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19.10.2022

Wie lernen Kinder (erfolgreich) rechnen?

19.10.2022
Es wäre vermessen und wenig überzeugend, auf diese zwar einfache, aber pauschale Frage eine einzige Antwort zu geben. Es bedarf Teilfragen und verschiedener Antworten, weil das mathematische Lernen komplex ist und von unterschiedlichen Bedingungen abhängt.
KH, SG, KH
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*Kurt Hess, Simona Geissbühler und Kristina Hähn

Es wäre vermessen und wenig überzeugend, auf diese zwar einfache, aber pauschale Frage eine einzige Antwort zu geben.

Es bedarf Teilfragen und verschiedener Antworten, weil das mathematische Lernen komplex ist und von unterschiedlichen Bedingungen abhängt.

Was sollen die Kinder lernen bzw. wann sind sie mathematisch fit?
Vorerst ist zu klären, was gelernt werden soll bzw. welche Kompetenzen angepeilt werden. Es besteht ein wichtiger Unterschied darin, ob die Kinder (lediglich) zu lernen haben, richtig zu rechnen oder ob von ihnen erwartet wird, das erworbene Wissen und Verstehen im Alltag und in anderen mathematischen Zusammenhängen anzuwenden. Bei der Anwendung geht es darum, weltliche Bedingungen und Veränderungen oder mathematische Regelmässigkeiten, Beziehungen und Unterschiede zu erkennen oder einfacher ausgedrückt, Mengen, Anzahlen, Operationen, Anteile oder Grössen zu vergleichen. Dies gelingt eher, wenn das Vergleichen wiederkehrend herausgefordert wird. Die Anwendung setzt einerseits bekannte mathematische Beziehungen voraus und andererseits führt sie zu deren Bewusstsein.

Kurz und bündig: Kinder sind mathematisch fit, wenn sie ihr Wissen und Verstehen vielfältig anwenden sowie Mathematisches darstellen, erforschen, erklären und begründen können.

Wie stösst der Lehrplan 21 das mathematische Lernen an?
Obschon das mathematische «Verstehen» auch im Lehrplan 21 zentral ist, kommt der Begriff kaum vor (siehe D-EDK 2016). Alternativ sollen die Kinder entlang der Handlungsaspekte «Operieren und Benennen», «Erforschen und Argumentieren» und «Mathematisieren und Darstellen» vielfältig vergleichen und sich dadurch dem mathematischen Verstehen annähern (siehe Abb. 1). Der Lehrplan enthält kaum Formulierungen wie «die Schülerinnen und Schüler verstehen …», sondern «sie erforschen und argumentieren …» oder «sie stellen … dar».

Kurz und bündig: Die Handlungsaspekte konkretisieren den schillernden Begriff des Verstehens, sie regen individuelle Wissens- und Bedeutungskonstruktionen an und bereiten damit inner- und aussermathematische Anwendungen vor.
Abb 1
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Abbildung 1: Struktur des Fachbereichs Mathematik im Lehrplan 21 (D-EDK 2016)

Wie konstruieren Kinder ihr mathematisches Wissen und Verstehen?
Mathematische Lernfortschritte verlaufen nicht linear, sondern in Serpentinen, mit Rückschlägen, Irr- und Umwegen (siehe Hess 2022). Deshalb fordern die Handlungsaspekte wiederkehrend heraus, Zahlen und Operationen zu vergleichen bzw. mathematische Beziehungen in eigenen Strategien anzuwenden, bspw. 2 + 96 über das Tauschgesetz zu lösen. Jeder der drei zweiteiligen Handlungsaspekte (bspw. Erforschen und Argumentieren) ruft geradezu nach kooperativen Lernanlässen. Dies ist daran zu erkennen, dass das Benennen, Argumentieren und Darstellen (auch sprachliches) je einen kommunikativen Aspekt enthalten. Beim Sololernen bzw. beim stillen Abarbeiten von Aufgaben würden die Adressaten fehlen, um Argumente oder Darstellungen auszutauschen. Das ist nicht nur schade, sondern auch fatal, denn der peer-interaktive Austausch gehört zu den wichtigen Gelingensbedingungen mathematischen Lernens.

Kurz und bündig: Die Kinder sollen lernen, andere Argumente oder Perspektiven zu verstehen, mit eigenen zu vergleichen und daraus Erkenntnisse abzuleiten.

Welche Aufgaben bzw. Lernanlässe tragen zu einem erfolgreichen Lernen bei?
Aussagen zu einem effektiven mathematischen Lernen müssen sich an zwei Fakten orientieren: Erstens beträgt die leistungsbezogene Heterogenität in einer durchschnittlichen Jahrgangsklasse zwischen drei und fünf Entwicklungsjahren. Zweitens tragen Lernanlässe nur dann zu einem erfolgreichen Lernen bei, wenn jedes Kind einen Einstieg findet und sich individuell herausgefordert fühlt. Die Fachdidaktik postuliert deshalb seit Jahrzehnten reichhaltige Aufgaben, die natürlich differenzieren. Beim Gestalten oder beim Texte schaffen braucht es kaum solcher Apelle, weil es eher als natürlich angesehen wird, dass die Kinder unterschiedliche Ideen, Farben oder Bildkompositionen umsetzen oder den eigenen Wortschatz mit unterschiedlicher orthografischer und grammatikalischer Sicherheit verschriftlichen. Reichhaltige, natürlich differenzierende Lernanlässe ermöglichen unterschiedliche Lösungswege und Lösungen, sie können konkreter (mit Materialien) oder abstrakter und einfacher oder komplexer angegangen, reflektiert, interpretiert und besprochen werden.
Die Offenheit reichhaltiger Aufgaben bietet gute Gelegenheiten für den dialogischen und kooperativen Austausch. Dabei ist zwischen permanenten und vorbereiteten Interaktionen zu unterscheiden. Bei permanenten Interaktionen werden Aufgaben von Beginn bis Ende gemeinsam gelöst. Diese Form kann schwierig sein, wenn zwischen den Kindern ein grosses Gefälle besteht. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass ein Kind denkt und rechnet und das andere lediglich Trittbrett fährt. Bei der vorbereiteten Interaktion findet der Austausch erst statt, nachdem die Kinder eigene Lösungswege versucht und Lösungen gefunden haben. Diese Form eignet sich sehr gut in integrativen oder inklusiven Klassen, weil die Vorbereitung auf die Interaktion u.a. von der Lehrperson oder der/dem SHP unterstützt werden kann. Das Kind erfährt den Lohn für solche Vorbereitungen in der konkreten Auseinandersetzung mit anderen Kindern.
Nicht jede Aufgabe ist gut gewählt, wenn sie natürlich differenziert. Es braucht weitere Kriterien, um Lernanlässe spezifisch auszurichten und einzubringen. Dabei sind Fragen leitend, ob Kinder ein operatives Beziehungswissen erwerben und dieses mit Anschauungs- und Handlungsmaterialien erforschen und darstellen, ob sie sich Strategien aneignen, mentale Vorstellungen entwickeln oder Routinen erwerben sollen. Ein derart differenziertes Lernen ist effektiv und effizient, weil die Lernzeiten spezifisch genutzt werden.  

Kurz und bündig: Ein effektives mathematisches Lernen setzt Aufgaben oder Lernanlässe voraus, die allen Kindern einen Einstieg ermöglichen und individuell herausfordern. Dafür eignen sich reichhaltige Lernanlässe, die natürlich differenzieren und den Austausch spannend machen. Darüber hinaus sollten Lernanlässe spezifisch eingesetzt werden, um mathematische Beziehungen kennenzulernen, Strategien aufzubauen, mentale Vorstellungen oder Routinen zu erwerben.

Wie zeichnet sich ein guter (integrativer) Mathematikunterricht aus?
Die Gesellschaft für Didaktik der Mathematik hat ein Positionspapier zur Thematik «Schwierigkeiten beim Mathematiklernen» verfasst (Gaidoschik, Moser Opitz, Nührenbörger & Rathgeb-Schnierer 2021). Darin werden Merkmale beschrieben, die einen – bezüglich Rechenschwierigkeiten – präventiven Mathematikunterricht auszeichnen. Die folgende Auflistung fasst bisherige Antworten zur Frage «Wie lernen Kinder (erfolgreich) rechnen?» zusammen. 

  • Im Zentrum stehen die Handlungsaspekte und zwar in der Absicht, «Verstehen zu generieren» bzw. «mathematische Beziehungen kennenzulernen und anzuwenden». Beim Lernen werden Beziehungen erzeugt, benannt, erforscht, begründet und dargestellt sowie Sachsituationen mathematisiert.
  • Die Lernenden ergründen, vergleichen, übertragen, sortieren und argumentieren aktiv-entdeckend. Sie suchen selbst nach Beziehungen und konstruieren damit ihr eigenes Wissen und Verstehen.
  • Der Unterricht unterstützt den Aufbau von Beziehungen innerhalb und zwischen den Grundoperationen. Er orientiert sich an Schlüsselkompetenzen – die für das Weiterlernen entscheidend sind – entlang didaktischer Absichten wie Verstehen generieren, Strategien umsetzen, mentale Vorstellungen aufbauen und Routinen erwerben.
  • Der Beizug von Handlungs- und Anschauungsmaterialen gilt als wichtige Quelle für Erkenntnisse. Einerseits entscheiden die Kinder, wann sie welche Anschauungsmittel beiziehen und andererseits bietet die Lehrperson spezifische Übungen an, damit sich die Lernenden sukzessive von den konkreten Handlungen lösen können.  
  • Dialogische und kooperative Lernanlässe gehören zur mathematischen Lernkultur. Weniger fortgeschrittene Kinder bereiten die Interaktionen – allenfalls mit der Lehrperson oder der/dem SHP – vor.
  • Der differenzierte und differenzierende Unterricht bietet den Kindern wiederkehrend Möglichkeiten, Ziele zu erreichen und Erfolge zu erleben. Das ist für die Motivation, den Glauben an die Selbstwirksamkeit und für den Lernerfolg entscheidend.  

Was kann die Lehrperson unternehmen, wenn das Lernen stagniert?

Abbildung 2
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Abbildung 2: Hilf- und Ratlosigkeit beim Mathematiklernen

Nicht selten wird das mathematische Lernen als ein «auf der Stelle treten», eine «Sisyphusarbeit» oder eine «aussichtslose Angelegenheit» beschrieben. Hilf- oder Ratlosigkeit führen aber kaum aus Sackgassen heraus, sondern eher noch tiefer hinein, auch in solche namens Dyskalkulie. Wenn Kinder stagnieren, nicht mehr motiviert sind und kaum mehr vom regulären Unterricht profitieren, sollte die Verfügbarkeit von Schlüsselkompetenzen abgeklärt werden. Dabei werden relevante Informationen zur Verfügbarkeit von Beziehungen innerhalb und zwischen den Grundoperationen gesammelt. Falls ein Kind diese nicht oder nicht ausreichend kennt und nutzen kann, profitiert es kaum mehr vom regulären Unterricht. In einem solchen Fall kann es angezeigt sein, die für das Weiterlernen entscheidenden Kompetenzen auf einer pädagogisch-therapeutischen und auf einer unterrichtlichen Schiene aufzubauen.

Kurz und bündig: Bei erheblichen Rechenschwierigkeiten strebt das Lernen in separaten Kleingruppen an, die Anwendung und damit das Verständnis der Grundoperationen und der Stellenwerte zu sichern. Im parallel dazu inszenierten integrativen oder inklusiven Unterricht überwiegen natürliche Differenzierungen, spezifisch ausgerichtete Lernanlässe und vorbereitete Peer-Interaktionen.

Fazit
Die in diesem Beitrag vorgenommene Auslegeordnung zeigt sich in der Realität gerne noch etwas komplexer. Die Komplexität enthält emotionale, motivationale und soziale Dynamiken sowie differenzierte fachdidaktische Ansprüche an Abklärungen, pädagogisch-therapeutische Angebote und unterrichtliche Inszenierungen. Gerade weil die Herausforderungen an Lehrpersonen und SHP derart gross und komplex sein können, bietet die PH Zug von September 2023 bis November 2024 unter dem Titel «Mathematisches Lernen in der Sackgasse?» eine Zusatzausbildung (CAS) an.

Am 11.11.22 und 3.2.23 findet jeweils von 17.30 bis 19.00 Uhr ein Informationsanlass zum CAS «Mathematisches Lernen in der Sackgasse?» statt. Interessierte werden gebeten, sich über wb@phzg.ch dafür anzumelden. Detaillierte Informationen können unter www.male.phzg abgerufen werden.


*Autor und Autorinnen

KH
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Prof. Dr. Kurt Hess leitet die Professur Mathematisches Denken und Lernen, das gleichnamige Kompetenzzentrum und den CAS «Mathematisches Lernen in der Sackgasse?» an der PH Zug. Er forscht, lehrt und publiziert entlang der Schwerpunkte frühe mathematische Bildung, Schwierigkeiten beim Mathematiklernen, kompetenzorientierte Beurteilung und peer-interaktives Lernen.

SG
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Simona Geissbühler (MA) ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Professur und im Kompetenzzentrum Mathematisches Denken und Lernen an der Pädagogischen Hochschule Zug. In der Aus- und Weiterbildung liegt ihr Schwerpunkt auf der frühen mathematischen Bildung und in der Forschung auf dem peer-interaktiven Lernen im Mathematikunterricht.

KH
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Dr. Kristina Hähn ist Dozentin für Mathematikdidaktik und Mitarbeiterin im Kompetenzzentrum Mathematisches Denken und Lernen an der PH Zug. Sie forscht, lehrt oder publiziert zu den Themenbereichen frühe mathematische Bildung, kooperatives Lernen im (inklusiven) und sprachsensiblen Mathematikunterricht.

Literatur

  • D-EDK – Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (2016). Lehrplan 21. Strukturelle und inhaltliche Hinweise. http://v-ef.lehrplan.ch/index.php?code=e|5|3.
  • Gaidoschik, M., Moser Opitz, E., Nührenbörger, M. & Rathgeb-Schnierer (2021). Besondere Schwierigkeiten beim Mathematiklernen. Sonderausgabe der Zeitschrift Mitteilungen der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik, 111S.
  • Hess, K. (2022). Kinder brauchen Strategien. Eine frühe Sicht auf mathematisches Verstehen (3. Auflage). Seelze: Klett & Kallmeyer.

Weitere Informationen

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