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Art. 114 lit. c und 115 ZPO
Art. 115 ZPO
Art. 141 ZPO

Art. 158 ZPO

Regeste:

Art. 158 ZPO – Ein schutzwürdiges Interesse gemäss Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO kann auch in der Abklärung der Beweis- und Prozessaussichten liegen. Der Gesuchsteller hat glaubhaft zu machen, dass ihm die  vorsorgliche Beweisführung eine bessere Abschätzung der Prozesschancen ermöglicht.

Aus dem Sachverhalt:

A. wurde Opfer eines Auffahrunfalls. Er machte beim Kantonsgericht Zug eine Teilklage hängig. In einem allfälligen Gesamtklageverfahren beabsichtigte er, Dr. C., bei welchem die Y. Gesundheitsorganisation einen medizinischen Bericht eingeholt hatte, als sachverständigen Zeugen anzurufen. Um seine Prozesschancen abschätzen zu können, beantragte A. beim Kantonsgericht Zug als vorsorgliche Beweisführung die Einholung einer schriftlichen Auskunft bei Dr. C. zur Frage, wie viele Gutachteraufträge er in den Jahren 2003 bis 2013 von der Y. Gesundheitsorganisation erhalten habe und welches Honorar ihm für diese Gutachteraufträge insgesamt bezahlt worden sei. Gegen den abweisenden Entscheid des Einzelrichters am Kantonsgericht Zug erhob A. Berufung beim Obergericht.

Aus den Erwägungen:

3. Gemäss Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO nimmt das Gericht im Rahmen einer vorsorglichen Beweisführung jederzeit Beweis ab, wenn die gesuchstellende Partei eine Gefährdung der Beweismittel oder ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft macht. Nach der bundesrätlichen Botschaft wird mit dem Begriff des schutzwürdigen Interesses in Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO auf die Möglichkeit Bezug genommen, eine vorsorgliche Beweisführung auch zur Abklärung der Beweis- und Prozessaussichten durchzuführen. Diese Möglichkeit soll dazu beitragen, aussichtslose Prozesse zu vermeiden (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006, 7315). Mit der blossen Behauptung eines Bedürfnisses, Beweis- und Prozessaussichten abzuklären, ist ein schutzwürdiges Interesse an einer vorsorglichen Beweisführung jedoch noch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Eine vorsorgliche Beweisführung kann nur mit Blick auf einen konkreten materiellrechtlichen Anspruch verlangt werden, hängt doch das Interesse an einer Beweisabnahme vom Interesse an der Durchsetzung eines damit zu beweisenden Anspruchs ab. Der Gesuchsteller, der sich auf Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO stützt, muss daher glaubhaft machen, dass ein Sachverhalt vorliegt, gestützt auf den ihm das materielle Recht einen Anspruch gegen die Gesuchsgegnerin gewährt und zu dessen Beweis das abzunehmende Beweismittel dienen kann (BGE 138 III 76 E. 2.4.2 S. 81 f.; Fellmann, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur ZPO, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2013, Art. 158 N 19). Für Tatsachen hingegen, die mit dem vorsorglich abzunehmenden Beweismittel bewiesen werden sollen, kann keine eigentliche Glaubhaftmachung verlangt werden, denn sonst würde der Zweck von Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO, die vorprozessuale Abklärung von Beweisaussichten zu ermöglichen, vereitelt. Stellt das abzunehmende Beweismittel das einzige dar, mit dem die Gesuchstellerin ihren Anspruch beweisen kann, muss es genügen, dass sie das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen lediglich substantiiert behauptet (BGE 138 III 76 E. 2.4.2 S. 81 f.).

Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung dürfen nicht überspannt werden, geht es doch beim Verfahren der vorsorglichen Beweisabnahme noch nicht um die Prüfung der Begründetheit des Hauptanspruchs. Ein schutzwürdiges Interesse wäre etwa dann zu verneinen, wenn das beantragte Beweismittel untauglich ist, muss doch das vorsorglich abgenommene Beweismittel in einem allfälligen Hauptprozess verwertet werden können. Ebenfalls kein Interesse an einer vorsorglichen Beweisführung besteht sodann, wenn es der gesuchstellenden Partei lediglich darum geht, ein bereits vorliegendes, beweistaugliches Gutachten mit einem weiteren Gutachten in Frage zu stellen (BGE 140 III 24 E. 3.2.2).

3.1 Der Gesuchsteller rügt eine unrichtige Anwendung von Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO bzw. eine Verletzung des Rechts auf den Beweis durch die Vorinstanz. Von der Beantwortung der schriftlichen Auskunft durch Dr. C. hänge die Frage ab, ob er mitsamt seiner Stellungnahme im Hauptverfahren gestützt auf Art. 49 ZPO und Art. 47 Abs. 1 lit. a und f ZPO i.V.m. Art. 183 Abs. 2 ZPO in den Ausstand zu treten habe oder seine Stellungnahme gemäss Art. 172 b ZPO unglaubwürdig sei. Davon hänge wiederum ab, wie hoch die Prozesschancen für den Gesamtanspruch seien, da Dr. C. der einzige Arzt sei, welcher den Grad und die Dauer seiner unfallbedingten Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit als tiefer bzw. kürzer eingeschätzt habe als von ihm (dem Gesuchsteller) behauptet. Die schriftliche Auskunft könne somit sehr wohl dazu dienen, um die Beweis- und Prozessaussichten eines Haftpflichtprozesses über den Gesamtschaden abzuklären. Daran ändere nichts, dass er um die mögliche Befangenheit von Dr. C. angeblich schon wisse. Entscheidend sei einzig, was auch bewiesen werden könne.

3.2 Die Gesuchsgegnerin wendet dagegen im Wesentlichen ein, der Gesuchsteller habe bereits eine Teilklage anhängig gemacht, weshalb er kein schutzwürdiges Interesse mehr an der Klärung der Prozesschancen durch die vorsorgliche Beweisführung habe. Der Gesuchsteller beurteile seine Prozesschancen als ausreichend, ansonsten hätte er die Teilklage mit gleich lautenden Beweisbegehren nicht eingereicht. Sei der Prozess einmal eingeleitet, genüge zur Begründung der vorzeitigen Beweisabnahme nur noch die Beweisgefährdung. Eine solche habe der Gesuchsteller nicht dargetan. Im Übrigen habe er im Teilklageverfahren in beweisrechtlicher Hinsicht diejenigen Abklärungen beantragt, welche er nunmehr auch mit der vorsorglichen Beweisführung anstrebe. Es sei daher davon auszugehen, dass er die verlangten Auskünfte im Teilklageverfahren erhalten werde und diese im dort ergehenden Entscheid mit Blick auf das Gesamtklageverfahren gewürdigt würden.

3.3.1 Nach Auffassung des Gesetzgebers soll die vorsorgliche Beweisführung – wie bereits erwähnt – unter anderem der Abklärung der Beweis- und Prozessaussichten dienen. Der Gesuchsteller trägt vor, als einziger Arzt habe Dr. C. den Grad und die Dauer der unfallbedingten Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit tiefer bzw. kürzer eingeschätzt als von ihm (dem Gesuchsteller) behauptet, weshalb die Prozesschancen für den Gesamtanspruch von der Glaubwürdigkeit seines Berichtes oder vom Vorliegen eines Ausstandgrundes abhängig seien. Aus diesen Ausführungen erhellt, dass diverse Berichte von verschiedenen Ärzten vorliegen und der Gesuchsteller den Bericht von Dr. C. offenbar als Minderheitsmeinung betrachtet. Zumindest ergibt sich aufgrund der diversen anderen Arztberichte, welche dem Bericht von Dr. C. gegenüberstehen und offenbar die Behauptungen des Gesuchstellers stützen, ein hinreichend klares Bild für die Beurteilung der Prozesschancen. Der Gesuchsteller hat denn auch kein – gerichtliches – Gutachten als vorsorgliche Beweisführung verlangt. Geben die bereits vorliegenden ärztlichen Gutachten und Berichte genügend Anhaltspunkte zur Einschätzung der Prozesschancen, ist nicht glaubhaft, dass die vorsorgliche Beweisführung dem Gesuchsteller eine bessere Abschätzung der Prozesschancen ermöglicht (vgl. Fellmann, a.a.O., Art. 158 N 19a; Urteil OG ZH vom 20. Dezember 2011, LF110116-O/U). Immerhin hat der Gesuchsteller bereits eine Teilklage eingereicht, in welcher er Dr. C. als Zeugen beantragt hat; nota bene ohne über die verlangte Information zu verfügen (vgl. dazu Erw. 3.3.3 nachfolgend). Die Vorinstanz erachtete es somit zu Recht als nicht glaubhaft, dass der Entscheid des Gesuchstellers, ob er den Gesamtanspruch einklagen will oder nicht, ganz oder teilweise von der Anzahl der durch die Y. Gesundheitsorganisation bei Dr. C. in Auftrag gegebenen Gutachteraufträge abhängig sein wird.

3.3.2 Im Übrigen dient die verlangte Auskunft über die bisherige Geschäftsbeziehung zwischen der Y. Gesundheitsorganisation und Dr. C. einzig der Würdigung seines Berichts und seiner Aussagen an einer allfälligen Zeugeneinvernahme. Es obliegt jedoch dem im Hauptprozess zuständigen Gericht, über die Zulassung eines Berichts im Prozess zu entscheiden und diesen zu würdigen (Art. 157 ZPO). Im Rahmen der vorsorglichen Beweisführung findet keine Beweiswürdigung statt (Fellmann, a.a.O., Art. 158 N 18, 30; Brönnimann, Berner Kommentar zur ZPO, 2012, Art. 158 ZPO N 28). Die objektiven Kriterien für die Beweiswürdigung wird sich daher das Gericht im Hauptverfahren beschaffen müssen. So sind Zeugen unter anderem über ihre persönlichen Beziehungen zu den Parteien sowie über andere Umstände, welche für die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen von Bedeutung sein könnten, zu befragen. Diese Auskünfte hat das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu verwerten (vgl. Weibel/Naegeli, a.a.O., Art. 172 N 3a). Neben der geschäftlichen Beziehung zwischen der Y. Gesundheitsorganisation und Dr. C. können dabei durchaus noch weitere Umstände als ausschlaggebend in Betracht fallen (vgl. Brönnimann, a.a.O., Art. 157 N 7; Passadelis in: Baker/McKanzie [Hrsg.], Handkommentar ZPO, Bern 2010, Art. 157 N 8). Auch aus diesem Grund besteht an der beantragten vorsorglichen Beweisführung zur Einschätzung der Prozesschancen kein schutzwürdiges Interesse.

Ergänzend ist anzumerken, dass der Ausstand nach Art. 183 Abs. 2 i.V.m. Art. 47 Abs. 1 ZPO – entgegen der Auffassung des Gesuchstellers – ohnehin kaum in Frage käme. Denn die Erstellung eines gerichtlichen Gutachtens durch Dr. C. steht nicht zur Diskussion, sondern die Befragung als sachverständigem Zeugen zu dem von ihm zuhanden der Y. Gesundheitsorganisation verfassten Bericht. Da dieser von einem privaten Unternehmen in Auftrag gegeben wurde, wird das Gericht diesen Bericht nicht als gerichtliches Gutachten werten bzw. Dr. C. nicht als Sachverständigen im Sinne von Art. 183 ff. ZPO betrachten (vgl. BGE 140 III 24 E. 3.3.1.3 S. 27). Entsprechend sind auf ihn die Art. 183 ff. ZPO nicht anwendbar, weshalb er nicht den besonderen Ausstandsgründen unterliegt (vgl. Rüetschi, Berner Kommentar zur ZPO, 2012, Art. 175 N 5; Weibel/Naegeli in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur ZPO, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2013, Art. 175 N 5 f.; a.M. Reinert in: Baker/McKenzie, Handkommentar zur ZPO, Bern 2010, Art. 175 N 4, wonach aber das Vorliegen eines Ausstandsgrundes die Befragung als Zeugen nicht ausschliesst, soweit dies das Gericht als sinnvoll erachtet).

Obergericht, II. Zivilabteilung, 14. Mai 2014 (eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil 4A_342/2014 vom 17. Oktober 2014 ab)

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