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Art. 1b IVG, Art. 27 EOG, Art. 2 AVIG, Art. 1a und Art. 5 AHVG, Art. 319 OR
Art. 4 ATSG, Art. 6 Abs. 2 UVG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 UVV
Art. 5 AHVG, Art. 6, Art. 8, Art. 8bis und Art. 8ter AHVV
Art. 8, Art. 13, Art. 21 und Art. 64a Abs. 1 lit. b IVG, Art. 2 Abs. 1 und 2 HVI, Ziffer 5.06 HVI-Anhang; Rz. 2035 KHMI
Art. 8, Art. 27 und Art. 42 ATSG, Art. 12 Abs. 2 ATSV, Art. 8 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 AVIG
Art. 8, Art. 59 und Art. 60 AVIG
Art. 9 und Art. 17 Abs. 2 ATSG, Art. 42 IVG; Art. 37 und Art. 38 IVV
Art. 17 Abs. 2 ATSG; Art. 9 Abs. 1 ELG; Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV

Art. 31 AVIG, Art. 745 OR

Regeste:

Art. 31 AVIG, Art. 745 OR – Die absolute und unwiderrufliche Einstellung der Geschäftstätigkeit erfolgt nicht schon mit der Kündigung der Geschäftsräumlichkeiten und der Versicherung etc., sondern erst mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens bzw. mit der Löschung der Gesellschaft im Handelsregister. Die Alleinaktionärin, welche als einzige Liquidatorin eigesetzt wurde, hatte bis zu diesem Zeitpunkt nach wie vor einen massgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft und sie hätte die Möglichkeit gehabt, die Gesellschaft wieder zu reaktivieren und die Geschäftstätigkeit fortzuführen (Erw. 5). Insofern hatte sie bis zur Verteilung des Gesellschaftsvermögens bzw. bis zur Anmeldung der Löschung im Handelsregister eine beherrschende Stellung inne und deswegen war sie im Sinne der Rechtsprechung als  arbeitgeberähnliche Person zu qualifizieren. Damit war ihr Arbeitsausfall nicht ausreichend kontrollier- und bestimmbar (Erw. 2.2).

Aus dem Sachverhalt:

A, Jahrgang 1955, war Gründungsmitglied, 50 %ige Aktionärin und Verwaltungsrätin der X AG und für diese (bzw. deren Vorgängerin) seit dem 31. Januar 1998 als stellvertretende Geschäftsführerin tätig. Am 29. Oktober 2013 wurde sie als Liquidatorin für die X AG in Liquidation im Handelsregister eingetragen. Am 16. Juni 2014 stellte A bei der Arbeitslosenkasse des Kantons Zug den Antrag auf Arbeitslosenentschädigung ab dem 1. September 2014. Am 22. September 2014 verfügte die Arbeitslosenkasse die Ablehnung der Anspruchsberechtigung von A vom 1. September 2014. Begründet wurde dieser Entscheid mit dem Hinweis auf die Tatsache, dass die Versicherte ihre arbeitgeberähnliche Stellung bei der Firma X AG als Liquidatorin mit einer Beteiligung von 100 Namenaktien zu Fr. 1'000.– gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG nicht verloren habe. Der Arbeitsausfall als arbeitgeberähnliche Person könne aufgrund ihrer Stellung selber bestimmt oder massgeblich beeinflusst werden und sei folglich nicht ausreichend kontrollier- und bestimmbar. Ein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung bestehe erst bei Löschung des Handelsregistereintrages. In der Folge erhob A am 23. September 2014 Einsprache, worauf die Arbeitslosenkasse mit Einspracheentscheid vom 6. März 2015 die genannte Einsprache insofern teilweise guthiess, als dass die Anspruchsberechtigung vom 1. September 2014 bis 16. November 2014 abgelehnt und ab 17. November 2014 bejaht wurde.

Aus den Erwägungen:

(...)

2.

2.1 Nach Art. 31 Abs. 1 AVIG haben Arbeitnehmer, deren normale Arbeitszeit verkürzt oder deren Arbeit ganz eingestellt ist, Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung, wenn sie bestimmte, in lit. a–d näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen. Keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung haben gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten. Eine gleichlautende Bestimmung besteht bezüglich des Anspruchs auf Insolvenzentschädigung (Art. 51 Abs. 2 AVIG).

2.2 Dem Wortlaut nach sind die Bestimmungen zwar auf eine Kurzarbeitsentschädigung zugeschnitten. Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht indessen in BGE 123 V 234 entschieden hat, lässt sich daraus nicht folgern, dass die in Art. 31 Abs. 3 AVIG genannten arbeitgeberähnlichen Personen in jedem Fall Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung bei Ganzarbeitslosigkeit haben. Behält ein Arbeitnehmer nach der Entlassung seine arbeitgeberähnliche Stellung im Betrieb bei und kann er dadurch die Entscheidungen des Arbeitgebers weiterhin bestimmen oder massgeblich beeinflussen, verfügt er nach wie vor über die unternehmerische Dispositionsfreiheit, den Betrieb jederzeit zu reaktivieren und sich bei Bedarf erneut als Arbeitnehmer einzustellen. Ein solches Vorgehen läuft auf eine rechtsmissbräuchliche Umgehung der Regelung des Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG hinaus, welche ihrem Sinn nach der Missbrauchsverhütung dient und in diesem Rahmen insbesondere dem Umstand Rechnung tragen will, dass der Arbeitsausfall von arbeitgeberähnlichen Personen praktisch unkontrollierbar ist, weil sie ihn aufgrund ihrer Stellung bestimmen oder massgeblich beeinflussen können.

(...)

5. Fest steht vorliegend, dass die Beschwerdeführerin bis zum 29. Oktober 2013 als Verwaltungsrätin der X AG im Handelsregister eingetragen war. Ab dem 29. Oktober 2013 wurde die Gesellschaft aufgrund des Auflösungsbeschlusses unter dem Namen X AG in Liquidation geführt und die Beschwerdeführerin wurde als einzige Liquidatorin eingesetzt. Wie den Akten des Parallelverfahrens S 2015 38 zu entnehmen ist, veräusserte der Ehemann der Beschwerdeführerin zudem seine Aktienanteile, weswegen davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin in der Folge Allein- oder zumindest Mehrheitsaktionärin der X AG in Liquidation war. Die Beschwerdeführerin ging zudem bis zum 31. August 2014 weiter ihrer Tätigkeit als stellvertretende Geschäftsführerin der Gesellschaft nach und erhielt dafür auch Lohn. Die X AG in Liquidation wurde schliesslich per 16. Dezember 2014 gelöscht, wobei die Anmeldung zur Löschung beim Handelsregister am 17. November 2014 erfolgte.

Auch wenn die Beschwerdeführerin vorbringt, die Geschäftstätigkeit der X AG in Liquidation sei per 31. August 2014 eingestellt worden und sie diesbezüglich Kündigungen der Versicherungen und Mieträumlichkeiten ins Recht legt, so ändert dies nichts an der Tatsache, dass sie als Alleinaktionärin und Liquidatorin bis zur definitiven Löschung der Gesellschaft eine arbeitgeberähnliche Stellung innehatte. Als Alleinaktionärin und Liquidatorin hatte sie nach wie vor einen massgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft und sie hätte den Auflösungsbeschluss widerrufen können, solange noch nicht mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens begonnen worden ist (BGE 123 III 473 Erw. 5b). Die Verteilung des Gesellschaftsvermögens darf nach Art. 745 Abs. 2 des Bundesgesetzes betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911 (OR, SR 220) frühestens nach Ablauf eines Jahres vollzogen werden, von dem Tage an gerechnet, an dem der Schuldenruf zum dritten Mal ergangen ist. Gemäss Abs. 3 darf eine Verteilung bereits nach Ablauf von drei Monaten erfolgen, wenn ein zugelassener Revisionsexperte bestätigt, dass die Schulden getilgt sind und nach den Umständen angenommen werden kann, dass keine Interessen Dritter gefährdet sind. In casu hätte die Verteilung somit frühestens ein Jahr nach dem dritten Schuldenruf und somit am 11. November 2014 erfolgen dürfen, zumal bis zu diesem Zeitpunkt keine Bestätigung eines zugelassenen Revisionsexperten vorlag. Somit bestand für die Beschwerdeführerin auch bis zur Verteilung des Gesellschaftsvermögens bzw. bis zur Anmeldung der Löschung der Gesellschaft beim Handelsregister die Möglichkeit, die Gesellschaft wieder zu reaktivieren und die Geschäftstätigkeit fortzuführen (vgl. Urteile vom 19. März 2002, C 373/00 Erw. 3c, vom 28. Januar 2011, 8C_850/2010 Erw. 4.2 und vom 3. April 2006, C 267/04 Erw. 4.2), weswegen die Begründung der Beschwerdegegnerin, wonach der Arbeitsausfall nicht ausreichend bestimm- und kontrollierbar gewesen sei, mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimmt und daher zu bestätigen ist. Die Beschwerdeführerin führt zwar richtig aus, dass die absolute und unwiderrufliche Einstellung der Geschäftstätigkeit vorliegend das entscheidende Kriterium zur Beurteilung des Anspruches auf Arbeitslosenentschädigung sei, sie verkennt aber, dass diese absolute und unwiderrufliche Einstellung der Geschäftstätigkeit nicht schon mit der Kündigung der Geschäftsräumlichkeiten und der Versicherungen etc. erfolgte, sondern erst mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens bzw. mit der Löschung der Gesellschaft im Handelsregister (vgl. auch das Urteil vom 6. Juni 2002, C 264/01 Erw. 2d, in welchem das EVG die Konkurseröffnung als massgebenden Zeitpunkt bezeichnete). Einem Schreiben der Beschwerdeführerin an die Beschwerdegegnerin vom 17. November 2014 ist ferner zu entnehmen, dass die Bestätigung des zugelassenen Revisionsexperten am 14. November 2014 erfolgt sei. Insofern wäre die Verteilung des Gesellschaftsvermögens frühestens am 14. November 2014 möglich gewesen. Nachdem betreffend die Verteilung des Gesellschaftsvermögens den Akten aber nichts Weiteres zu entnehmen ist, ist nicht zu beanstanden, dass die Arbeitslosenkasse für die definitive Aufgabe der arbeitgeberähnlichen Stellung auf den Zeitpunkt der Anmeldung der Löschung beim Handelsregister (17. November 2014) abstellte. Festzuhalten ist mithin, dass die Beschwerdeführerin als Liquidatorin und Alleinaktionärin der X AG in Liquidation ihre Stellung als arbeitgeberähnliche Person bis zur Verteilung des Gesellschaftsvermögens bzw. bis zur Anmeldung der Löschung im Handelsregister beibehielt und sie deswegen bis zu diesem Zeitpunkt keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hatte. Weil mit dieser Rechtsprechung nicht nur ein ausgewiesener Rechtsmissbrauch sanktioniert werden, sondern bereits dem Risiko eines solchen begegnet werden soll, erübrigen sich Weiterungen dazu, ob in casu tatsächlich ein Missbrauchsrisiko bestanden hat oder nicht. Bereits das Eidgenössische Versicherungsgericht hielt aber fest, dass ein solches Risiko der Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung an arbeitgeberähnliche Personen und deren im Betrieb mitarbeitende Ehegatten inhärent sei (Urteil vom 8. Juni 2004, C 110/03 Erw. 2.2).

(...)

7. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin als Alleinaktionärin und Liquidatorin der X AG in Liquidation bis zur Verteilung des Gesellschaftsvermögens bzw. bis zur Anmeldung der Löschung im Handelsregister eine beherrschende Stellung innehatte und deswegen im Sinne der Rechtsprechung als arbeitgeberähnliche Person zu qualifizieren war. Aus diesem Grunde war ihr Arbeitsausfall im Zeitraum vom 1. September 2014 bis zum 16. November 2014 nicht ausreichend kontrollier- und bestimmbar. Mithin erweist sich die vorliegende Beschwerde als unbegründet, weswegen sie – soweit darauf einzutreten ist – vollumfänglich abzuweisen ist.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. Juni 2015 S 2015 41

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