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Gerichtspraxis

Staats- und Verwaltungsrecht

Sozialversicherungsrecht

Art. 37 Abs. 4 ATSG

Art. 41 ATSG und Art. 53 AVIG

Regeste:

Art. 41 ATSG und Art. 53 AVIG – Krankheit kann ein unverschuldetes, zur  Wiederherstellung der Frist führendes Hindernis sein, doch muss die Erkrankung derart sein, dass die rechtsuchende Person oder ihre Vertretung durch sie davon abgehalten wird, selber innert Frist zu handeln oder zumindest eine Drittperson mit der Vornahme der Prozesshandlung zu betrauen (Erw. 3.2). Trotz 100%iger Arbeitsunfähigkeit infolge einer Magendarmgrippe wäre es der Vertreterin möglich gewesen, vom Krankenbett aus gewisse Schritte in die Wege zu leiten, damit der Antrag auf Insolvenzentschädigung fristgerecht hätte eingereicht werden können (Erw. 3.3). Ein  unverschuldetes Hindernis zur Wiederherstellung der Frist kann vorliegend nicht angenommen werden (Erw. 3.4).

Aus dem Sachverhalt:

Die Versicherte, Jahrgang 1982, arbeitete vom 20. Juni 2016 bis am 19. Juni 2018 bei der X GmbH in Y. Die Lohnzahlung erfolgte bis und mit Januar 2018. Am 19. Juni 2018 wurde über die vorerwähnte Gesellschaft der Konkurs eröffnet. Die Ausschreibung des Konkurses im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) erfolgte am 27. Juli 2018. Mit Datum vom 27. September 2018 reichte die Versicherte, vertreten durch die Gewerkschaft Z, MLaw A, bei der Arbeitslosenkasse des Kantons Zug ein Gesuch um Insolvenzentschädigung ein. Mit Verfügung vom 2. Oktober 2018 bzw. Einspracheentscheid vom 5. Dezember 2018 lehnte die Arbeitslosenkasse den Anspruch auf Insolvenzentschädigung ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Frist zur Einreichung des Antrags auf Insolvenzentschädigung sei nicht eingehalten worden und eine Wiederherstellung der Frist sei aufgrund der geltend gemachten Umstände nicht möglich. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 15. Januar 2019 liess die Versicherte beantragen, der Einspracheentscheid vom 5. Dezember 2018 sei aufzuheben, die Frist zur Einreichung des Antrages auf Insolvenzentschädigung sei wiederherzustellen und ihr sei die Insolvenzentschädigung im Betrag von Fr. 12'615.30 nebst Verzugszins zu 5 % seit dem 2. Oktober 2018 zuzusprechen; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegegnerin. Mit Vernehmlassung vom 31. Januar 2019 beantragte die Arbeitslosenkasse die Abweisung der Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

(…)

2.2 Gemäss Art. 53 AVIG muss im Konkursfall des Arbeitgebers die arbeitnehmende Person ihren Entschädigungsanspruch spätestens 60 Tage nach der Veröffentlichung im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) bei der öffentlichen Kasse stellen, die am Ort des Betreibungs- und Konkursamtes zuständig ist (Abs. 1). Mit dem Ablauf dieser Frist erlischt der Anspruch auf Insolvenzentschädigung (Abs. 3).

(…)

2.4 Die Frist von Art. 53 Abs. 1 AVIG hat Verwirkungscharakter, ist aber der Wiederherstellung zugänglich (BGE 131 V 454 Erw. 3.1 mit Hinweisen). Laut Art. 41 ATSG wird die Frist wiederhergestellt, falls die gesuchstellende Person oder ihre Vertretung unverschuldeterweise abgehalten worden ist, binnen Frist zu handeln, sofern sie unter Angabe des Grundes innert 30 Tagen nach Wegfall des Hindernisses darum ersucht und die versäumte Rechtshandlung nachholt. Die Wiederherstellung kommt somit nur in Betracht, wenn der säumigen Person kein Vorwurf gemacht werden kann, wenn sie mit andern Worten aus hinreichenden objektiven oder subjektiven Gründen davon abgehalten worden ist, fristgerecht zu handeln oder eine Vertretung zu bestellen. Wiederherstellung kann nur in Fällen klarer Schuldlosigkeit gewährt werden. Jedwelches Verschulden einer Partei oder ihres Vertreters oder beigezogener Hilfspersonen, so geringfügig es sein mag, schliesst sie aus (SVR 1998 UV Nr. 10 S. 27 Erw. 3). Dabei muss es sich um Gründe von einigem Gewicht handeln. Arbeitsüberlastung stellt keinen wichtigen Grund für die Wiederherstellung einer Frist dar (siehe zum Ganzen Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2015, N. 6 ff. zu Art. 41 ATSG mit weiteren Hinweisen).

3. Massgeblich für den Beginn der 60-tägigen Verwirkungsfrist gemäss Art. 53 Abs. 1 AVIG ist das Datum, an welchem der Konkurs im SHAB publiziert wurde, vorliegend mithin der 27. Juli 2018. Die 60-tägige Frist begann somit am Folgetag, 28. Juli 2018, zu laufen und endete am Dienstag, 25. September 2018. Da die Frist gemäss Art. 53 Abs. 1 AVIG demnach am 25. September 2018 ablief, erfolgte der Antrag auf Insolvenzentschädigung vom 27. September 2018 verspätet. Die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin die gesetzliche Frist gemäss Art. 53 Abs. 1 AVIG verpasst hat, ist zwischen den Parteien denn auch völlig unbestritten. Im vorliegenden Fall stellt sich somit einzig die Frage, ob Gründe für die Wiederherstellung der Frist nach Art. 41 ATSG – unverschuldete Verhinderung an der Gesuchstellung – vorliegen.

3.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihre Vertreterin sei aufgrund gesundheitlicher Probleme abgehalten worden, innert Frist zu handeln, da sie vom 17. bis 20. September 2018 sowie vom 24. bis 25. September 2018 infolge Krankheit 100 % arbeitsunfähig gewesen sei. Zudem habe die Vollmacht explizit nur auf die Vertreterin gelautet, was zur Folge gehabt habe, dass niemand anderes in Vertretung den Antrag hätte einreichen können. Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei der Z, Zentralschweiz, um ein kleines Team von drei Juristen handle, welche insgesamt ein Stellenvolumen von 240 Prozent aufweisen würden. Obwohl die Z über eine Stellvertretungsregelung verfüge, hätte die Stellvertreterin den Antrag nicht einreichen können, da sie als neue Mitarbeiterin noch in der Einarbeitungsphase gewesen sei und zuerst entsprechend hätte instruiert werden müssen.

3.2 Krankheit kann ein unverschuldetes, zur Wiederherstellung führendes Hindernis sein, doch muss die Erkrankung derart sein, dass die rechtsuchende Person oder ihre Vertretung durch sie davon abgehalten wird, selber innert Frist zu handeln oder zumindest eine Drittperson mit der Vornahme der Prozesshandlung zu betrauen (BGE 112 V 255 Erw. 2a mit Hinweisen). Voraussetzung ist, dass die körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung jegliches auf die Fristwahrung gerichtetes Handeln wie etwa den Beizug eines (Ersatz-)Vertreters verunmöglichte. Die Erkrankung hört auf, ein unverschuldetes Hindernis im Sinne von Art. 41 ATSG zu sein, sobald es für den Betroffenen objektiv und subjektiv zumutbar wird, die Rechtshandlung selber vorzunehmen oder die als notwendig erkennbare Interessenwahrung an einen Dritten zu übertragen (Urteil des EVG P 47/06 vom 4. Dezember 2006, Erw. 5.2 mit Hinweisen). Eine Wiederherstellung hat das EVG etwa bei einem an einer schweren Lungenentzündung leidenden, hospitalisierten 60jährigen Versicherten bejaht. Ebenso hat das EVG die Wiederherstellung einem Versicherten gewährt, der wegen schwerer nachoperativer Blutungen massive zerebrale Veränderungen aufwies, intellektuell stark beeinträchtigt und daher während der gesamten Rechtsmittelfrist weder fähig war, selber Beschwerde zu erheben, noch sich bewusst werden konnte, dass er jemanden mit der Interessenwahrung hätte beauftragen sollen. Nicht gewährt hat das Gericht die Wiederherstellung dagegen in Fällen eines immobilisierten rechten Armes bzw. einer schweren Grippe, wo keine objektiven Anhaltspunkte dafür bestanden und dies auch nicht weiter belegt wurde, dass der Rechtsuchende nicht imstande gewesen wäre, trotz der Behinderung fristgerecht zu handeln oder nötigenfalls einen Vertreter mit der Interessenwahrung zu beauftragen (BGE 112 V 255 Erw. 2a mit Hinweisen). Bedeutsam für die Frage, ob Krankheit im Sinne eines unverschuldeten Hindernisses die Partei von eigenem fristgerechten Handeln oder der Beauftragung eines Dritten abgehalten hat, ist vor allem die letzte Zeit der Rechtsmittelfrist, weil die gesetzliche Regelung jedermann dazu berechtigt, die notwendige Rechtsschrift erst gegen das Ende der Frist auszuarbeiten und einzureichen (BGE 112 V 255 Erw. 2a in fine).

Für die Frage des unverschuldeten Hindernisses macht es grundsätzlich keinen Unterschied, ob die Verhinderung den Rechtsvertreter oder aber die Klientschaft selber trifft, haben sich die Rechtsvertreter doch so zu organisieren, dass die Fristen im Falle einer Verhinderung trotzdem gewahrt bleiben. Dies geschieht durch umgehende Bestellung eines Substituten oder bei fehlender Substitutionsvollmacht dadurch, dass die Klientin oder der Klient sogleich veranlasst wird, selbst zu handeln oder einen anderen Rechtsvertreter aufzusuchen (Urteil des Bundesgerichts 8C_767/2008 vom 12. Januar 2009, Erw. 5.3.1).

3.3 In den Akten befinden sich ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis des Hausarztes, der der Vertreterin der Beschwerdeführerin eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit vom 17. bis 20. September 2018 infolge Krankheit attestiert, sowie eine Bestätigung der Z, Zentralschweiz, wonach die Vertreterin auch vom 24. bis 25. September 2018 wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sei. Aus den Akten geht somit hervor, dass der Vertreterin sowohl vom 17. bis 20. September als auch vom 24. bis 25. September 2018 – und damit auch am letzten Tag der Frist zur Einreichung des Antrags auf Insolvenzentschädigung (25. September 2018) – krankheitsbedingt eine vollständige Arbeitsunfähigkeit attestiert wurde. Der Beschwerdeschrift kann sodann entnommen werden, dass Grund hierfür eine Magendarmgrippe war. Lediglich am 21. September 2018 sei es der Vertreterin gemäss eigenen Angaben möglich gewesen, ihrer Arbeit nachzugehen. Hat die Vertreterin an diesem Arbeitstag indes andere fristgebundene Arbeiten vorgezogen, kann ihr dies nicht angelastet werden, ist doch jedermann dazu berechtigt, die notwendige Rechtshandlung erst gegen das Ende der Frist vorzunehmen (vgl. Erw. 3.2 vorstehend). Der Beschwerdeführerin ist sodann Recht zu geben, dass sich die Vertreterin aufgrund der Erkrankung ausserstande sah, selber den Antrag auf Insolvenzentschädigung am letzten Tag der Frist bei der Arbeitslosenkasse einzureichen. Es ist indessen nicht ersichtlich – eine gänzliche Handlungsunfähigkeit im Sinne der genannten Beispiele aus der Rechtsprechung bestand offenkundig nicht und wird von der Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht, wird doch lediglich angemerkt, es ginge zu weit, auf die Details der Magendarmgrippe einzugehen – weshalb die Vertreterin nicht einmal in der Lage gewesen sein sollte, vom Krankenbett aus gewisse Schritte in die Wege zu leiten, damit der Antrag auf Insolvenzentschädigung fristgerecht hätte eingereicht werden können. Immerhin wäre es der Vertreterin zumutbar gewesen, mittels eines kurzen Telefonats eine andere Mitarbeiterin der Z mit dem Einreichen des Antrags auf Insolvenzentschädigung zu beauftragen und entsprechend zu instruieren. Bringt die Beschwerdeführerin dagegen vor, die Vollmacht habe explizit nur auf A gelautet, ist ihr entgegenzuhalten, dass in der eingereichten Vollmacht das Recht, Stellvertreter zu ernennen, ausdrücklich enthalten ist und auch die Vertreterin selbst mit Schreiben vom 22. November 2018 angemerkt hat, dass eine Stellvertretungsregelung bestehe. Des Weiteren führt auch der Einwand, die Stellvertreterin sei als neue Mitarbeiterin noch in der Einarbeitungsphase gewesen und hätte zuerst entsprechend instruiert werden müssen, nicht zu einer anderen Auffassung. Sowohl fehlendes fachliches Knowhow der Stellvertreterin als auch mangelnde Personalressourcen stellen keine Fristwiederherstellungsgründe dar. Darüber hinaus hätte auch die Möglichkeit bestanden, die nicht verhinderte Beschwerdeführerin aufzufordern, den Antrag rechtzeitig einzureichen (allenfalls auch formlos, siehe dazu Nachstehendes). Die blosse Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit vermag entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin jedenfalls nicht zu belegen, dass der Zustand der Vertreterin am 25. September 2018 sogar diese soeben dargelegten wenig arbeitsintensiven Handlungen ausgeschlossen hätte (vgl. zum Ganzen auch Urteil des Bundesgerichts 8C_767/2008 vom 12. Januar 2009, Erw. 5.3.1 f.). Im Übrigen ist mit der Beschwerdegegnerin darauf hinzuweisen, dass es auch möglich gewesen wäre, den unvollständigen Antrag auf Insolvenzentschädigung bei der Arbeitslosenkasse einzureichen und die Arbeitslosenkasse auf die persönliche Verhinderung hinzuweisen und die Vervollständigung der Unterlagen nach Wegfall des Hinderungsgrundes in Aussicht zu stellen. In diesem Fall hätte die Arbeitslosenkasse der Beschwerdeführerin eine angemessene Frist für die Vervollständigung der Unterlagen angesetzt (vgl. Art. 77 Abs. 2 AVIV). Nach der Rechtsprechung hätte es zur Wahrung der 60-tägigen Frist sogar genügt, den Antrag auf Insolvenzentschädigung zunächst formlos einzureichen. Voraussetzung wäre lediglich gewesen, dass der formularmässige Antrag innert der von der Arbeitslosenkasse nach Art. 77 Abs. 2 AVIV zu setzenden Nachfrist für die Vervollständigung der Unterlagen nachgereicht worden wäre (vgl. z.B. Urteil des EVG C 312/01 vom 27. März 2002, Erw. 1b).

3.4 Zusammenfassend ist festzustellen, dass ein unverschuldetes Hindernis im Sinne von Art. 41 ATSG für den letzten Tag der 60-tägigen Frist am 25. September 2018 nicht angenommen werden kann, weshalb die Arbeitslosenkasse das Gesuch um Wiederherstellung der Frist zur Einreichung des Antrags auf Insolvenzentschädigung zu Recht abgewiesen hat. Daher erweist sich der Einspracheentscheid vom 5. Dezember 2018 als rechtens, weshalb die Beschwerde unbegründet und abzuweisen ist.

(…)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14. März 2019, S 2019 10
Das Urteil ist rechtskräftig.

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