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08.11.2023

Kein Raum für Stereotypen

08.11.2023
Im Rahmen einer Studienwoche zeigte die PH Zug am 10. Oktober 2023 den Film «BABYBLU – das letzte Erinnerungsstück». Der Film dokumentiert die Geschichte einer Familie, die in Zug und Bosnien-Herzegovina zu Hause ist, lässt uns unsere stereotypen Vorstellungen vergessen und berührt tief.
Veranstaltung BABYBLU
Bild Legende:

Im Rahmen einer Studienwoche zeigte die PH Zug am 10. Oktober 2023 den Film «BABYBLU – das letzte Erinnerungsstück». Der Film dokumentiert die Geschichte einer Familie, die in Zug und Bosnien-Herzegovina zu Hause ist, lässt uns unsere stereotypen Vorstellungen vergessen und berührt tief.

«Der Film erzählt viel mehr, als darin mit Worten gesagt wird.» Dies flüsterte mir Dzehva Šabanović vom Sitzplatz nebenan zu, während die ersten Filmszenen durch die abgedunkelte Aula flackerten. Darin zu sehen ist meine Sitznachbarin, eine elegant gekleidete Frau, die konzentriert in den Spiegel blickt und sich mit geübten Handgriffen das bunte Kopftuch umbindet. Doch darum geht es in diesem Film nicht.

Ein Strampelanzug als einziges Erinnerungsstück
Vielmehr handelt der Dokumentarfilm, der im Beisein der Hauptprotagonistin Dzehva Šabanović und der Produzentin und Regisseurin Edith Werffeli gezeigt wurde, von der Fluchtgeschichte dieser warmherzigen und selbstbewussten Frau. Vor 30 Jahren war sie mit ihrem damals einjährigen Sohn aus Bosnien-Herzegovina in die Schweiz gekommen. Von jener Zeit ist Šabanović und ihrer Familie nur der Strampelanzug des Sohnes als Erinnerungsstück geblieben. Dieses Kleidungsstück mit der Aufschrift «BABYBLU» bildet den roten Faden im Film, der die Familie an ihre Erinnerungsorte in Bosnien sowie an ihre Wirkungsorte in Zug begleitet.

Der Film erzählt mehr, als Worte allein es können
Während die Einstiegsszene noch mit unseren stereotypen Vorstellungen von «der» muslimischen Frau spielt, entspinnt sich während der folgenden fünfzig Minuten die nuancenreiche, berührende Geschichte einer transnational verankerten Familie, in der kein Raum ist für Stereotypen. So vertrauensvoll nahe vermag uns Edith Werffeli an die Menschen im Film heranzuholen – an die Familienmitglieder in Zug, wie auch an jene in Kalesija, Bosnien.

So lernen wir etwa den Bruder von Dzehva Šabanović kennen, von dem sie während der Kriegsjahre nicht wusste, ob sie ihn je wiedersehen würde. Er führt heute eine Autowerkstatt – und hat ein mildes Herz. Dies erfahren wir nebenbei in einer Interviewsequenz, während der zwei Katzenjunge auf seinen Knien herumspringen. Er hat sie von der Strasse gerettet. Wir sehen die Söhne der Šabanovićs, inzwischen erwachsene Männer, die beide ihren eigenen Weg gehen. Wir hören sie erzählen, über ihre Eltern, ihre Vergangenheit, ihr Leben in Zug. Sie sprechen in beiden ihrer Sprachen selbstverständlich, auf Zugerdeutsch und Bosnisch. Und wir erleben Dzehva, in vielen verschiedenen Rollen: im Beruf, als junges Mädchen (auf Fotos), beim Kochen, als Mutter oder beim Karate. Ja genau, Karate. Denn das echte Leben sprengt Stereotypen. Und gute Kunst erzählt mehr, als Worte allein es können.

Zur Studienwoche «Das Klassenzimmer als Teilhabe-Atelier: Perspektiven auf Schule, Herkunft und Zukunft in der migrationsgeprägten Gesellschaft»:

Transnationale Verflechtungen und Mobilität prägen die Schweizer Gesellschaft in allen Bereichen: Wirtschaft, Politik, Ökologie, Medien, Familie – und Schule. So spiegeln die heutigen Klassenzimmer zunehmend die über die Landesgrenzen hinausweisende und diversitätsgeprägte Geschichte und Lebenswelt der Bevölkerung wider. Und obschon kulturelle Diversität, Mehrsprachigkeit oder nationale Mehrfachzugehörigkeiten heute so alltäglich sind, dass Sätze wie letzterer mittlerweile fast als Binsenweisheit daherkommen, wird der gesellschaftliche Diskurs um diese Themen nach wie vor häufig polarisierend und problematisierend geführt. Und er verläuft ganz wesentlich entlang der sozialen Grenzziehung zwischen einem als «normal» und «ursprünglich» gedachten Schweizer «Wir» und dem als «anders» markierten Teil der Bevölkerung – den «Ausländerinnen und Ausländern».1

Soziale Grenzziehungen wie diese sind normalisiert und sie lassen den Kontext Schule nicht unberührt. Sie gelangen in die Klassenzimmer und können Lehrpersonen herausfordern und Bildungswege prägen. So sind entsprechende Unterscheidungen zuweilen auch von Pädagoginnen und Pädagogen zu hören, etwa wenn sie, explizit oder implizit, bewusst oder unbewusst, zwischen «Schweizer Kindern» mit einer «Schweizer Kultur» und «ausländischen Kindern» mit «anderen Kulturen» unterscheiden.

Mit Kunst soziale Grenzziehungsprozesse aufbrechen
Während der Studienwoche haben wir uns mit solchen sozialen Grenzziehungs- und Normalisierungsprozessen in der postmigrantischen Gesellschaft und Schule auseinandergesetzt. Wir haben danach gefragt, was Kunst und Kunstpädagogik dazu beitragen können, Stereotype zu hinterfragen und aufzubrechen. Zudem haben wir uns alltagsnah mit diesen Realitäten und Diskursen befasst: entlang konkreter Beispiele und Medien aus Literatur, Film, Musik und Theater und Dank Inputs aus erster Hand, von Kunstschaffenden wie Edith Werffeli und Dzehva Šabanović (Film BABYBLU), Chip Deva (Singer/Songwriterin) und Melina Mallàt (Improtheaterdarstellerin und Pädagogin).

Inputs für die zukünftige Berufspraxis der Studierenden
Darauf aufbauend haben die Studierenden die Möglichkeiten von Lehrpersonen ausgelotet, das Klassenzimmer als inklusiven, diskriminierungsfreien Lernraum (3rd Space) zu gestalten. Darin schreiben sie den Schülerinnen und Schülern von aussen keine Identität, Kultur oder Sprache zu, sondern diese können sie selbstbestimmt entdecken und gestalten. Und die Studierenden haben danach gefragt, was es braucht, damit alle Kinder im «Wir» der Schulklasse Platz finden und der Fokus von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler auf deren Sicht auf die Zukunft verlagert werden kann. Das Resultat ist ein Heft mit konkreten kunstpädagogischen Ideen der Studierenden zum Mitnehmen in ihre zukünftige Berufspraxis.

Von Shpresa Jashari, Besondere wissenschaftliche Mitarbeiterin IZB


Das Anführungszeichen verweist auf die Tatsache, dass der Begriff oft unzutreffend für Personen verwendet wird, die juristisch Schweizer Bürgerinnen und Bürger sind, aber eben im Alltagsdiskurs nicht «eigentlich» als solche gelten. So können fremd-markierte, genauer: migrantisierte Personen, auch wenn sie in der Schweiz als Schweizerinnen und Schweizer geboren wurden und die Migrationsgeschichte ihrer Familie zwei Generationen zurückliegen mag, in ihrem Alltag noch regelmässig die Frage hören: «Wo kommst Du eigentlich her?». Oder «Komplimente» wie: «Du sprichst aber gut Deutsch!»

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