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Art. 13 Abs. 1 AVIG i.V.m. Art. 23 Abs. 3 AVIG

Regeste:

Art. 13 Abs. 1 AVIG i.V.m. Art. 23 Abs. 3 AVIG: Die Beitragszeit gilt als erfüllt, wenn ein Versicherter innerhalb der Rahmenfrist während mindestens 12 Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat. Zwar wird verlangt, dass es sich dabei um eine beitragspflichtige Tätigkeit handeln muss, daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass jedes Erbringen einer beitragspflichtigen Tätigkeit in ausreichendem Masse auch die Erfüllung der Beitragspflicht bedeutet. Nebenverdienste sind, unabhängig der auf diesen Verdiensten lastenden Beitragspflicht, ALV-rechtlich nicht versichert, mithin weder beitragswirksam noch für die Bemessung des versicherten Verdienstes zu berücksichtigen.

Aus dem Sachverhalt:

Der Versicherte V., Jahrgang 1964, bezog bis zum 28. Dezember 2009 Taggelder, danach galt der Taggeldanspruch als erschöpft. Während des gesamten Leistungsbezugs gab er an, einer Nebentätigkeit bei der S. AG als Verwaltungsrat nachzugehen, wofür er Fr. 500.-- im Monat erziele. Die Tätigkeit bei der S. AG wurde während des ganzen Leistungsbezugs als Nebenbeschäftigung im Sinne von Gesetz und Praxis betrachtet. Am 1. April 2011 meldete sich der Versicherte erneut zum Bezug von Arbeitslosenentschädigungen an. Dabei gab er eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung vom 1. Juli 2010 bis zum 31. März 2011 an und verwies ebenfalls auf die Tätigkeit als Verwaltungsrat bei der S. AG, für welche er stundenweise tätig sei. Mit Verfügung vom 7. Juli 2011 lehnte die Arbeitslosenkasse die Anspruchsberechtigung des Versicherten auf Arbeitslosenentschädigung ab 1. April 2011 ab. Begründend führte sie aus, der Versicherte habe die Mindestbeitragszeit von 12 Monaten nicht erfüllt. Die am 8. September 2011 dagegen erhobene Einsprache wies die Kasse mit Entscheid vom 31. Oktober 2011 ab. Zur Begründung wurde nun im Wesentlichen dargelegt, die während der früheren Periode der Arbeitslosigkeit deklarierte Nebenverdienst-Tätigkeit für die S. AG müsse auch vorliegend als Nebenverdienst-Tätigkeit angesehen werden und sei für die Beitragszeit unbeachtlich. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 7. Dezember 2011 beantragte V. die Aufhebung des Einspracheentscheids der Beschwerdegegnerin. Im Wesentlichen führte er aus, der Entscheid sei willkürlich, zumal seinen Argumenten kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Die Nebentätigkeit sei seines Erachtens an die Beitragszeit anzurechnen, würden dafür doch auch Beiträge an die Arbeitslosenversicherung entrichtet. Es gehe nicht an, dass Versicherungsbeiträge erhoben würden, die keinen Anspruch auf Gegenleistung begründen würden. Solche Beiträge würden folglich umsonst erhoben bzw. einbezahlt. Dies widerspreche jedem Sozial- und Leistungsgedanken, aber auch dem Volkswillen. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

(...)

2.

2.1 (...) Die Beitragszeit hat erfüllt, wer innerhalb der Rahmenfrist nach Art. 9 Abs. 3 AVIG während mindestens zwölf Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat (Art. 13 Abs. 1 AVIG). Die Rahmenfrist für die Beitragszeit beginnt zwei Jahre vor dem Tag, an welchem die versicherte Person erstmals sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt (Art. 9 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 AVIG). (...) Als Beitragszeit zählt jeder volle Kalendermonat, in dem der Versicherte beitragspflichtig ist. Beitragszeiten, die nicht einen vollen Kalendermonat umfassen, werden zusammengezählt. Je 30 Kalendertage gelten als ein Beitragsmonat (Art. 11 Abs. 1 und 2 AVIV).

Nach Art. 23 Abs. 3 AVIG nicht versichert ist ein Nebenverdienst. Als solcher gilt jeder Verdienst, den ein Versicherter ausserhalb seiner normalen Arbeitszeit als Arbeitnehmer oder ausserhalb des ordentlichen Rahmens seiner selbständigen Erwerbstätigkeit erzielt.

(...)

2.3 Im Entscheid BGE 125 V 475 hielt das Bundesgericht unter Verweis auf einen früheren Entscheid und die dortige Auslegung des in Art. 23 Abs. 1 AVIG verwendeten Begriffs «normalerweise» im Zusammenhang mit Überzeitentschädigung unter anderem fest, das AVIG wolle versicherten Personen einen angemessenen Ersatz für Erwerbsausfälle wegen Arbeitslosigkeit garantieren. Eine Entschädigung für geleistete Überzeitarbeit widerspräche dem auch in anderen Bereichen des Gesetzes zum Ausdruck kommenden Grundgedanken der Arbeitslosenversicherung. Diese soll nur für eine normale, übliche Arbeitnehmertätigkeit Versicherungsschutz bieten, dagegen keine Entschädigung für Erwerbseinbussen ausrichten, die aus dem Ausfall einer Überbeschäftigung stammten. Im Hinblick auf diese Ziele habe das EVG am 2. September 1996 im Rahmen der Ausscheidung des Nebenverdienstes eines Versicherten, der im fraglichen Zeitraum beim einen Arbeitgeber nahezu voll, beim andern ungefähr halbzeitig gearbeitet habe, denn auch bestimmt, dass es richtig sei, den Verdienst ausser Acht zu lassen, der ausserhalb einer normalen, üblichen Arbeitszeit erzielt werde. Entsprechend habe denn auch Gerhards in seinem Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz im Band I, N. 54 zu Art. 23 ausgeführt, wenn ein Nebenverdienst ausserhalb der in Art. 23 Abs. 1 AVIG festgeschriebenen Normalität liege, habe er ausserordentlichen Charakter und zwar auch dann, wenn ein Versicherter durch eine Nebentätigkeit ein höheres Einkommen erziele als durch die eigentliche Haupttätigkeit. Es spiele folglich, so das Bundesgericht weiter, keine Rolle, in welchem Verhältnis der Nebenverdienst zu dem aus der Haupttätigkeit erzielten Lohn stehe. Quantitativ massgebend sei einzig, dass der Nebenerwerb über eine normale, übliche Arbeitnehmertätigkeit hinausgehe und demzufolge nicht versichert sei (BGE 125 V 475 Erw. 5 a und b, mit etlichen weiteren Hinweisen).

3.

3.1 Beim rechtlichen Gehör handelt es sich um eine der zentralen Verfahrensgarantien, die in Art. 29 Abs. 2 BV verfassungsrechtlich gewährleistet ist und für das Sozialversicherungsrecht in Art. 42 ATSG eine weitere rechtliche Grundlage hat. Dem Gehörsanspruch wird nicht genüge getan, wenn der Versicherungsträger die Stellungnahme der Partei nur «pro forma» zur Kenntnis nimmt und sich mit den Vorbringen inhaltlich überhaupt nicht auseinandersetzt, was etwa dann zu bejahen ist, wenn er die im Vorbescheidverfahren getätigten Ausführungen in der nachfolgenden Verfügung unverändert wiederholt. Vielmehr hat er die Gründe anzugeben, wieso er den allfälligen Einwänden der Partei nicht folgen, diese nicht berücksichtigen kann (vgl. Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Auflage, Zürich 2009, Art. 42 N. 2 ff., insbesondere N. 5). Der Gehörsanspruch gewährt der Partei indes nicht den Entscheid bzw. die Begründung, die sie sich wünscht. Auch ist der Versicherer nicht verpflichtet, sich bei einer Vielzahl von im Wesentlichen gleichlautenden Argumenten mit jedem einzelnen Punkt auseinanderzusetzen, wie er auch Gemeinplätze oder aber «de lege ferenda»-Argumentationen nicht zu kommentieren braucht.

3.2. In casu kann der Beschwerdeführer mit seinem Vorwurf, seinen Argumenten sei das rechtliche Gehör nicht ausreichend gegeben worden, nicht gehört werden. Der Beschwerdeführer hat in der Einsprache deutlich gemacht, dass die Nebentätigkeit für die S. AG seines Erachtens für die Beitragszeit angerechnet werden müsse. Soweit das Gesetz resp. die Praxis dies nicht vorsähen, verlangte er gleichwohl eine andere Handhabung. Schliesslich rügte er sinngemäss, der in casu getroffene Entscheid widerspreche seinem Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden bzw. dem Sozial- und Leistungsgedanken, schliesslich dem Volkswillen. (...) Soweit die Beschwerdegegnerin im Einspracheentscheid im Wesentlichen darlegte, dass Nebentätigkeiten nach Gesetz und Praxis ALV-rechtlich nicht versichert seien resp. soweit sie begründete, wieso in casu für die Tätigkeit für die S. AG von einer – ergo nicht versicherten – Nebentätigkeit ausgegangen werden dürfe und dass dies folglich dazu führe, dass diese auch hinsichtlich Erfüllung der Beitragszeit nah Art. 13 AVIG nicht berücksichtigt werden dürfe, beantwortete sie jedenfalls den Kern der Einwendungen des Beschwerdeführers, so dass dem Gehörsanspruch grundsätzlich genüge getan wurde. Dass der Beschwerdeführer die Rechtslage – wonach für eine Tätigkeit zwar Beiträge abgeführt werden, diese als Nebentätigkeit ALV-rechtlich aber nicht versichert ist – als stossend erachtete bzw. erachtet, ist zwar verständlich, verpflichtete die Beschwerdegegnerin indes nicht zu besonderen Weiterungen, zumal es nicht ihre Aufgabe ist, die von einzelnen Bürgern als ungerecht empfundene Rechtslage – basierend auf einer klaren und unzweideutigen bundesgesetzlichen Bestimmung – in Schutz zu nehmen. (...) Von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs kann vorliegend jedenfalls nicht gesprochen werden.

4. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist einzig die Frage nach der Anspruchsberechtigung des Beschwerdeführers bzw. nach dessen Erfüllung der Beitragszeit. (...) Streitig ist, ob die Tätigkeit als Verwaltungsrat der S. AG wirklich als Nebentätigkeit zu charakterisieren ist bzw. ob dies wirklich dazu führt, dass sie für die Berechnung der Beitragszeit nicht berücksichtigt wird.

(...)

5.1 Aus der in Erwägung 2.1 wiedergegebenen Gesetzes- und Verordnungslage und im Lichte der zitierten Verwaltungs- und Gerichtspraxis ergibt sich vorab, dass die Beitragszeit als erfüllt gilt, wenn ein Versicherter innerhalb der Rahmenfrist für die Beitragszeit mindestens während 12 Monaten einer Tätigkeit nach ging. Zwar verlangt Art. 13 Abs. 1 AVIG, dass es sich dabei um eine beitragspflichtige Tätigkeit handeln muss. Daraus kann indes nicht geschlossen werden, dass jedes Erbringen einer beitragspflichtigen Tätigkeit in ausreichendem Masse auch die Erfüllung der Beitragspflicht bedeutet, statuiert doch Art. 23 Abs. 3 AVIG, dass Nebenverdienste, unabhängig der auf diesen Verdiensten lastenden Beitragspflicht, ALV-rechtlich nicht versichert, mithin weder beitragswirksam noch für die Bemessung des versicherten Verdienstes zu berücksichtigen sind (vgl. hierzu Kreisschreiben des seco über die Arbeitslosenentschädigung [KS ALE] vom Januar 2007 Rzn. C8 ff.). Als Nebenverdienst im Sinne des Gesetzes gilt sodann jeder Verdienst, der ausserhalb der normalen Arbeitszeit eines Arbeitnehmers erzielt wird. Für die Qualifikation als Haupttätigkeit entscheidend ist die Höhe des Beschäftigungsgrades, nicht aber die Höhe des Verdienstes. Folglich kann eine in geringerem Umfang betriebene Tätigkeit selbst dann als Nebentätigkeit qualifiziert werden, wenn der daraus erzielte Verdienst jenen aus der Haupttätigkeit übersteigt. Gemäss Bundesgericht ist Sinn und Zweck dieser Differenzierung zwischen versicherter Haupt- und nicht versicherter Nebentätigkeit, möglichst allen versicherten Personen einen angemessenen Ersatz für Erwerbsausfälle wegen Arbeitslosigkeit zu garantieren. Dies bedeute aber auch, dass nur für eine normale, übliche Arbeitnehmertätigkeit Versicherungsschutz geboten werden könne, derweil der Verdienst, der ausserhalb der normalen, üblichen Arbeitszeit erzielt werde, ausser Acht zu lassen sei.

(...)

5.3 Würdigend ist zunächst daran zu erinnern, dass eine einmal als Nebentätigkeit qualifizierte Arbeit auch in einer Folgerahmenfrist – wenngleich es vorliegend nicht um eine eigentliche Folgerahmenfrist geht – als Nebentätigkeit gilt. Mit der Beschwerdegegnerin ist sodann festzustellen, dass der Beschwerdeführer die Tätigkeit für die S. AG offenbar immer im weitgehend gleichen Umfang betrieb, was sich denn auch in der über die Jahre unveränderten Vergütung niederschlug. Fakt ist alsdann, dass er vor der ersten Anmeldung zum Leistungsbezug einer Vollzeitstelle nachging, dass er sich stets zur Übernahme einer neuen Vollzeitstelle bereit erklärte, dass er nach Auslaufen der Arbeitslosentaggelder schliesslich wieder eine Vollzeitstelle antreten konnte und dass er sich auch im Rahmen seiner zweiten Anmeldung zum Leistungsbezug zur Annahme einer Vollzeitstelle bereit und in der Lage erklärte. Da er auch die Tätigkeit für die S. AG wie erwähnt unabhängig von der Beschäftigungslage stets in etwa im gleichen Umfang betrieb, indiziert all dies, dass es sich bei der genannten Zweittätigkeit stets – d.h. auch in den Zeiten, als der Beschwerdeführer keiner Haupttätigkeit nachgehen konnte – um eine Nebentätigkeit im Sinne von Art. 23 Abs. 3 AVIG gehandelt hat bzw. wohl noch immer um eine solche handelt. Im Lichte der in Erwägung 2 ff. skizzierten Rechtslage, wonach eine Tätigkeit, welche die normale, übliche Arbeitstätigkeit übersteigt, als nicht versichert und implizit auch nicht beitragswirksam gilt, kann die fragliche Tätigkeit vorliegend auch hinsichtlich der Erfüllung der Beitragspflicht nicht berücksichtigt werden. Kann die Tätigkeit für die S. AG aber nicht beachtet werden, so bleibt es bei einer Beitragszeit während der Rahmenfrist von lediglich neun Monaten, d.h. die Beitragszeit des Beschwerdeführers erweist sich als eindeutig nicht erfüllt, zumal ja für die fragliche Rahmenfrist für die Beitragszeit auch keine anderen Tätigkeiten zur Diskussion stehen.

Betrachtet der Beschwerdeführer insbesondere den Umstand, dass eine beitragspflichtige Tätigkeit allenfalls als Nebentätigkeit und folglich als nicht versichert zu qualifizieren ist, als ungerecht und erwartet er vom Sozialversicherer oder aber vom Versicherungsrichter, die entsprechenden Gesetze, die zu diesem subjektiv als ungerecht empfundenen Ergebnis führen, nicht anzuwenden, ist ihm entgegenzuhalten, dass es nicht in der Kompetenz des Sozialversicherers oder aber des Versicherungsrichters steht, rechtstaatlich und demokratisch korrekt zustande gekommene Gesetze einfach ausser Kraft zu setzen. Ob die beanstandete, allerdings gesetzes- und praxiskonforme Regelung dem Sozialgedanken oder gar dem Volkswillen zuwider laufe, kann offen bleiben. Hingegen kann bei einer rechtsgleichen Gesetzesanwendung mit Sicherheit nicht von Willkür, wie vom Beschwerdeführer behauptet, gesprochen werden.

5.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerdegegnerin die Anspruchsberechtigung des Beschwerdeführers zu Recht verneinte, da dieser bei seiner Anmeldung im April 2011 die Beitragszeit nicht erfüllte. Würdigte die Beschwerdegegnerin, dass nur die Haupttätigkeit beitragswirksam berücksichtigt werden könne, während die Nebentätigkeit nicht versichert sei und deshalb für die Erfüllung der Beitragszeit nicht zu beachten sei, so verletzte sie kein Recht (...). Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet und sie ist vollumfänglich abzuweisen.

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. Januar 2012 S 2011 151

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