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05.05.2025

Dialekt und Standardsprache in der Schule

05.05.2025
Zum guten Nebeneinander von Schweizerdeutsch und Standardsprache in der Schule
AS
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Standarddeutsch und Dialekt in der Schule: Dazu hat Alexandra Schiesser ein Buch herausgegeben. Im Interview mit der Schulinfo beschreibt sie, wie es um das Nebeneinander der beiden Sprachformen steht – und wie das Nebeneinander gelingen kann. Ein schweizerdeutsches Lieblingswort hat die Dozentin der PH Zug natürlich auch.

Zuerst ein paar Begriffe als Startfragen für die Sprachforscherin: Was ist eine Diglossie?
Alexandra Schiesser*: Der Fachbegriff «Diglossie» bezeichnet den Umstand, dass in einem Sprachraum zwei Formen einer Sprache existieren und diese Sprachformen in unterschiedlichen Situationen verwendet werden; eine in eher formellen, die andere in eher informellen Situationen.

Also genau das, was wir bei uns mit dem Nebeneinander von Schweizerdeutsch und Standardsprache haben?
Genau – ausserdem unterliegen die Sprachformen unterschiedlichen Wertungen: Bei uns ist Schweizerdeutsch beispielsweise besser bewertet als die Standardsprache, jedenfalls in der Mündlichkeit.

Und was ist eine Varietät?
Varietäten sind eben jene Sprachformen: die Standardsprache auf der einen und die Dialekte auf der anderen Seite. Wenn man Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer fragt, welches ihre beste Fremdsprache sei, dann antworten manche: «Hochdeutsch». Fachlich gesehen handelt es sich bei Standarddeutsch und Dialekt aber eben nicht um zwei Sprachen, sondern um zwei Varietäten einer Sprache.

Sie befassen sich an der PH Zug beruflich mit beiden Varietäten und auch damit, wie sie in der Schulpraxis verwendet werden.
Der schulische Umgang mit den Varietäten ist ein Dauerbrenner – und auch die Diskussion darüber. Seit der Einführung der Standardsprache wird die Frage, wie viel Hochdeutsch, wie viel Dialekt für die Kinder in unseren Schulen gewinnbringend ist, wiederkehrend gestellt. Im 19. Jahrhundert z. B. wurde die These vertreten, dass Kinder die Fachinhalte nur dann gut verstehen würden, wenn der Lehrer (sic!) sie in der Mundart vermittle.

Das Nebeneinander von Schweizerdeutsch und Standardsprache sollte es in der Schule eigentlich gar nicht geben. Ich erinnere mich an den Befehl «Standardsprache only» vor knapp 25 Jahren, nach dem PISA-Schock aufgrund der schwachen Leseergebnisse. Sie sich auch?
Höchstens sekundär – ich war damals nämlich selbst noch in der Schule. Aber ja: In den 2000ern wurde, aufgrund der schlechten PISA-Resultate, die Standardsprache zur hauptsächlich zu fördernden schulischen Varietät erklärt. Lesekompetenzen mit einer Hochdeutschoffensive optimieren zu wollen, ist aus fachlicher Sicht fragwürdig – man sieht daran aber gut, wie stark die Varietätenfrage politisch gebunden ist.

Hat die standardsprachliche Strenge etwas gebracht?
Für die Lesekompetenz nicht direkt. Studien zeigen jedoch, dass der Umgang jüngerer Schweizerinnen und Schweizer mit dem Standarddeutschen unverkrampfter ist als derjenige der älteren Semester. Das hat primär mit der Sprachverwendung in der Schule zu tun. Dass Kinder auf der Schulreise die Lehrperson heute auf Standarddeutsch adressieren, ist ein Effekt dieser Initiative.

Es gibt auch einen Gegentrend. In Ihrem Buch «Standarddeutsch und Dialekt in der Schule» schreiben Sie von der «aufstrebenden Idee, Erstsprachen (…) und damit auch Dialekte in der Schule im Unterricht zu berücksichtigen, zu integrieren und zu fördern».
Die Idee, die Sprachen aller Kinder, die zur Schule gehen, sichtbar zu machen und wertzuschätzen, stammt aus der interkulturellen Pädagogik. Sie gründet auf der Prämisse, dass die Sprachen resp. die Sprachformen, mit denen Kinder zuallererst in Kontakt kommen, für sie prägend sind. Aus diesem Grund – so der Leitgedanke – sollten sie in der Schule ihren Platz bekommen. Diese Ansicht wird von vielen Lehrpersonen geteilt: Sie veranstalten z. B. mehrsprachige Begrüssungs- oder Geburtstagsrituale. Auch in den aktuellen Lehrmitteln erhält die Mehrsprachigkeit einen gebührenden Platz – die äussere Mehrsprachigkeit, verschiedene Sprachen, wie auch die innere Mehrsprachigkeit, verschiedene Dialekte.

AB
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Foto: Andreas Busslinger

Der Lehrplan 21 geht den Sprachenstreit pragmatischer an. Ich habe mit dem Suchbegriff «Mundart» immerhin 14 Treffer erzielt. Die Beherrschung von Mundart und Standardsprache ist wichtig für die gesellschaftliche Integration und berufsspezifische Profilierung in der deutschsprachigen Schweiz, heisst es etwa bei den didaktischen Hinweisen zum Sprachenlernen. Ich denke zum Beispiel an ein Bewerbungs-, Verkaufs- oder ein Telefongespräch. Wie sieht das die Forscherin?
Genau gleich: Für den Übergang von der Volksschule in die Berufslehre ist der Dialekt in der Schweiz unbestritten wichtig. Und auch zu Beginn der Schullaufbahn ist er zentral: Im Kindergarten bildet er ebenfalls einen wichtigen Pfeiler für die Integration. Vor diesem Hintergrund kann man schon die These vertreten, dass der Dialekt im Lehrplan 21 marginalisiert wird. Die Marginalisierung beruht wahrscheinlich auf der Annahme, dass alle Kinder, die eine Schweizer Schule besuchen, Dialekt sprechen. Dies ist heute aber nicht mehr der Fall. Immer häufiger treten Kinder auch zu späteren Zeitpunkten ins Schulsystem ein. Gerade letzthin hat mir eine Sekundarlehrerin erzählt, dass sie mit einer Schülerin, die erst vor Kurzem zugewandert ist, Dialekt verstehen übt: mit Blick auf eine erfolgreiche berufliche Integration in der Schweiz ein angemessenes Förderziel.   

Bei den einleitenden Kapiteln zum DaZ heisst es dann: Nach dem Prinzip der bilingualen Erziehung «eine Person - eine Sprache» hält sich die Lehrperson an den konsequenten Gebrauch des Hochdeutschen. Für die Unterstützung zum Mundarterwerb wird auf den regulären Unterricht verwiesen. Eine gute Arbeitsteilung?
Das Prinzip «Eine Person – eine Sprache» ist in der Praxis verbreitet und als Tipp gern gehört: Für die Lehrpersonen bietet es Orientierung in einem zunehmend mehrsprachigen Umfeld. Auch seitens der Kinder wird mit Orientierung argumentiert: Man spricht von Orientierungskompetenz und meint damit, dass Kinder lernen müssen, zwischen Dialekt und Standardsprache zu unterscheiden. Sind die Varietäten im Schulkontext an bestimmte Personen gebunden, erleichtert dies die Orientierung im Spracherwerb mutmasslich. Wie allerdings das Beispiel der Sekundarlehrerin und ihrer Schülerin zeigt, macht es sicher Sinn, sich nicht sklavisch an dieses Prinzip zu halten, sondern auch Ausnahmen zu gewähren. Denn wenn die Lehrperson nicht nur Standarddeutsch, sondern auch Dialekt spricht, kann dies der Orientierungskompetenz ebenfalls zuträglich sein – einfach auf eine andere Art und Weise.

Im Kanton Zug ist die Schulsprache sogar auf Stufe Schulgesetz geregelt: Im Kindergarten soll grundsätzlich Mundart und in der Schule grundsätzlich Standardsprache gesprochen werden. Grundsätzlich, um beim Bild zu bleiben, sollten damit die Lehrplanziele erreicht werden können. Einverstanden?
Ja. Welche Varietät im Kindergarten Priorität hat, ist ein grosses Politikum. Aus linguistischer Sicht ist es sicher sinnvoll, den Kindern bereits im Kindergarten den Zugang zur Standardsprache zu ermöglichen. Sie ist es, die anschliessend zur Schriftlichkeit und damit zur Bildungssprache führt. Die bildungssprachlichen Kompetenzen wiederum legen den Grundstein für den Schulerfolg, dies ist breit belegt. Aber an den Rändern ist auch der Dialekt wichtig.

Was gibt die PH Zug ihren Studentinnen und Studenten mit auf den Weg zum Umgang mit Schweizerdeutsch und Standardsprache?
Wichtige Grundlagen, z. B., dass das deutschländische Standarddeutsch nicht besser ist als das Schweizer Standarddeutsch. Man spricht heute vom plurizentrischen Deutsch und vertritt damit die Ansicht, dass es verschiedene «Deutschs» gibt, die gleichwertig sind. Auch Helvetismen sind ein Thema: Das sind jene sprachlichen Einheiten, die das Schweizer Standarddeutsch ausmachen; «Trottoir» etwa, oder «grillieren». Hier ist wichtig, dass Helvetismen als Konstituenten des Schweizer Standards erkannt und in Schülertexten nicht etwa korrigiert werden. Auch die Eigenheiten der Schweizer Dialektlandschaft sind manchmal ein Thema.

Fällt Ihnen ein guter Mundartgedichtband für die Schule ein?
Da gibt es Vieles. Für Zyklus 1 eignen sich Verse und Lieder, je nach Thema und Jahreszeit vielleicht ein Samichlaus-Värsli oder ein Osterlied. Dann mag ich die vertonten Gedichte von Lorenz Pauli. Dies ist dann eher etwas für den Übergang zum Zyklus 2. Für diesen Zyklus würde ich auch Mani Matter empfehlen. Für Zyklus 3 ist «Spoken Word» attraktiv: Der «Gesunde Menschenversand» hat viel Schweizer Spoken-Word-Literatur herausgegeben. Im besten Fall hört und sieht man sich das zusätzlich an. Und wenn es auch hier musikalisch sein darf: Aktuelles aus den Charts in Dialekt. 

Wir haben mit Begriffen angefangen und hören mit Begriffen auf. Friedrich Dürrenmatt hat schweizerdeutsche Begriffe in der standardsprachlichen Literatur salonfähig gemacht. Oben haben Sie die sogenannten Helvetismen erwähnt. Baumnuss, Abwart, Kondukteur oder auch die Finken, die in der Schule ja nicht unwesentlich sind. Soll ich jetzt als Lehrperson vom Schaffner oder vom Kondukteur reden?
Vom Kondukteur – da es sich dabei eben um einen Helvetismus handelt. Und natürlich auch von den Finken. Auch DaZ-Kindern gegenüber. Dabei handelt es sich um sogenannte «Classroom-Language», wie auch bei Znüni oder Etui. Ohne das Verständnis dieser Lexeme geht’s nicht.

Vom Couvert oder vom Briefumschlag?
Vom Couvert.

Und zu guter Letzt: Mein schweizerdeutsches Lieblingswort ist «Henusode». Auch «Fuuschtbrot» oder «Füdlibürger» mag ich. Haben Sie auch eins?
Lustig – «Fuuschtbrot» treffe ich in meinem Alltag immer mehr an. Erlebt das Wort gerade ein Revival?  Item… Und dies wäre dann auch gleich mein Lieblingswort: «Item». Und «Luuszapfe», das mag ich auch.  


*Alexandra Schiesser ist Leiterin der Dozentur DaZ an der Pädagogischen Hochschule Zug. Sie ist ausgebildete Gymnasiallehrerin und promovierte Linguistin. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Sprachsituation in der Deutschschweiz, Mehrsprachigkeit, Schulische Sprachförderung. Aktuelle Publikation zum Thema: Standarddeutsch und Dialekt in der Schule.

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