 V 64 Erw. 5.2, 71 Erw. 2.2 mit Hinweisen). Insofern steht ihr ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, den das Gericht grundsätzlich zu respektieren hat.

3.3 Glaubhaftmachen im Sinne des Art. 87 Abs. 2 IVV erfordert nicht den Beweis nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 125 V 193 Erw. 2, 119 V 7 Erw. 3c/aa, je mit Hinweisen). Die Beweisanforderungen sind vielmehr herabgesetzt (Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983, S. 272), indem nicht im Sinne eines «vollen Beweises» (ZAK 1971 S. 525 Erw. 2) die Überzeugung der Verwaltung begründet zu werden braucht, dass seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung tatsächlich eine relevante Änderung eingetreten ist. Vielmehr genügt es, dass für den geltend gemachten rechtserheblichen Sachumstand wenigstens gewisse Anhaltspunkte bestehen, auch wenn durchaus noch mit der Möglichkeit zu rechnen ist, bei eingehender Abklärung werde sich die behauptete Sachverhaltsänderung nicht erstellen lassen (BGE 130 V 64 Erw. 5.2, 71 Erw. 2.2 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 133 V 108 Erw. 5.2). Dabei spielt der Untersuchungsgrundsatz, wonach die Verwaltung und das Gericht von Amtes wegen für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen haben, nicht in gleichem Mass. Wird in der Neuanmeldung kein Eintretenstatbestand glaubhaft gemacht, sondern bloss auf ergänzende Beweismittel hingewiesen, die noch beigebracht würden oder von der Verwaltung beizuziehen seien, so ist der versicherten Peron nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine angemessene Frist zur Einreichung der Beweismittel anzusetzen und ihr gleichzeitig anzudrohen, dass ansonsten gegebenenfalls auf Nichteintreten zu erkennen sei. Ergeht nach Einhaltung dieses formellen Vorgehens eine Nichteintretensverfügung, so legen die Gerichte ihrer beschwerdeweisen Überprüfung den Sachverhalt zugrunde, wie er sich der Verwaltung darbot (BGE 130 V 64 Erw. 5.2.5). Somit kommt der versicherten Person, welche die Überprüfung des Rentenanspruchs mittels Neuanmeldung beantragt, ausnahmsweise eine Beweisführungslast zu (vgl. BGE 130 V 64 Erw. 5.2.5). Das Gericht hat neue, erst während des Beschwerdeverfahrens beigebrachte Beweismittel grundsätzlich auch dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie geeignet sind, die Beurteilung im massgeblichen Zeitpunkt des Verfügungserlasses zu beeinflussen. Nur diejenigen Beweismittel, welche die versicherte Person der Verwaltung erst nach Ablauf der angesetzten Frist eingereicht hat, welche die Verwaltung aber ungeachtet dieser Verspätung in die Beurteilung der Eintretensfrage einbezogen hat, sind auch im Gerichtsverfahren zu beachten (vgl. Urteil des EVG in Sachen F. vom 10. Februar 2005, I 619/04, Erw. 2.2).

3.4 Die Regeln über die Prüfungspflichten der Verwaltung und des Gerichts hinsichtlich des Eintretens auf eine Neuanmeldung nach vorausgegangener rechtskräftiger Ablehnung gelten analog, wenn Eingliederungsleistungen strittig sind (BGE 130 V 64 Erw. 2, mit Hinweis auf BGE 109 V 119 Erw. 3a).

(…)

4.2 Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin auf die Neuanmeldung des Beschwerdeführers am 27. September 2012 zu Recht Nichteintreten verfügt hat. Prozessthema bildet die Frage, ob glaubhaft im Sinne von Art. 87 Abs. 3 IVV ist, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse in für den Anspruch auf Rente und/oder Massnahmen beruflicher Art erheblicher Weise geändert haben. In zeitlicher Hinsicht ist mit Blick auf den Verlauf des Verwaltungsverfahrens mit der Vorinstanz der Zeitraum zwischen dem 9. September 2010 (ablehnende Verfügung über berufliche Massnahmen) und dem 27. September 2012 (strittige Nichteintretensverfügung) massgeblich.

(…)

6. (…)

6.1 Der Beschwerdeführer bringt in seinen Eingaben an das Verwaltungsgericht nicht explizit vor, sein physischer Gesundheitszustand habe sich seit der letzten Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 9. September 2010 wesentlich verschlechtert. Von einer wesentlichen Veränderung ist auch aufgrund der aktenkundigen Arztberichte nicht auszugehen: Bereits vor Erlass der Verfügung vom 9. September 2010, bei der Untersuchung durch Dr. F. vom 15. Juli 2009, war der Beschwerdeführer der Ansicht, er könne sich die damals ausgeführte Tätigkeit als Techniker HF auf Dauer nicht vorstellen. Gegenüber Dr. O. gab er bei der kreisärztlichen Untersuchung vom 18. März 2010 an, er komme in diesem Berufsfeld nicht weiter, da er bei dieser Tätigkeit mit beiden Händen ein Gerät (Joystick und Computermaus) bedienen müsse. Bereits damals waren die verschiedenen involvierten Ärzte der Ansicht, dass die Tätigkeit als Techniker HF aus medizinisch-theoretischer Sicht zumutbar sei. Besonders ins Auge fällt auch der Bericht der beiden Berufs- und Laufbahnberater B. und C. vom 18. Mai bzw. 22. Juni 2010, in welchem auf alternative Beschäftigungen im weiten Feld der Maschinenbautechnik hingewiesen wird. Doktor O. hielt im Bericht vom 14. Juni 2011 bei gleichen Befunden am früher Gesagten fest und sah die bisherigen Anstellungen als Techniker HF aus medizinischer Sicht nicht als ungeeignet. Gerade bei der letzten Arbeitsstelle habe es sich um eine abwechslungsreiche, höchstens als leicht bis mittelschwer einzustufende Tätigkeit gehandelt, weshalb ihm der Grund des Scheiterns unklar sei. Aus dem Bericht von Dr. G. vom 23. Mai 2012 geht keine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands hervor. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Beschwerdegegnerin RAD-Arzt Dr. S. als Internisten mit der Beurteilung der Frage, ob aufgrund von eingereichten Unterlagen eine Veränderung glaubhaft ist oder nicht, betraute. Hierzu bedarf es nicht zwingend eines Orthopäden. Die durch Dr. G. gestellten Diagnosen und seine Beurteilung geben jedenfalls keinen Anlass dazu, an der Beurteilung von Dr. S. zu zweifeln.

Es ist entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch nicht zu beanstanden, dass Dr. S einen Vergleich mit dem Bericht von Dr. O. vom 14. Juni 2011 – in dem bereits eine Gelenkspalt­verschmä­lerung festgestellt worden war – anstellte, denn Dr. O. hielt in diesem Bericht ausdrücklich fest, dass an der bisherigen Beurteilung (vom 18. März 2010) festzuhalten sei. Sodann ging offenbar auch die Kreisärztin der Suva, welcher Dr. G. im Mai 2012 ebenfalls einen Bericht einreichte, in einem nicht aktenkundigen Bericht von einem unveränderten Zumutbarkeitsprofil und keinen gravierenden Veränderungen aus. Doktor G. ist in seinem Bericht der Ansicht, dass der Beschwerdeführer seine rechte Hand bei der Tätigkeit als Diplomtechniker HF überbeansprucht, ohne dass seine Diagnosen oder Befunde Anhaltspunkte für eine wesentliche Verschlechterung geben. Bei dieser Sachlage ging die Vorinstanz zu Recht von einer anderen Beurteilung desselben Sachverhalts aus. Eine Veränderung des medizinischen Sachverhalts im Vergleich zur am 9. September 2010 gegebenen Situation ist damit nicht glaubhaft gemacht. Dies wird vom Beschwerdeführer vor Verwaltungsgericht denn auch nicht explizit bestritten; dieser behauptet vielmehr, er habe durch die Tatsache, dass er eine weitere Stelle verloren habe, veränderte Verhältnisse glaubhaft gemacht. Dem kann indes nicht gefolgt werden, denn nach dem Gesagten ist das Anforderungsprofil weiterhin dasselbe wie noch vor Erlass der letzten leistungsabweisenden Verfügung. Doktor O. hielt im Bericht 14. Juni 2011 sogar ausdrücklich fest, es habe sich bei dieser Tätigkeit um eine abwechslungsreiche, als leicht bis mittelschwer einzustufende Tätigkeit gehandelt, welche aus medizinischer Sicht geeignet gewesen wäre. Die Beschwerdegegnerin war nicht verpflichtet, bei der letzten Arbeitgeberin einen Bericht über die Gründe der Entlassung einzuholen. Dass der Beschwerdeführer womöglich auch diese Stelle aufgrund der von ihm geltend gemachten Beschwerden am rechten Arm bzw. an der rechten Hand verloren hat, ändert nichts an der Tatsache, dass ihm die Tätigkeit aus objektiver, medizinisch-theoretischer Sicht zumutbar gewesen wäre. Einzig aufgrund des Verlusts einer weiteren Stelle ist eine anspruchserhebliche Veränderung jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, auch wenn dieser – bei gleichbleibenden Befunden – auf (ärztlich attestierte) Arbeitsunfähigkeiten zurück zu führen ist.

(…)

6.3 Zusammenfassend erweist sich der Nichteintretensentscheid der Beschwerdegegnerin als rechtens, weshalb die Beschwerde in diesem Punkt abzuweisen ist. Sollte der Beschwerdeführer glaubhaft machen können, dass sich sein physischer oder psychischer Gesundheitszustand wesentlichen verschlechtert hat, steht es ihm frei, bei der Beschwerdegegnerin zu einem späteren Zeitpunkt eine erneute, ausreichend substantiierte Neuanmeldung einzureichen.

(…)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. September 2013 S 2012 152

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