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08.06.2024

Führung: Mit Haltung und Beziehung

08.06.2024
Tobias Gadient über Beobachtungen und Lehren aus der Sonderschulung für alle Schulzimmer.
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Um Verhaltensroutinen zu durchbrechen, braucht es Geduld und Gedächtnis. Geduld, weil nicht jeder Konflikt im Moment gelöst werden kann. Gedächtnis, weil der Konflikt nicht verdrängt werden darf, sondern in einem besseren Moment verarbeitet werden muss. Dazu braucht es Haltung und Beziehung.

Von Tobias Gadient*

Lehrerinnen und Lehrer entwickeln während ihrer Ausbildung und ihrer Berufstätigkeit ein breites Repertoire, um besonderen Anforderungen, die ihnen durch einzelne Schülerinnen und Schüler gestellt werden, zu begegnen. Hierbei werden sie an den Regelschulen von weiteren Fachleuten unterstützt, etwa im Bereich der schulischen Heilpädagogik oder der schulischen Sozialarbeit. Bei einigen wenigen Lernenden reichen diese Ressourcen nicht und es werden im Rahmen von verstärkten Massnahmen zusätzliche Ressourcen gesprochen. Dies betrifft im Kanton Zug seit Jahren rund 3 % der Schülerinnen und Schüler. Von diesen 3 % werden etwa ein Drittel integrativ in den Regelschulen unterrichtet und etwa zwei Drittel separativ an Sonderschulen (vergl. Antwort Zuger Regierungsrat auf eine Kleine Anfrage vom 2. April 2024, Vorlage Nr. 3698.1 – 17631).

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Das heisst, dass schon einiges ausprobiert wurde, bevor eine Anfrage für eine Sonderschulplatzierung bei mir eintrifft. In vielen Fällen hat sich hierbei für alle Beteiligten ein grosser Leidensdruck angestaut: Für die Erziehungsberechtigten, die immer wieder für Elterngespräche aufgeboten wurden und die sich damit auseinandersetzen mussten, dass ihr Kind mit den Anforderungen, die an es gestellt werden, nicht mithalten kann. Für die Lehrpersonen, die trotz aller Bemühungen feststellen mussten, dass sich der Knopf bei ihrem Schützling nicht löst. Und insbesondere beim Schüler oder der Schülerin selbst, die sich selbst immer und immer wieder als störend, überfordert und vor allem anders als die anderen erlebten.

Die Reaktionen der Schülerinnen und Schüler auf die Situation können vielfältig sein. In der Regel verschlimmern sie diese: Hilflosigkeit und Überforderung führen zu einem Leistungsabfall, zu Verweigerung, Schulabsentismus oder zu einer Verstärkung der negativen Verhaltensweisen im Klassenverbund. Je länger die Situation andauert, desto mehr verfestigen sich die Verhaltensmuster. Und desto schwieriger wird es, aus ihnen hinauszufinden.

Kommt ein Schüler oder eine Schülerin aufgrund seiner oder ihrer Verhaltensproblematik zu uns, besteht unsere Aufgabe darin, die negativen Verhaltensroutinen zu durchbrechen, und an ihrer Stelle neue, positive Strategien einzuüben. Unser Ziel ist es, dazu beizutragen, dass das Kind oder der bzw. die Jugendliche selbständig den Anforderungen begegnen kann, die das Leben stellen. Wir arbeiten mit den Schülerinnen und Schülern an ihrer Lebensbefähigung.

Einerseits helfen uns gute Rahmenbedingungen bei diesem Unterfangen: Die Schülerinnen und Schüler werden in kleinen Klasse von höchstens 8 Lernenden unterrichtet. Dies erlaubt es den Lehrpersonen, individuell auf die einzelnen Kinder und Jugendlichen einzugehen. Weiter sind unsere Klassenlehrpersonen schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, die auch das nötige Fachwissen in Bezug auf Verhaltensstörungen mitbringen. Zusammen mit einer Sozialpädagogin oder einem Sozialpädagogen bilden die Klassenlehrpersonen ein tragfähiges Bezugssystem, das die Kinder und Jugendlichen unterstützt.

Andererseits ist die Haltung der Bezugspersonen entscheidend, um die Schülerinnen und Schüler von ihren maladaptiven Verhaltensmustern abzubringen. Und die Haltung muss sein, dass jegliche Situationen immer auch ein Lernfeld für die Kinder und Jugendlichen darstellen können und, um erfolgreich an neuen Verhaltensmustern zu arbeiten, auch sein müssen. So wollen wir zum Beispiel nicht möglichst wenig Konflikte, sondern dass der Schüler oder die Schülerin lernt, Konflikte zu bewältigen.

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Um etwas auszuholen: Es ist möglich, ein Schüler oder eine Schülerin über weite Strecken vor externalisierenden oder internalisierenden Eskalationen zu bewahren. Dies geschieht unter anderem über Reizreduktion (sowohl in Bezug auf akustische und visuelle Reize als auch soziale), klare und vereinfachte Handlungsvorgaben oder Medikation. Dies sind alles wichtige Mittel, die bei unserer Arbeit zum Einsatz kommen. Wir dürfen uns jedoch nicht dazu verleiten lassen, dass wir es bei diesen prothetischen Mitteln belassen. Sie helfen uns zwar dabei, dass wir die Kinder und Jugendlichen nicht überfordern. Sie dürfen jedoch nicht dazu führen, dass wir sie gar nicht mehr fordern. Denn Entwicklung geschieht in der Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen Umwelt. Unsere Ressourcen und unser Know-how ermöglichen es uns, die Schülerinnen und Schüler an Herausforderungen heranzuführen, gegebenenfalls Überforderungen auszuhalten und zusammen einen Weg aus ihnen herauszufinden.

Basis zu alledem muss eine gute Beziehung zwischen den Kindern und Jugendlichen und den Pädagoginnen und Pädagogen bilden. Hierbei werden wir von der Entwicklungspsychologie (vergl. Bindungstheorien nach Bowlby) und der Erziehungswissenschaft (vergl. grosse Metastudie von Hattie) bestätigt: Eine sichere Bindungserfahrung ermöglicht es den Kindern und Jugendlichen, mit sich und der Aussenwelt in einen explorativen Austausch zu treten.

Die Pädagogin oder der Pädagoge ist also entscheidend in der weiteren Entwicklung der Kinder und Jugendlichen dabei, dass sie negative Verhaltensroutinen überwinden. Und die Rolle der pädagogischen Bezugsperson ist sehr umfassend: Sie vermittelt gesellschaftliche Erwartungen an die Verhaltensmuster und fordert diese ein, sie begleitet das Kind oder den Jugendlichen bzw. die Jugendliche in der Auseinandersetzung mit solchen Erwartungen, sie begleitet, wenn ein Schüler oder eine Schülerin mit sich selbst oder anderen in Konflikte gerät. Bei dem ganzen Unterfangen bietet auch der Pädagoge oder die Pädagogin Angriffsfläche, leistet Widerstand und trägt Konflikte mit den Kindern und Jugendlichen aus. Hierbei stellt er oder sie ein Modell dar, wie man sich in Konflikten verhalten kann, um auch wieder hinauszufinden. Und nicht zuletzt stellt er oder sie ein Beispiel dafür dar, dass ein Konflikt nicht mit einem Beziehungsabbruch gleichzusetzen ist. Insbesondere nach einem Konflikt ist es wichtig, dass die erwachsene Person zur Verfügung steht, um einzuordnen, was passiert ist, und anzuschauen, wie es weiter gehen kann.

Damit schliesst sich der Kreis zur Regelschulpädagogik. Wie in der Regelschule steht und fällt der Erfolg in der Begleitung der Schülerinnen und Schüler mit der Führungskompetenz der Pädagogin oder des Pädagogen (vgl. hierzu auch das Interview mit Clemens Diesbergen im Schulinfo vom 2. Mai 2024). Mit der zusätzlichen Herausforderung der Verhaltensauffälligkeit, den eingeübten und verinnerlichten negativen Verhaltensmuster der Schülerin oder des Schülers muss die pädagogische Bezugsperson hartnäckig sein, geduldig, präsent und bereit, immer wieder von neuem einen Anlauf zu nehmen.


*Tobias Gadient arbeitet seit 2005 im Sonderschulbereich (Verhalten) als Klassenlehrer in verschiedenen Institutionen. Seit 2015 ist er als Schulleiter tätig. Nebst seiner Ausbildung zum Heilpädagogen (M.A.) absolvierte er die Schulleiterleiterausbildung (CAS). Seit 2018 ist er Bereichsleiter in der Schule Horbach.

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