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Art. 1b IVG, Art. 27 EOG, Art. 2 AVIG, Art. 1a und Art. 5 AHVG, Art. 319 OR
Art. 4 ATSG, Art. 6 Abs. 2 UVG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 UVV
Art. 5 AHVG, Art. 6, Art. 8, Art. 8bis und Art. 8ter AHVV
Art. 8, Art. 13, Art. 21 und Art. 64a Abs. 1 lit. b IVG, Art. 2 Abs. 1 und 2 HVI, Ziffer 5.06 HVI-Anhang; Rz. 2035 KHMI
Art. 8, Art. 27 und Art. 42 ATSG, Art. 12 Abs. 2 ATSV, Art. 8 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 AVIG
Art. 8, Art. 59 und Art. 60 AVIG
Art. 9 und Art. 17 Abs. 2 ATSG, Art. 42 IVG; Art. 37 und Art. 38 IVV
Art. 17 Abs. 2 ATSG; Art. 9 Abs. 1 ELG; Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV
Art. 31 AVIG, Art. 745 OR
Art. 43 und Art. 61 ATSG, Art. 3 Abs. 1 und 2 UVG, Art. 8 UVV

Art. 50 und 53 Abs. 2 ATSG

Regeste:

Art. 50 und 53 Abs. 2 ATSG – Es ist zulässig, sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten zwischen  Versicherungsträger und Versicherten vergleichsweise zu regeln (Erw. 4.1). Ein  Vergleich kann grundsätzlich ebenso in  Wiedererwägung gezogen werden wie eine Verfügung. Es sind jedoch im Rahmen von Art. 53 Abs. 2 ATSG höhere Anforderungen zu stellen, um dem Vergleichscharakter Rechnung zu tragen (Erw. 4.1.2 und 5).

Aus dem Sachverhalt:

(...)

Am 12. November 1990 stürzte A zu Boden, wobei sie ihren Kopf mit voller Wucht an einem Blumentopf anschlug und sich beide Handgelenke brach. In der Folge erbrachte die X die gesetzlichen Leistungen. Bei der X handelt es sich zudem auch um die für den erwähnten Unfall zuständige Haftpflichtversicherung. (...) Am 15. Juli 1996 sprach die X der Versicherten bei einem Integritätsschaden von 60 % eine Integritätsentschädigung von Fr. 48'960.– zu. Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Angesichts eines errechneten Invaliditätsgrades von 80 % sprach die X A mit Verfügung vom 31. Oktober 1996 eine Invalidenrente in genannter Höhe ab 1. Juli 1996 zu, wobei sie von einem versicherten Verdienst von Fr. 37'263.– bzw. von einem solchen von Fr. 57'000.– (betreffend die Komplementärrente) ausging. Gegen diese Verfügung liess die Versicherte am 11. November 1996 eine Einsprache einreichen und die Zusprechung einer Rente auf der Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 100 % beantragen. In der Folge nahmen die Parteien Vergleichsverhandlungen auf. Am 14. Januar 1997 fand zwischen Rechtsanwalt B, dem damaligen Rechtsvertreter der Versicherten, und drei Vertretern der X eine Besprechung statt. Sie einigten sich auf die Übernahme der unfallbedingten Heilungskosten durch die X, wobei bezüglich der vorgesehenen Kuraufenthalte ein jährlicher Maximalbetrag von Fr. 5'000.– vereinbart wurde. Rechtsanwalt B offerierte der X, bei Gewährung einer 100 %igen Invalidenrente verzichte er auf die Geltendmachung von Schadenersatz aus der selbständigen Tätigkeit der Versicherten. Die X sicherte ihm die Zusprechung einer 100 %igen UVG-Rente zu und die Parteien einigten sich auch über den Haftpflichtschaden (gemäss einer Aktennotiz der Versicherung). (...) «Vereinbarungsgemäss» und erneut unter Verweis auf die kürzliche Besprechung erliess die X ihre Verfügung vom 20. Januar 1997 und hob ihre frühere Verfügung vom 31. Oktober 1996 auf. Sie sprach der Versicherten eine Vollrente ab 1. Juli 1996 zu, wobei sie von einem versicherten Verdienst von wiederum Fr. 37'263.– bzw. von einem solchen von Fr. 57'000.– (betreffend die Komplementärrente) und einem Invaliditätsgrad von 100 % ausging. Des Weiteren wies sie darauf hin, bezüglich der Übernahme von weiteren Heilungskosten sei die bei der Besprechung vom 14. Januar 1997 getroffene Vereinbarung massgebend. Sie begleiche weitere unfallbedingte Heilungskosten grundsätzlich zu Lasten des UVG-Schadenfalles. Für allfällige Kuraufenthalte werde jedoch maximal ein jährlicher Betrag von Fr. 5'000.– übernommen. Die Aufteilung auf den Haftplicht- bzw. UVG-Schaden regle die X intern. Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Mit Schreiben vom 15. Juni 2012 wies die Unfallversicherung (nunmehr die Z AG) A darauf hin, dass sie beabsichtige, die Rentenverfügung vom 20. Januar 1997 im Sinne von Art. 53 Abs. 2 ATSG in Wiedererwägung zu ziehen. Aus diesem Grund gewähre sie ihr das rechtliche Gehör. Zur Begründung machte sie geltend, (...) die ursprüngliche Rentenverfügung sei als zweifellos unrichtig zu qualifizieren. Die Z AG habe somit während Jahren zu hohe Leistungen erbracht, was zu einer Rückforderung der zu Unrecht erbrachten Rentenleistungen von Fr. 131'160.– führen würde. Die Z AG behalte sich eine Rückforderung dieses Betrages ausdrücklich vor. In ihrer Wiedererwägungsverfügung vom 15. August 2012 ordnete die Z AG das Folgende an:

«1. Die Verfügung vom 20.01.1997 wird hinsichtlich der Rentenzusprechung aufgehoben.

2. Bei einem versicherten Verdienst von CHF 21'820.00 und einem Invaliditätsgrad von 100 % hat die Versicherte ab 01.07.1996 Anspruch auf eine monatlich vorschüssig auszuzahlende Invalidenrente von CHF 516.00.

3. Die Teuerungszulagen richten sich nach Art. 34 UVG.

4. Die Heilbehandlungskosten bleiben per 01.07.1996 eingestellt. Art. 21 UVG bleibt vorbehalten. Für allfällige Kuraufenthalte wird weiterhin maximal ein jährlicher Betrag von CHF 5'000.00 übernommen.

(...)»

(...) Gegen die Verfügung vom 15. August 2012 liess A am 17. August 2012 Einsprache erheben und im Wesentlichen die Aufhebung der erwähnten Verfügung und die Weiterausrichtung der bisherigen Rente beantragen. Mit Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2013 hiess die Z AG die Einsprache teilweise gut und hob die Verfügung vom 15. August 2012 in Ziffer 2 auf. Bei einem versicherten Verdienst von Fr. 21'820.– und einem Invaliditätsgrad von 100 % habe die Versicherte ab 1. Juli 1996 Anspruch auf eine monatlich vorschüssig auszuzahlende Komplementärrente von Fr. 853.50. Im Übrigen werde die Einsprache abgewiesen. (...) Mit Beschwerde vom 31. Januar 2014 an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug liess A beantragen, der Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2013 sei aufzuheben und es seien ihr die bisherigen Rentenleistungen unverändert auszurichten, unter Kosten- und Entschädigungsfolge.

Aus den Erwägungen:

(...)

3. Nach Art. 53 Abs. 2 ATSG kann der Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Diese Bestimmung wurde in Anlehnung an die Kriterien erlassen, welche die Rechtsprechung bis zum Inkrafttreten des ATSG am 1. Januar 2003 entwickelt hatte (BGE 133 V 50 Erw. 4.1, BGE 138 V 147 Erw. 2.1 und BGE 140 V 77 Erw. 3.1). Voraussetzung einer Wiedererwägung ist – nebst der erheblichen Bedeutung der Berichtigung -, dass kein vernünftiger Zweifel an der Unrichtigkeit der Verfügung (gemeint ist hierbei immer auch ein allfälliger Einspracheentscheid) besteht, also nur dieser einzige Schluss denkbar ist. Dieses Erfordernis ist in der Regel erfüllt, wenn eine Leistungszusprache aufgrund falscher Rechtsregeln erfolgt ist oder wenn massgebliche Bestimmungen nicht oder unrichtig angewandt wurden (BGE 138 V 324 Erw. 3.3). Ob dies zutrifft, beurteilt sich nach der bei Erlass der Verfügung bestandenen Sach- und Rechtslage, einschliesslich der damaligen Rechtspraxis (vgl. BGE 138 V 147 Erw. 2.1, BGE 138 V 324 Erw. 3.3 und BGE 140 V 77 Erw. 3.1). Um wiedererwägungsweise auf eine verfügte Leistung zurückkommen zu können, genügt es aber nicht, wenn ein einzelnes Anspruchselement rechtswidrig festgelegt wurde. Vielmehr hat sich die Leistungszusprache auch im Ergebnis als offensichtlich unrichtig zu erweisen. So muss etwa, damit eine zugesprochene Rente wegen einer unkorrekten Invaliditätsbemessung wiedererwägungsweise aufgehoben werden kann, – nach damaliger Sach- und Rechtslage – erstellt sein, dass eine korrekte Invaliditätsbemessung hinsichtlich des Leistungsanspruchs zu einem anderen Ergebnis geführt hätte (vgl. BGE 117 V 8 Erw. 2c/aa, SVR 2006 UV Nr. 17 S. 60, Urteil des EVG vom 10. Mai 2006, U 378/05, Erw. 5.3, Urteil des Bundesgerichts vom 27. Mai 2013, 8C_778/2012, Erw. 3.1 mit weiteren Hinweisen). Eine Wiedererwägung einer prozentgenauen Invalidenrente bedingt sodann, dass die Differenz des Invaliditätsgrades zu der als zweifellos unrichtig erkannten Verfügung mindestens fünf Prozentpunkte beträgt (BGE 140 V 85 Erw. 4, BGE 140 V 77 Erw. 3.1).

4. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die X sei sowohl in unfallversicherungs- als auch in haftpflichtrechtlicher Hinsicht für den Unfall vom 12. November 1990 zuständig gewesen. Sie habe mit der X einen Vergleich abgeschlossen, der unfall- bzw. sozialversicherungs- und haftpflichtrechtliche Leistungen umfasse. Wäre der versicherte Verdienst damals so berechnet worden, wie es die Beschwerdegegnerin heute mache, hätte die X einen höheren Direktschaden bezahlen müssen. Auf diesem integralen Vergleich basiere die Verfügung der X vom 20. Januar 1997. Aus den dargestellten Gründen verstosse die von der Beschwerdegegnerin mit der Wiedererwägungsverfügung vom 15. August 2012 und mit dem Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2013 vorgenommene massive Reduktion der Rente in dieser speziellen Konstellation gegen Treu und Glauben. Demgegenüber bestreitet die Beschwerdegegnerin, dass die Verfügung vom 20. Januar 1997 resp. der darin festgelegte versicherte Verdienst auf einem Vergleich beruhe.

4.1 Bereits vor dem Inkrafttreten des ATSG war es nach der Rechtsprechung zulässig, sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten zwischen Versicherungsträger und Versicherten vergleichsweise zu regeln (vgl. BGE 133 V 593 Erw. 4.3; BGE 104 V 162; Kieser, a.a.O., Art. 50 N 3 ff.). In Art. 50 ATSG wurde dies kodifiziert. Danach können Streitigkeiten über sozialversicherungsrechtliche Leistungen durch Vergleich erledigt werden (Art. 50 Abs. 1 ATSG). Der Versicherungsträger hat den Vergleich in Form einer anfechtbaren Verfügung zu eröffnen (Art. 50 Abs. 2 ATSG).

4.1.1 Die Befugnis zum Abschluss eines Vergleichs ermächtigt die Behörde nicht, bewusst eine gesetzwidrige Vereinbarung zu schliessen, also von einer von ihr als richtig erkannten Gesetzesanwendung im Sinne eines Kompromisses abzuweichen. Ist der Vergleich im Gesetzesrecht zugelassen, so wird aber damit den Parteien bei ungewisser Sach- oder Rechtslage die Befugnis eingeräumt, ein Rechtsverhältnis vertraglich zu ordnen, um die bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Dabei und damit wird in Kauf genommen, dass der Vergleichsinhalt von der Regelung des Rechtsverhältnisses abweicht, zu der es bei umfassender Klärung des Sachverhalts und der Rechtslage allenfalls gekommen wäre. Ein Vergleich ist somit zulässig, soweit der Verwaltung ein Ermessensspielraum zukommt sowie zur Beseitigung rechtlicher und/oder tatsächlicher Unklarheiten (BGE 138 V 147 Erw. 2.4 und BGE 140 V 77 Erw. 3.2.1 mit Hinweisen).

4.1.2 Rechtsprechungsgemäss kann ein Vergleich grundsätzlich ebenso in Wiedererwägung gezogen werden wie eine Verfügung. Es sind jedoch im Rahmen von Art. 53 Abs. 2 ATSG höhere Anforderungen zu stellen, um dem Vergleichscharakter Rechnung zu tragen (BGE 138 V 147 Erw. 2.3). Der Mechanismus der Interessenabwägung ist somit bei der Wiedererwägung eines Vergleichs bzw. einer Verfügung der gleiche; Unterschiede ergeben sich jedoch bei der Gewichtung, namentlich des Schutzes des berechtigten Vertrauens in den Bestand, der tendenzmässig beim Vergleich stärker als bei der Verfügung ausfällt (BGE 138 V 147 Erw. 2.4). Zu beachten ist dabei auch, dass die Zusprechung von Sozialversicherungsleistungen in der Regel auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruht. Im UVG sind dies, nebst etwa der Versicherungsdeckung und den notwendigen kausalen Zusammenhängen, bei der Invalidenrente in erster Linie der Invaliditätsgrad – mit den diesem zugrunde liegenden Faktoren der Invaliditätsbemessung – und der versicherte Verdienst, bei der Integritätsentschädigung die Integritätseinbusse. Werden Sozialversicherungsleistungen gestützt auf einen Vergleich verfügt, umfasst dieser für gewöhnlich eine gesamthafte Würdigung aller relevanten Anspruchsfaktoren. Das heisst, jede Vergleichspartei bezieht in ihre Überlegungen mit ein und nimmt in Kauf, dass bei der vergleichsweisen Erledigung einige Anspruchsfaktoren eher zu ihren Gunsten, andere eher zu ihren Ungunsten ausgelegt werden als bei einer umfassenden Prüfung, und sie wägt ab, welchem Ergebnis sie bei gesamthafter Betrachtung zustimmen will. Der Versicherungsträger hat sich hiebei im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens zu halten. Für die versicherte Person wird die rasche Zusprechung einer möglichst hohen Leistung im Vordergrund stehen (BGE 140 V 77 Erw. 3.2.2).

4.1.3 Der wie dargelegt gesamthaften Betrachtungsweise beim Vergleich und den ihr zugrunde liegenden Wechselwirkungen läuft zuwider, wenn der Unfallversicherer im Nachhinein ein einzelnes Element des Leistungsanspruchs herausgreift und einer Wiedererwägung der damaligen Verfügung zugrunde legen, an den übrigen Anspruchsfaktoren gemäss Vergleich aber ohne nähere Prüfung festhalten will. Um eine Wiedererwägung vornehmen zu können, müsste vielmehr feststehen, dass die vergleichsweise verfügte Leistung bei einer auch sämtliche weiteren Anspruchsfaktoren umfassenden Klärung des Sachverhalts und der Rechtslage – auf damaligem Stand – im Ergebnis als offensichtlich unrichtig zu betrachten ist (BGE 140 V 77 Erw. 3.2.3).

(...)

4.3 Bei der Würdigung der Akten zum Vorliegen eines allfälligen Vergleichs ist festzuhalten, dass die sowohl aus UVG-rechtlicher als auch aus haftpflichtrechtlicher Sicht zuständige X mit der Beschwerdeführerin Vergleichsgespräche geführt hat. Im Rahmen der abschliessenden Geltendmachung der Schadenersatzforderung der Beschwerdeführerin verwies Rechtsanwalt B auf die Möglichkeit, diese Forderung vergleichsweise durch die Zusprache einer auf einem Invaliditätsgrad von 100 % basierenden Rente zu tilgen (Schreiben vom 12. November 1996). C von der X bestätigte die Offerte von Rechtsanwalt B, auf die Geltendmachung zukünftiger Direktansprüche unter dem Titel Haupt-/Nebentätigkeit zu verzichten, sofern UVG-seitig eine volle Rente ausbezahlt werde (Aktennotiz vom 25. November 1996). Schliesslich einigten sich Rechtsanwalt B und die X bei der Besprechung vom 14. Januar 1997 darüber, dass die X die weiteren unfallbedingten Heilungskosten übernehme (Kuraufenthalte maximal Fr. 5'000.– jährlich). Die Offerte von Rechtsanwalt B, bei Gewährung einer 100 %igen Invalidenrente auf die Geltendmachung von Schadenersatz aus der selbständigen Tätigkeit der Beschwerdeführerin zu verzichten, nahm die X an. Sie sicherte ihm nämlich diesbezüglich zu, «aus dem UVG-Fall eine 100 %ige Rente» zu gewähren. Die X wies schliesslich darauf hin, dies stelle eine Lösung dar, welche im Prozessfall mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht anders herausgekommen wäre (Aktennotiz der X vom 16. Januar 1997). Mit Schreiben vom 16. Januar 1997 bestätigte C (X), dass sich die Beschwerdeführerin und die X sowohl hinsichtlich des Haftpflichtschadens als auch hinsichtlich der UVG-Rente und der Übernahme der Heilungskosten geeinigt hätten und stellte eine entsprechende Verfügung in Aussicht. Schliesslich nahm die X in der Verfügung vom 20. Januar 1997 Bezug auf das Gespräch vom 14. Januar 1997 und erliess «vereinbarungsgemäss» die neue Verfügung. Es bleibt mithin festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin und die X den Schadenfall sowohl in UVG-rechtlicher als auch in haftpflichtrechtlicher Hinsicht einvernehmlich geregelt und somit einen Vergleich abgeschlossen haben. Soweit die Beschwerdegegnerin in diesem Zusammenhang geltend macht, der Vergleich schliesse den versicherten Verdienst nicht mit ein, ist ihr entgegen zu halten, dass sowohl in der später wieder aufgehobenen Verfügung der X vom 31. Oktober 1996 als auch in ihrer «vereinbarungsgemäss» erlassenen Verfügung vom 20. Januar 1997 stets von einem solchen von Fr. 37'263.– bzw. Fr. 57'000.– (betreffend die Komplementärrente) die Rede war. Angesichts der Platzierung des erwähnten Wortes «vereinbarungsgemäss» auf der ersten Seite der Verfügung vom 20. Januar 1997 direkt nach dem Hinweis auf die «kürzliche» Besprechung darf davon ausgegangen werden, dass es sich auf die gesamte nachfolgende Verfügung – und somit auch auf den versicherten Verdienst – bezieht. Nach überwiegender Wahrscheinlichkeit ist daher davon auszugehen, dass sich die Parteien auch betreffend den versicherten Verdienst geeinigt haben.

5. Der Ausgangspunkt des zu beurteilenden Rechtsstreites bildet die Verfügung vom 20. Januar 1997. Mit dieser hat die X – die Rechtsvorgängerin der Beschwerdegegnerin – als obligatorische Unfallversicherung der Beschwerdeführerin für die verbleibenden Folgen des erlittenen Unfalls eine ab 1. Juli 1996 laufende Invalidenrente nach Massgabe eines Invaliditätsgrades von 100 % und eines versicherten Verdienstes von Fr. 37'263.– bzw. von Fr. 57'000.– (betreffend die Komplementärrente) zugesprochen. Die Unfallversicherung stützte sich bei der Zusprechung dieser Leistungen auf einen mit der Beschwerdeführerin geschlossenen Vergleich, wie der ersten Seite der Verfügung entnommen werden kann («Vereinbarungsgemäss erlassen wir neu die folgende Verfügung.»). Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin zu Recht in Wiedererwägung der Verfügung vom 20. Januar 1997 den versicherten Verdienst auf Fr. 21'820.– reduziert und die Invalidenrente entsprechend herabgesetzt hat.

Wie bereits erwähnt, kann auch ein Vergleich in Wiedererwägung nach Art. 53 Abs. 2 ATSG gezogen werden. Allerdings sind im Rahmen der erwähnten Bestimmung höhere Anforderungen zu stellen, um dem Vergleichscharakter Rechnung zu tragen. Der Schutz des berechtigten Vertrauens in den Bestand fällt tendenzmässig beim Vergleich stärker aus. Ausserdem umfasst der Vergleich eine gesamthafte Würdigung aller relevanten Anspruchsfaktoren. Beim Vergleichsabschluss nahmen die Parteien in Kauf, dass bei der vergleichsweisen Einigung einige Anspruchsfaktoren eher zu ihren Gunsten, andere eher zu ihren Ungunsten ausgelegt werden als bei einer umfassenden Prüfung und sie haben abgewägt, welchem Ergebnis sie bei gesamthafter Betrachtung zustimmen wollen. Im vorliegenden Fall hat sich die Beschwerdegegnerin bei ihrer Wiedererwägung auf den versicherten Verdienst beschränkt und die übrigen rentenrelevanten Faktoren unberücksichtigt gelassen. Nach der aktuell massgebenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung rechtfertigt ein solches Vorgehen jedoch keine Wiedererwägung der gestützt auf den Vergleich zugesprochenen Invalidenrente. An dieser Beurteilung vermöchte selbst der Umstand nichts zu ändern, dass der versicherte Verdienst isoliert betrachtet als offensichtlich unrichtig zu betrachten wäre (vgl. dazu BGE 140 V 77 Erw. 4), weshalb dies offen bleiben kann und sich diesbezügliche Weiterungen erübrigen. Die von der Beschwerdegegnerin vorgenommene Wiedererwägung der Verfügung vom 20. Januar 1997 erweist sich somit als unzulässig.

6. Zusammenfassend bleibt mithin festzuhalten, dass sich die von der Beschwerdegegnerin vorgenommene Wiedererwägung aus den dargestellten Gründen als unzulässig erweist. Es erübrigen sich Weiterungen zu der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten ungerechtfertigten Bereicherung der Beschwerdegegnerin durch die wiedererwägungsweise vorgenommene massive Reduktion der Rentenleistungen und zu einer allfälligen zeitlichen Befristung der Wiedererwägung. Auf den Beizug von IK-Auszügen und der IV-Akten kann verzichtet werden. Schliesslich erübrigt sich angesichts des Ausgangs des vorliegenden Verfahrens auch die Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten Befragung von Rechtsanwalt B, von C, von D und von E, je von der X, als Zeugen. Die Beschwerde erweist sich als begründet und ist insofern gutzuheissen, als der Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2013 aufzuheben und festzustellen ist, dass die Beschwerdeführerin nach wie vor Anspruch auf die ihr von der X «vereinbarungsgemäss» mit Verfügung vom 20. Januar 1997 zugesprochene Rente hat.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 16. April 2015 S 2014 13

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