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10.11.2016

Lehrpersonen können die Lernmotivation steuern

10.11.2016
Intelligenz ist ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal, Motivation nicht. Was muss ich wissen und was kann ich tun, um im Klassenzimmer eine motivierende Atmosphäre zu schaffen? Von Elsbeth Stern* ...
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Intelligenz ist ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal, Motivation nicht. Was muss ich wissen und was kann ich tun, um im Klassenzimmer eine motivierende Atmosphäre zu schaffen?

Von Elsbeth Stern*

Als Lernforscherin liegt mein Schwerpunkt auf der menschlichen Kognition. Ich beschäftige mich mit der Frage, wie die menschliche Ressource „Intelligenz" in Wissen investiert wird, welches zur Bewältigung bisher unbekannter Anforderungen herangezogen werden kann. Im Mittelpunkt meiner Forschung steht der Erwerb von Wissen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Diese gehören nicht zu den beliebtesten Schulfächern, und das Lernergebnis ist nicht selten unbefriedigend.

Wenn ich in Vorträgen und Artikeln Wissen und Denkstrukturen analysiere, die mathematisch-naturwissenschaftlichem Denken zugrunde liegen, werde ich so gut wie immer gefragt, ob nicht Motivation wichtiger sei als Intelligenz und Wissen. Daran schliesst sich öfters die Frage an, ob nicht die Begeisterung, die eine Lehrperson im Unterricht für ihr Fach ausdrückt, der eigentlich entscheidende Faktor für die Motivation der Schüler und damit für deren Lernerfolg sei.

Beides ist nicht falsch. Signalisiert eine Lehrperson, dass der Unterricht für sie nur eine Pflichtübung ist und dass sie die Inhalte kalt lassen, bleiben die Schüler weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Mit Begeisterung allein ist es jedoch nicht getan: Wird sie unreflektiert zum Ausdruck gebracht, besteht die Gefahr, dass über die Köpfe der Schüler hinweg unterrichtet wird. Ohne fachdidaktisches Wissen, also ohne Wissen darüber, welche Probleme beim Lernen der Fachinhalte und insbesondere von Fachbegriffen auftreten, kann nicht lernwirksam unterrichtet werden.

Korrekt ist auch, dass Unterricht nur gelingen kann, wenn Schüler die Bereitschaft zeigen, sich auf den Lernstoff einzulassen – also motiviert sind. Falsch ist jedoch die Vorstellung, wonach Motivation ein stabiles Charaktermerkmal einer Person ist, mit dem sie in den Unterricht kommt. Tatsächlich lassen sich Intelligenz und Motivation nicht gegeneinander ausspielen, da sie Unterschiedliches zum Lernerfolg beitragen. Intelligenz ist ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal, von dem es abhängt, wie effizient wir Information verarbeiten und gute Lerngelegenheiten nutzen können. Aber auch der intelligenteste Schüler wird das Lernziel nicht erreichen, wenn es nicht gelingt, ihn für den Lerninhalt zu motivieren. Umgekehrt kann man einen Mangel an Intelligenz nicht beliebig durch Fleiss und Motivation kompensieren, sondern nur in einem durch den Schwierigkeitsgrad des Lernstoffs festgelegten Rahmen.

Im Gegensatz zur Intelligenz ist Motivation ein auf die Situation bezogener Zustand, der sich kurzfristig ändern kann und den Lehrer deshalb durch ihren Unterricht beeinflussen können. Zum besseren Verständnis von Motivation hat sich die Unterscheidung in intrinsisch und extrinsisch eingebürgert. Von intrinsischer Motivation spricht man, wenn man etwas der Sache wegen macht, von extrinsischer hingegen, wenn man sich wegen der positiven Konsequenzen (z. B. Note, Bildungsabschluss) anstrengt. Allerdings sind in jeder komplexeren Tätigkeit – und schulisches Lernen gehört ohne Zweifel dazu – beide Elemente enthalten und ihre Anteile können über die Zeit variieren. Das ist selbst bei Hobby wie beispielsweise dem Reiten der Fall: Das Ausmisten der Ställe wird weniger von intrinsischen Motiven gesteuert als das Galoppieren über die Felder, aber kein Pferdeliebhaber lässt sein Tier im Schmutz vor sich hinvegetieren. Wir haben hoffentlich alle Freude an unserem Beruf und geben unser Bestes, aber wir wären deshalb doch nicht bereit, auf die Hälfte unseres Salärs zu verzichten, selbst wenn wir von der anderen Hälfte leben könnten.

Lehrpersonen, die die mangelnde Lernwirksamkeit ihres Unterrichtes ausschliesslich und wiederholt mit einem Mangel an intrinsischer Motivation auf Seiten der Schüler begründen, unterliegen einem gefährlichen Missverständnis. Die meisten Schüler haben andere Interessen als die Auseinandersetzung mit dem in der Schule angebotenen Lernstoff, vor allem wenn es anstrengend wird. Aber alle Menschen sind auch darauf eingestellt, Anforderungen zu bewältigen, für die sie kein Herzblut opfern müssen. Ob das in der Schule funktioniert, hängt vor allem vom Grad der erlebten Selbstbestimmung ab, wie dies in der führenden Motivationstheorie der Psychologen Richard Ryan und Edward Deci beschrieben wird. So unterschiedlich Menschen in vieler Hinsicht sind, so ähnlich sind sie sich darin, welche drei Randbedingungen erfüllt sein müssen, damit Menschen lernbereit sind: Autonomie, soziale Akzeptanz und Kompetenzerleben.



Gegen das Grundbedürfnis nach Autonomie wird verstossen, wenn man sich fremdbestimmt fühlt, also das Gefühl hat, als Marionette einer anderen Person ausgeliefert zu sein. Institutionelles Lernen auf allen Altersstufen ist per definitionem durch Fremdbestimmung geprägt: Die Lernziele und die Gestaltung der Lerngelegenheiten werden vorgegeben und das muss auch so bleiben. Mit diesem Mangel an Autonomie können sich die Lernenden jedoch besser abfinden, wenn ihnen bei passenden Gelegenheiten aufgezeigt wird, wofür es sich lohnt, neues Wissen zu erwerben. Welches Problem man mit dem Wissen lösen kann und welche Fragen man beantworten kann, wenn man sich auf den Lernstoff einlässt, sollte deshalb am Anfang einer Lerneinheit stehen. Dazu ist es nicht unbedingt nötig, dass auf Seiten der Schüler brennendes Interesse besteht, aber Schüler müssen nachvollziehen können, warum dem Lehrenden bestimmte Inhalte wichtig sind.

Dem Bedürfnis nach Autonomie kann die Lehrperson auch durch Wahlmöglichkeiten in einem abgesteckten Rahmen entgegenkommen. Wer ein Kind zum gesunden Essen erziehen möchte, weiss, dass man es nicht vor die Entscheidung stellen darf, ob ein Stück Obst oder ein Schokoladenglacé zum Dessert gewünscht wird. Die Bereitschaft zum Obstessen steigt jedoch, wenn die Wahlmöglichkeit zwischen Apfel und Birne gegeben wird. Auch für die Gestaltung von Lernumgebungen gilt: Nicht ein Laissez-Faire soll es sein, sondern eine von der Lehrperson geleistete Vorstrukturierung, die an verschiedenen Punkten Wahlmöglichkeiten bietet. Damit werden die besten Wirkungen erzielt.

Auch eine für die Lernenden nicht nachvollziehbare Bewertung und Benotung der Leistung wird als Eingriff in die Autonomie erlebt und kann das zarte Pflänzchen der intrinsischen Motivation zerstören. Letztere wird auch beeinträchtigt, wenn eine als lustvoll erlebte Tätigkeit noch zusätzlich materiell belohnt wird. Es verschiebt sich die Bewertung der Tätigkeit: Was man vorher freiwillig getan hat, unterliegt jetzt externer Kontrolle. Man nennt es auch den Korrumpierungseffekt der Belohnung. Eine exzessive Benotungspraxis zerstört mit grosser Wahrscheinlichkeit intrinsische Motivation. Besser ist es, seltener, aber dafür sehr sorgfältig zu benoten.



Zur sozialen Akzeptanz: kein Mensch kann längere Zeit damit leben, ein Aussenseiter zu sein und Blossstellungen zu erleben. Passiert dies öfters, wird schulisches Lernen als ein Überlebenskampf interpretiert und man wird sich rechtzeitig mit Abwehrhaltungen wappnen. Dass Angst eher Fluchtverhalten als Konzentration auf ein akademisches Lernziel auslöst, ist vielfach nachgewiesen. Hohe Ansprüche an die Lernenden sind berechtigt, aber sie müssen positiv formuliert werden. Soziale Akzeptanz im Unterricht zeigt sich vor allem in einer Fehlerkultur: Falsche Antworten werden vom Lehrer produktiv aufgenommen und in die didaktische Planung integriert.

Der dritte Faktor, das Kompetenzerleben, ist entscheidend dafür, dass wir auch wenig beliebte Dinge in Angriff nehmen und fertig stellen. Erfolg zu haben und Leistungsfortschritte bei sich selbst zu erleben, ist per se motivierend. Das erklärt auch, warum, Schüler, die nicht zu ihren Hausaufgaben zu bewegen sind, bei Computerspielen regelrechte Suchterscheinungen zeigen. Die Rückmeldung über den Lernfortschritt ist per se motivierend. Sitzt man hingegen über Mathematikaufgaben, bei denen man nicht einmal weiss, wie man sie angehen soll, führt die Frustration über ausbleibendes Kompetenzerleben zu Vermeidungsverhalten. Realistische Lernziele zu setzen und Aufgaben zu stellen, welche an den Wissensstand der Lernenden angepasst sind, macht die Expertise guter Lehrpersonen aus. Dazu gehört auch, sich auf Leistungsunterschiede einzustellen und Mindeststandards zu formulieren. Gerade in der adäquaten Formulierung und Auswahl von Aufgaben und Aufträgen zeigt sich die professionelle Kompetenz von Lehrpersonen.

Wenn Lehrende bei der Gestaltung der Lernumgebung die drei genannten Faktoren berücksichtigen, lassen sich die Lernenden auch bei nicht übermässig ausgeprägter Motivation mit grösserer Wahrscheinlichkeit auf den Stoff ein, und bei manchen Schülern entsteht sogar Interesse und intrinsische Motivation.

* Prof. Dr. Elsbeth Stern ist seit Herbst 2006 ordentliche Professorin für empirische Lehr- und Lernforschung und Leiterin des Instituts für Verhaltensforschung am D-GESS (Departement für Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften) der ETH Zürich. Dort ist sie verantwortlich für den pädagogischen Teil der Ausbildung angehender Gymnasiallehrpersonen. Als kognitive Psychologin beschäftigt sie sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Lernen von Wissenschaften und Mathematik.

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