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18.02.2021

Gedanken zur deutschen Orthografie

18.02.2021
Gedanken zur deutschen Orthografie
KSklein
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Bis in die 1970er-Jahre galt in der Schweiz das Erlernen der korrekten Rechtschreibung als eines der wichtigsten Ziele des Deutschunterrichts. Dann kam Hans Glinz. Die Beherrschung der Rechtschreibung wird seither unter einem neuen Blickwinkel betrachtet, an Bedeutung verloren hat sie nicht. Dies zeigen auch die Aussagen von Zuger Lehrpersonen.

Von Knut Stirnemann*

Vorbemerkung: Der folgende Text wurde in Form einer „peer review“ von Frau Dr. Sabine Krome vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim durchgesehen. Als Geschäftsführerin des Rats für deutsche Rechtschreibung und ehemalige Chefredakteurin des Wahrig-Wörterbuchs ist sie wohl eine der kompetentesten Personen in Bezug auf Fragen der Orthografie. Sie hat den Text redaktionell durchgesehen und einige Details in Bezug auf den Rat für deutsche Rechtschreibung geklärt. Herzlichen Dank für diese Unterstützung!

„Rechtschreibung ist nicht so wichtig, aber man muss sie können.“

Diese Aussage von Hans Glinz trifft den Nagel auf den Kopf. Als er sie 1976 im Schweizer Sprachbuch für die 6. Klasse[1] publizierte, ging allerdings ein Aufschrei durch die Lehrerschaft. „Das ist doch Quatsch!“, hiess es. „Wenn meine Schüler das lesen, bemühen sie sich nicht mehr, korrekt zu schreiben.“ Und einige liessen sich sogar zu unflätigen Äusserungen hinreissen: „Wie kann dieser Glinz nur so einen Blödsinn verbreiten! Dieses neue Deutschbuch gehört in den Papierkorb.“

Der Schweizer Linguist und Sprachdidaktiker Hans Glinz (1913-2008) hat niemals an der Bedeutung der Rechtschreibung für die schriftliche Kommunikation gezweifelt. Deshalb sagte er auch, dass man sie beherrschen muss. Aber er war aufgrund seiner neuen deutschdidaktischen Ansätze überzeugt, dass es neben der Rechtschreibung noch andere Lernbereiche des Deutschunterrichts gibt, die für die Schülerinnen und Schüler als Mitglieder der Gesellschaft mindestens ebenso wichtig sind. Wer jedoch nur den ersten Teilsatz der Aussage im Gedächtnis behielt, musste an der Effizienz von Glinz‘ Deutschdidaktik zweifeln; denn bisher galt das Erlernen der korrekten Rechtschreibung als eines der wichtigsten Ziele des Deutschunterrichts. Hat die Beherrschung der Orthografie also an Bedeutung verloren?

Im Folgenden greife ich drei Fragen auf, um unseren heutigen Umgang mit der Rechtschreibung aufzuzeigen:

1.    Hat die gesellschaftliche Bedeutung der Orthografie in den letzten fünfzig Jahren ab- oder vielleicht sogar zugenommen?

2.    Welche Aufgabe erfüllt der Rat für deutsche Rechtschreibung bei der Bewahrung und Weiterentwicklung der Orthografie?

3.    Welche Rolle sollte heute die Rechtschreibung in der Schule spielen?


RG
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Abbildung 1

1.    Die gesellschaftliche Bedeutung der Rechtschreibung

Dass die Rechtschreibung eine überragende Bedeutung für unsere Gesellschaft hat, zeigte sich nach der Einführung der neuen Rechtschreibung im Jahr 1998 deutlich: Obwohl diese Neuregelung nur recht kleine Eingriffe ins Regelwerk der deutschen Orthografie brachte, wurden diese Anpassungen von verschiedenen Seiten vehement bekämpft. Es begann ein Glaubenskrieg, bei dem sich Gegner und Befürworter mit harten verbalen Bandagen angriffen. Sollten wir „Gemse“ oder „Gämse“ schreiben? „Schiffahrt“ oder „Schifffahrt“? „heute abend“ oder „heute Abend“? Niemand der Beteiligten hatte erwartet, dass die Diskussionen über solche Fragen derart ausarten könnten. Die Rechtschreibung rückte in den Zeitungen auf die Titelseiten.

Dies führte dazu, dass die Neuregelung im Jahr 2006 nochmals reformiert wurde: Einige wenige Änderungen wurden überarbeitet und man liess mehr Variantenschreibungen zu. Dadurch beruhigte sich die öffentliche Debatte ein wenig, aber die Rechtschreibung und ihre Reform blieben ein Thema in der Gesellschaft. Leidenschaftlich wird auch heute immer wieder ein Diskurs geführt über den Wert und die Bedeutung der Orthografie.

Zwar behaupten viele, insbesondere Lehrpersonen wie z. B. Valérie Zehnder, dass „die Rechtschreibung sicherlich nicht mehr eine ganz so hohe Bedeutung [hat], wie sie einmal hatte“[2]. Auch Thomas Heimgartner kennt die verbreitete Aussage, „dass der Stellenwert der Rechtschreibung abgenommen hat.“[3] Dennoch betonen die Lehrerin aus Neuheim und der Kantonsschullehrer auch die grosse Wertschätzung, die der Rechtschreibung entgegengebracht wird. Ebenso bekräftigt dies Mathias Hösli: „Einerseits merke ich immer wieder, dass die Rechtschreibung gerade in der Gesellschaft als sehr wichtig erachtet wird.“[4] Anhand eines Beispiels verdeutlicht dieser Lehrer seine Aussage: „Ein Lehrmeister einer Autogarage hat mir beispielsweise einmal gesagt, dass dies der erste Eindruck dieser Person sei und Rechtschreibfehler schon eine Absage zur Folge haben könnten. Wegen solchen, aber auch anderen Gründen, darf man die Wichtigkeit der Rechtschreibung nicht unterschätzen.“[5] Anja Mangelsdorff gibt zu bedenken, „dass es schnell ungebildet wirkt, wenn viele Rechtschreibfehler gemacht werden.“[6] Deshalb sei fehlerfreies Schreiben „bei Bewerbungen, bei Mails, im Briefverkehr etc.“[7] notwendig. „Für mich persönlich ist es sehr wichtig, dass man korrekt und fehlerfrei schreiben kann. Ich denke auch, dass es einem im Leben Vorteile bringt, der erste Eindruck zählt“[8], meint Valérie Zehnder.

Ebenso wie der Lehrmeister einer Autogarage beklagen sich manche Universitätsprofessoren und -professorinnen weniger über Inhaltliches oder die Formulierungen ihrer Studierenden als in erster Linie über deren schwache Rechtschreibung und Zeichensetzung.

Wie es die Gesellschaft heute mit der Orthografie hält, zeigt das lesenswerte Büchlein aus dem Dudenverlag „Warum es NICHT EGAL ist, wie wir schreiben“[9]. Darin sagt der Linguist und Rechtschreibexperte Peter Gallmann: „Wenn wir irgendein Produkt kaufen, legen wir immer Wert darauf, um es mit einem Anglizismus zu sagen, dass das <Finish> stimmt: Die äußere Gestalt sagt indirekt auch etwas über den Inhalt aus. […] Wenn wir uns also sprachlich an jemand anders wenden und <unser Produkt> – in Anführungszeichen – schon von Fehlern wimmelt, dann nimmt man automatisch an, dass die Botschaft, die man überbringen will, nicht ganz durchdacht ist. […] Solange man kommuniziert, hat man mehr Erfolg mit optimierter Sprache, als wenn man <zufälligen Pfusch> einfach stehen lässt.“[10]

Viele Menschen in unserer Gesellschaft messen der Fertigkeit des Rechtschreibens also einen sehr grossen Wert zu und manche beurteilen, wie der zitierte Lehrmeister und einige Hochschuldozentinnen und -dozenten, die Schreibenden anhand ihrer Rechtschreibung. Wie wir aus der Forschung wissen[11], ist das sicherlich falsch. Aber die Einschätzung von Menschen erfolgt oft nach äusserlichen Kriterien, und da ist die Orthografie leichter zu beurteilen – und zu kritisieren – als z. B. der Inhalt oder die Formulierung, die ja an sich viel wichtiger wären. Im Lehrplan 21 gilt, wie Katja Weber schreibt, „der Grundsatz, dass die kommunikative Absicht immer vor der formalen Korrektheit kommt.“[12] Trotzdem prägt die Rechtschreibung oft den ersten Eindruck.

Wir leben in einer Schriftgesellschaft. Deshalb ist Rechtschreibung „eine Grundkompetenz, da sie einen schnellen und problemlosen schriftlichen Austausch sichert.“[13] Der Stellenwert der Orthografie ist nicht nur für viele Schreibende hoch, sondern vor allem für die Lesenden. Da heute viel und schnell gelesen wird und gelesen werden muss, ist eine einheitliche, korrekte Rechtschreibung insbesondere auch fürs Lesen wichtig. Das vergessen leider viele Schreibende und auch Lehrpersonen, welche die anspruchsvollen Regeln vermitteln. So unterscheiden wir beim Lesen schnell und eindeutig die Bedeutung zweier homophoner Wörter wie Seite und Saite. Oder wir verstehen dank der Kommasetzung den Inhalt einer Aussage wie „Begnadige nicht hinrichten“[14]. Die meisten Menschen lesen mehr, als sie schreiben, und deshalb ist die korrekte Orthografie vor allem eine Hilfe bei der Rezeption. Gerade auch dank den Möglichkeiten der Digitalisierung hat „der Stellenwert einer einheitlichen Orthografie, die das Lesen, das Verstehen […] schriftlicher Texte erleichtert, […] in den letzten Jahren weiter zugenommen“[15], wie Sinja Ballmer und Ursula Gloor schreiben. Korrekte Rechtschreibung ist also kein Selbstzweck, sondern unterstützt uns alle beim Lesen von Texten. „Daher ist eine einheitliche Schreibung, um die sich alle gesellschaftlich relevanten Einrichtungen und jede einzelne Schreiberin und jeder einzelne Schreiber bemühen, ein hohes kulturelles Gut.“[16]


Duden
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Abbildung 2

2.    Auftrag und Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung

Eine Lehrerin fragte ihre Zweitklässlerinnen und Zweitklässler, wer wohl die Rechtschreibung gemacht habe. „Die Sprachstarken“[17] war eine Antwort, „der liebe Gott“ eine andere. Ein Mädchen vermutete: „Der Leiter einer Schule.“ Damit traf es beinahe ins Schwarze; denn Konrad Duden (1829-1911) war Direktor mehrerer Gymnasien. Aber er hat nicht die deutsche Rechtschreibung „gemacht“, sondern hat durch sein Wörterbuch die Entwicklung einer einheitlichen Rechtschreibung stark beeinflusst. So galten seit der Orthographischen Konferenz von 1901 in allen deutschsprachigen Ländern die gleichen Orthografieregeln (mit Ausnahme des ß, das an vielen Schweizer Schulen ab 1935 nicht mehr gelehrt wurde). Nach verschiedenen Detail­änderungen gelang es erst fast hundert Jahre später, im Jahr 1996, die Regeln, die teilweise widersprüchlich und deshalb sehr schwer zu lernen waren, zu überarbeiten und dadurch systematischer und nachvollziehbarer zu gestalten. Die Proteste, die diese viele Regeln vereinfachenden Änderungen auslösten, führten schliesslich zu einer Anpassung der Neuregelung im Jahr 2006. Dabei wurden die Lesbarkeit verbessert und vermehrt Variantenschreibungen (z. B. kennen lernen oder kennenlernen) zugelassen. Für diese Neuregelung zeichnet der Rat für deutsche Rechtschreibung verantwortlich, der 2004 „als Regulierungskörper der Rechtschreibung der deutschen Sprache eingerichtet“[18] wurde.

Dieser Rat für deutsche Rechtschreibung besteht aus 41 Mitgliedern, die aus sieben Ländern mit Deutsch als Amtssprache stammen. Sie vertreten verschiedene Bereiche, bei denen die Orthografie eine zentrale Rolle spielt, z. B. Linguistik, Wörterbücher, Behörden, Presse, Buchhandel, Literatur und natürlich auch die Schule. Die Aufgaben dieses internationalen Rats bestehen darin, die deutsche Rechtschreibung zu beobachten und weiterzuentwickeln, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren und Zweifelsfälle der deutschen Rechtschreibung zu klären.[19] Mindestens zweimal im Jahr trifft sich der Rat im Plenum, normalerweise im Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Mehrere Kommissionen, wie z. B. die Arbeitsgruppe Schule, die Arbeitsgruppe Korpus oder die Arbeitsgruppe Zeichensetzung, bereiten die Sitzungsthemen inhaltlich vor.

Nicht der Duden, wie viele meinen, „macht“ heutzutage also die deutsche Orthografie, sondern der Rat für deutsche Rechtschreibung schlägt aufgrund seiner Schreibbeobachtungen den amtlichen Stellen der deutschsprachigen Länder Anpassungen vor, über die diese dann aus politischer Perspektive befinden. Bis 1996 war der Duden in der Tat massgeblich in orthografischen Zweifelsfällen. Durch die damals beschlossene Reform wurde dieses Recht an die staatlichen Stellen aller deutschsprachigen Länder und Regionen übertragen. Dadurch verlor der Duden seine Monopolstellung, und sowohl der Duden als auch andere Rechtschreibwörterbücher haben sich seither am Amtlichen Regelwerk, das die staatlichen Stellen verabschieden, zu orientieren.

Dieses Amtliche Regelwerk ist, wie es Jutta Ransmayr nennt, der „Rechtschreibgesetzkodex“[20], in dem in 113 Paragrafen sämtliche Regeln zur deutschen Orthografie und Interpunktion festgehalten sind. Das Regelwerk wird vom Rat für deutsche Rechtschreibung herausgegeben; es fixiert die amtliche Norm und „bildet damit gleichsam den <Urmeter> der deutschen Rechtschreibung“.[21] Es besteht aus einem Regelteil und einem Wörterverzeichnis. In diesem Wörterverzeichnis stehen im Gegensatz zum Duden Variantenschreibungen stets gleichberechtigt nebeneinander. Erst die Wörterbücher interpretieren die Regeln und geben Empfehlungen zu Variantenpräferenz und -gebrauch. Der Rat beobachtet die Schreibentwicklung im ganzen deutschen Sprachraum und erarbeitet aufgrund der Erkenntnisse „Vorschläge zur Anpassung des amtlichen Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache“[22]. Bisher wurden in den Jahren 2011 und 2017 geringfügige Aktualisierungen veröffentlicht. Zurzeit beschäftigt sich der Rat u. a. mit der Überarbeitung der Zeichensetzung im Amtlichen Regelwerk, einer Neufassung des Wörterverzeichnisses und der orthografischen Umsetzung geschlechtergerechter Schreibung.


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Abbildung 3

3.    Rechtschreibung in der Schule

„In der Gesellschaft hat die Rechtschreibung generell immer noch einen hohen Stellenwert.“ Davon ist die Oberstufenlehrerin Anja Mangelsdorff aus Steinhausen überzeugt. Aber sie weiss auch, „dass die Rechtschreibung in der Schule an Bedeutung verloren hat.“[23] Mögliche Gründe für diese Abwertung der Orthografie im Unterricht werden immer wieder genannt, seien es die neuen, digitalen Medien, ein geringeres Normbewusstsein oder die vielfältigen anderen Themen, die wichtiger zu sein scheinen als Rechtschreibregeln[24]. Wieso geht die Arbeit an der Orthografie in den Schulen aber zurück, während es in der Gesellschaft immer noch als sehr wichtig gilt, fehlerfrei zu schreiben? Sollte die Schule nicht dieses Bedürfnis nach korrekter Rechtschreibung im Unterricht aufgreifen?

In den Rechtschreibkompetenzen sehen die Deutschdidaktikerinnen Sinja Ballmer und Ursula Gloor „nach wie vor eine Schlüsselqualifikation und Voraussetzung für Bildungserfolg“.[25] Durch die Möglichkeiten der Digitalisierung habe deren Stellenwert nicht etwa ab-, sondern im Gegenteil zugenommen. Aber die Rechtschreibung dürfe nicht zum Selbstzweck verkommen.

Im Jahr 2013 veröffentlichte der Rat für deutsche Rechtschreibung das Papier „Rechtschreiben – eine Grundkompetenz in Schule und Gesellschaft“[26]. „Rechtschreibung hat im öffentlichen Leben einen hohen Stellenwert.“[27] So beginnt diese Stellungnahme des Rats zum Rechtschreibunterricht in den Schulen. Auch heute ist „Rechtschreiben eine Grundfertigkeit mit einer hohen Wertschätzung in der Öffentlichkeit“[28]. Die Schule trägt eine grosse Verantwortung für den Erwerb und die Festigung der Rechtschreibkompetenz, ebenso für „eine produktive Haltung zum richtigen Schreiben“[29]. Gemäss diesem Papier sollte die Rechtschreibung durch ein Spiralcurriculum, das „auf heute akzeptierten linguistischen, rechtschreibdidaktischen und lernpsychologischen Theorien und Modellen“[30] fusst, auf allen Stufen gefördert werden, auch auf der Sekundarstufe 2. Es gibt viele interessante Probleme der Orthografie, die erst auf dieser Stufe mit Hilfe von linguistischen Methoden richtig durchschaut werden können, z. B. die Variantenschreibungen oder die Kommasetzung in komplexen Sätzen.[31] Dass dafür genügend Lern- und Übungszeit investiert werden sollte, ist eine zentrale Forderung; denn orthografische Fertigkeiten zu erwerben, braucht Zeit. Auch wird eine kontinuierliche Aus- und Weiterbildung zu Fragen der Rechtschreibung für alle Lehrpersonen gefordert, „nicht nur für die des Fachs Deutsch“[32]. Dieses Papier wurde an alle verantwortlichen Stellen, an die Ministerien der Bundesländer in Deutschland, an die Bildungsdirektionen der Schweizer Kantone usw., geschickt. In Deutschland haben darauf verschiedene Länder Massnahmen ergriffen. So hat z. B. Baden-Württemberg eine umfangreiche Broschüre über die Rechtschreibung und ihre Didaktik publiziert: ein lesenswerter Leitfaden, der jetzt in mehreren Bundesländern eingesetzt wird.[33] In der Schweiz wurde dem Papier nur wenig Beachtung geschenkt. Allerdings hat die EDK, die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, bereits 2006 eine Broschüre publiziert, die fachliche Empfehlungen für die Vermittlung der Regeln im Unterricht enthält.[34] Diese Veröffentlichung erklärt nicht nur die damals neuen Regeln, sondern gibt auch Empfehlungen für die Schule bei Variantenschreibungen und macht Vorschläge für den Rechtschreibunterricht in der Primarschule und den Sekundarstufen 1 und 2. Darin sind bereits viele Hinweise aus dem Lehrplan 21 vorweggenommen.[35]

Die deutsche Rechtschreibung ist zwar „ein weitgehend in sich stimmiges System“[36], aber sie ist und bleibt komplex und damit schwierig – trotz mehrerer Reformen. Das liegt in der Natur der Sache, d. h. der historischen Entwicklung und der grammatischen Eigenheiten. Dies wird und kann der Rat für deutsche Rechtschreibung nicht ändern. Deshalb gibt es für untere Stufen viele didaktische Hilfsmittel, um die einfacheren und komplizierteren Regeln einzuführen.[37] Es könnte durchaus spannend sein, „auf die Suche zu gehen, um der Sprache wirklich auf die Schliche zu kommen. Neugierig zu sein – warum, wieso – auf diesen großen Legokasten der Rechtschreibung. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Kinder dann sehr begeistert sind und sich darauf einlassen“, erklärt Ulrike Holzwarth-Raether.[38] Auf den Sekundarstufen 1 und 2 sollten wir vor allem ein Bewusstsein für die grosse Bedeutung der Rechtschreibung als „ein hohes kulturelles Gut“[39] schaffen und die Schülerinnen und Schüler dadurch anregen, gezielter auf ihre Rechtschreibung zu achten.

Ebenso sollten die Lehrpersonen nicht nur die Regeln genau kennen und durchschauen, sondern vor allem auch über den Wert der Rechtschreibung in der Gesellschaft Bescheid wissen. Auf den Sekundarstufen 1 und 2 geht es nicht mehr in erster Linie um die Regeln, die ja weitgehend bekannt sind, sondern darum, „Texte sprachformal zu überarbeiten“[40], d. h. um die bewusste Kontrolle von Texten mit Hilfe von Wörterbüchern, sei es in Buchform oder im Internet. „Man muss vermitteln, dass es sich lohnt, sich anzustrengen für die Rechtschreibung“, wie es Peter Gallmann formuliert.[41] Die Schülerinnen und Schüler müssen um die Bedeutung der Orthografie wissen und sollten deshalb auch lernen, die eigenen Texte so zu lesen wie ein Korrektor in einem Verlag.

Lehrerinnen und Lehrer sollten die Lernenden daraufhin sensibilisieren, dass sie zwar die Regeln beherrschen und Texte sorgfältig kontrollieren, dass aber auch je nach Adressat und Textsorte verschiedene Anforderungen an die Rechtschreibung gestellt werden. Während ich Mails von Germanistikdozierenden bekomme, die Tippfehler enthalten, finde ich in ihren Büchern (fast) nie einen Druckfehler. Gerade auf der Oberstufe ist es zentral, diese Unterschiede deutlich zu machen; denn z. B. in Bewerbungen dürfen keine Fehler stehen.

Den Aufbau eines Bewusstseins für die Bedeutung der Rechtschreibung in unserer Gesellschaft halte ich für eines der wichtigsten Ziele des Rechtschreibunterrichts. Wann ist eine korrekte Rechtschreibung notwendig, wann nicht? Warum ist sie bei manchen Texten unerlässlich? Wenn die Schülerinnen und Schüler das erfassen und verstehen, werden sie begreifen, warum man die Rechtschreibung können muss, auch wenn sie nicht so wichtig ist.

KS
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* Dr. Knut Stirnemann unterrichtete von 1977 bis 2015 an der Kantonsschule Zug Deutsch, Spanisch, Musik und weitere Fächer. Von 1989 bis 2017 war er Dozent für Fachdidaktik Deutsch an der Universität Zürich. Von 1987 bis 2012 leitete er die Deutschkommission des Kantons Zug. Seit 2009 ist er im Auftrag der EDK Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung.

https://www.knut-stirnemann.ch/

Fussnoten

[1] Glinz, Elly und Hans (1976): Schweizer Sprachbuch für das 6. Schuljahr. Zürich: SABE Verlagsinstitut für Lehrmittel. Seite 134, siehe Abbildung 1.
[2] Zehnder, Valérie: Orthografie – aus Sicht der Lehrpersonen 
[3] Heimgartner, Thomas ebd.
[4] Hösli, Mathias ebd.
[5] Hösli, Mathias ebd.
[6] Mangelsdorff, Anja ebd.
[7] Mangelsdorff, Anja ebd.
[8] Zehnder, Valérie ebd.
[9] Duden (2018): Warum es NICHT EGAL ist, wie wir schreiben. Podiumsdiskussion mit Burghart Klaußner, Ulrike Holzwarth-Raether und Peter Gallmann, moderiert von Kathrin Kunkel-Razum. Berlin: Dudenverlag, siehe Abbildung 2
[10] Ebd. S. 43
[11] Z. B. Roos, Jeanette; Schöler, Hermann (Hrsg.) (2009): Entwicklung des Schriftspracherwerbs in der Grundschule.
VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden. S. 56
[12] Weber, Katja: Orthografie – im Lehrplan und in den Lehrmitteln.
[13] Rat für deutsche Rechtschreibung: Rechtschreiben – eine Grundkompetenz in Schule und Gesellschaft. 
[14] Ein Komma entscheidet also hier über Leben und Tod: „Begnadige, nicht hinrichten“ oder „Begnadige nicht, hinrichten“.
[15] Ballmer, Sinja; Gloor, Ursula: Orthografie – Wie bildet die PH Zug aus?
[16] Rat für deutsche Rechtschreibung: Rechtschreiben – eine Grundkompetenz in Schule und Gesellschaft.
[17] Lindauer, Thomas; Senn, Werner (Hrsg.) (2008):
Die Sprachstarken 2. Zug: Klett und Balmer
[18] Rat für deutsche Rechtschreibung, Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Rat_f%C3%BCr_deutsche_Rechtschreibung
[19] Rat für deutsche Rechtschreibung: Die maßgebende Instanz für die deutsche Rechtschreibung, siehe Abbildung 3
[20] Ransmayr, Jutta (2020): Sprachbewusstsein: Grammatik und Rechtschreibung.
[25] Ballmer, Sinja; Gloor, Ursula: Orthografie – Wie bildet die PH Zug aus?
[26] Rat für deutsche Rechtschreibung: Rechtschreiben – eine Grundkompetenz in Schule und Gesellschaft
[27] Ebd. Einleitung
[28] Ebd. Punkt 4
[29] Ebd. Einleitung
[30] Ebd. Punkt 2
[31] Vgl. Stirnemann, Knut (2012): Wer hat recht oder wer hat Recht? Umgang mit orthografischen Varianten im Deutschunterricht der Sekundarstufen I und II. In: Der Deutschunterricht. Beiträge zu seiner Praxis und wissenschaftlichen Grundlegung. Jg. LXIV, Heft 1/2012: Orthographische und grammatische Spielräume. S. 15-24
[32] Rat für deutsche Rechtschreibung: Rechtschreiben – eine Grundkompetenz in Schule und Gesellschaft, Punkt 4
[33] Rechtschreibrahmen für die Klassen 1 bis 10 https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/Remote/km/180629_Rechtschreibrahmen-Klassen-1-bis-10.pdf
[34] Lindauer, Thomas; Sturm, Afra; Schmellentin, Claudia (2006): Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Aktualisierte und erweiterte Auflage 2006. Hrsg. von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK). Bern: Generalsekretariat EDK. Siehe auch: https://edudoc.ch/record/2159/files/Rechtschreibung.pdf.
[35] Vgl. dazu Weber, Katja: Orthografie – im Lehrplan und in den Lehrmitteln. 
[36] Ballmer, Sinja; Gloor, Ursula: Orthografie – Wie bildet die PH Zug aus? 
[37] Vgl. ebd.
[38] Duden (2018): Warum es NICHT EGAL ist, wie wir schreiben. Podiumsdiskussion mit Burghart Klaußner, Ulrike Holzwarth-Raether und Peter Gallmann, moderiert von Kathrin Kunkel-Razum. Berlin: Dudenverlag. S. 29
[39] Rat für deutsche Rechtschreibung: Rechtschreiben – eine Grundkompetenz in Schule und Gesellschaft Vgl. auch Weber, Katja: Orthografie – im Lehrplan und in den Lehrmitteln: „Es geht vermehrt auch darum, über die Bedeutung von Rechtschreibregeln nachzudenken.“
[40] Weber, Katja: Orthografie – im Lehrplan und in den Lehrmitteln.
[41] Duden (2018): Warum es NICHT EGAL ist, wie wir schreiben. Podiumsdiskussion mit Burghart Klaußner, Ulrike Holzwarth-Raether und Peter Gallmann, moderiert von Kathrin Kunkel-Razum. Berlin: Dudenverlag. S. 58

 

Zitierte Literatur

Ballmer, Sinja; Gloor, Ursula: Orthografie – Wie bildet die PH Zug aus? In: Zuger Schulinfo, Fokus, 1.12.2020
https://www.zg.ch/behoerden/direktion-fur-bildung-und-kultur/schulinfo/fokus/orthografie-didaktik-an-der-ph-zug (25.1.21)

Duden (2018): Warum es NICHT EGAL ist, wie wir schreiben. Podiumsdiskussion mit Burghart Klaußner, Ulrike Holzwarth-Raether und Peter Gallmann, moderiert von Kathrin Kunkel-Razum. Berlin: Dudenverlag

Glinz, Elly und Hans (1976): Schweizer Sprachbuch für das 6. Schuljahr. Zürich: SABE Verlagsinstitut für Lehrmittel

Lehrplan 21, Fachbereichslehrplan Deutsch
 
https://zg.lehrplan.ch/index.php?code=b|1|11 (25.1.21)

Lindauer, Thomas; Sturm, Afra; Schmellentin, Claudia (2006): Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Aktualisierte und erweiterte Auflage 2006. Hrsg. von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK). Bern: Generalsekretariat EDK. Siehe auch:
https://edudoc.ch/record/2159/files/Rechtschreibung.pdf  (25.1.21)

Lindauer, Thomas; Senn, Werner (Hrsg.) (2008): Die Sprachstarken 2. Zug: Klett und Balmer

Orthografie – aus Sicht der Lehrpersonen. In: Zuger Schulinfo, Fokus, 4.11.2020
https://www.zg.ch/behoerden/direktion-fur-bildung-und-kultur/schulinfo/fokus/orthographie-die-sicht-der-lehrpersonen (25.1.21)

Ransmayr, Jutta (2020): Sprachbewusstsein: Grammatik und Rechtschreibung. https://www.studocu.com/de-at/document/universitaet-wien/fachdidaktik-einfuehrung-in-die-didaktik-und-methoden-des-deutschunterrichts/zusammenfassungen/sprachbewusstsein-gastvortrag/10402642/view (25.1.21)

Rat für deutsche Rechtschreibung: Die maßgebende Instanz für die deutsche Rechtschreibung
https://www.rechtschreibrat.com/ (25.1.21)

Rat für deutsche Rechtschreibung: Regeln und Wörterverzeichnis.
https://www.rechtschreibrat.com/regeln-und-woerterverzeichnis/ (25.1.21)

Rat für deutsche Rechtschreibung: Rechtschreiben – eine Grundkompetenz in Schule und Gesellschaft
https://rechtschreibrat.com/DOX/stellungnahme1310.pdf (25.1.21)

Rat für deutsche Rechtschreibung, Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Rat_f%C3%BCr_deutsche_Rechtschreibung (25.1.21)

Rechtschreibrahmen für die Klassen 1 bis 10
 
https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/Remote/km/180629_Rechtschreibrahmen-Klassen-1-bis-10.pdf   (25.1.21)

Roos, Jeanette; Schöler, Hermann (Hrsg.) (2009): Entwicklung des Schriftspracherwerbs in der Grundschule. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Stirnemann, Knut (2012): Wer hat recht oder wer hat Recht? Umgang mit orthografischen Varianten im Deutschunterricht der Sekundarstufen I und II. In: Der Deutschunterricht. Beiträge zu seiner Praxis und wissenschaftlichen Grundlegung. Jg. LXIV, Heft 1/2012: Orthographische und grammatische Spielräume. S. 15-24

Weber, Katja: Orthografie – im Lehrplan und in den Lehrmitteln. In: Zuger Schulinfo, Fokus, 12.1.2021
 
https://www.zg.ch/behoerden/direktion-fur-bildung-und-kultur/schulinfo/fokus/orthografie-im-lehrplan-und-in-den-lehrmitteln (25.1.21)

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