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Art. 19 Abs. 1 FamZG

Regeste:

Art. 19 Abs. 1 FamZG: Für die Statusbestimmung als Erwerbstätiger oder Nichter­werbstätiger im Bereich des FamZG ist - trotz des grundsätzlichen Verweises auf die Bestimmungen des AHVG - nicht auf eine ganzjährige Betrachtungsweise abzustel­len, da dies zu rechtsungleicher Gesetzesanwendung führen kann bzw. führt. Da das FamZG monatliche Leistungen vorsieht, ist auch die Statusbestimmung monatlich vorzunehmen.

Aus dem Sachverhalt:

Frau M., geboren 1966, und Erziehungsberechtigte zweier Kinder (Jahrgang 1993 und Jahrgang 2006), ging im Jahre 2011 lediglich in den Monaten Januar bis April einer Erwerbstätigkeit nach und erzielte dabei einen monatlichen Bruttolohn von Fr. 1'200.--. In der restlichen Zeit ging sie keiner Erwerbstätigkeit mehr nach und vermochte auch kein Einkommen zu erzielen. Ab 1. Mai 2011 beantragte Frau M. bei der Familienausgleichskasse die Ausrichtung von Familienzulagen für Nichter­werbstätige. Die Familienausgleichskasse wies das Gesuch im September 2011 mit der Begründung ab, Frau M. gelte nicht als Nichterwerbstätige im Sinne des AHVG. Dagegen erhob die Gesuchstellerin Einsprache, welche am 1. Dezember 2011 im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen wurde, nach Art. 19 Abs. 1 FamZG gelte als Nichterwerbstätiger, wer bei der AHV als nichterwerbstätig erfasst sei. Demzufolge verweise das FamZG auf die Statusregeln des AHV-Rechts. Gemäss Art. 28bis Abs. 1 AHVV würden Personen, die nicht dauernd voll erwerbstätig seien, wie Nichterwerbstätige Beiträge leisten, wenn ihre Beiträge vom Erwerbseinkommen zusammen mit denen des Arbeitgebers in einem Kalenderjahr nicht mindestens die Hälfte des Mindestbeitrages von Fr. 475.-- ausmachten. Als nicht dauernd gelte eine Erwerbstätigkeit, welche während weniger als neun Monaten im Kalenderjahr ausge­übt werde (Wegleitung über die Beiträge der Selbstständigerwerbenden und Nicht­erwerbstätigen in der AHV, IV und EO [WSN] Rz. 2035). Da Frau M. im Jahre 2011 nur von Januar bis April erwerbstätig gewesen sei, gelte sie als nicht dauernd voll erwerbstätig. Allerdings seien die aufgrund ihrer Lohnsumme von Fr. 4'800.-- abge­rechneten Sozialversicherungsbeiträge grösser als die Hälfte des Mindestbeitrages von Fr. 475.--. Da der Status nicht monatlich, sondern für das ganze Kalenderjahr erhoben werde, gelte sie mithin aus AHV-rechtlicher Sicht für das ganze Jahr 2011 als Erwerbstätige und nicht als Nichterwerbstätige. Mit Verwaltungsgerichtsbe­schwerde vom 15. Dezember 2011 beantragte Frau M. die Aufhebung der Verfügung vom September 2011 sowie des Einspracheentscheids vom 1. Dezember 2011. Im Wesentlichen führte sie aus, dass für die Berechtigung zu Familienzulagen die Situa­tion des betreffenden Monats massgebend sei und es könne nicht auf eine jährliche Betrachtungsweise abgestellt werden. Entsprechend müsse sie ab Mai 2011 als nichterwerbstätig gelten. Zum selben Ergebnis komme man, wenn man auf die um­gekehrte zeitliche Abfolge abstelle. Wäre sie nämlich zu Beginn des Jahres nicht er­werbstätig gewesen, hätte sie ohne weiteres Familienzulagen ausgerichtet erhalten. Daran hätte auch die Erwerbstätigkeit in den letzten vier Monaten des Jahres nichts geändert. An der monatlichen Betrachtungsweise ändere auch der im Kanton Zug festgelegte Mindestverdienst nichts. Fakt sei, dass sie seit Mai 2011 kein Einkom­men mehr realisiere. Die Ausgleichskasse stütze sich einzig auf die AHV-Bestim­mungen und lasse die Regelungen des Familienzulagengesetzes ausser Acht. Im Zentrum stehe indes nicht der Status nach AHV-Recht, sondern der Anspruch auf Familienzulagen.

Aus den Erwägungen:

(...)

2.3 Zur Abgrenzung des Status als Erwerbstätige oder Nichterwerbstätige in zeitli­cher Hinsicht äussert der Praxiskommentar von Kieser/Reichmuth, es sei prob­lematisch dass die Statusfrage nach AHVG pro Kalenderjahr ermittelt werde, wäh­rend die Familienzulage monatlich gewährt werde. Ob diese spezifische AHV-rechtli­che Besonderheit der Jahreserfassung dazu führe, dass bei Aufgabe der Erwerbstä­tigkeit im Laufe des Jahres nicht umgehend ein Anspruch auf Familienzulage wegen Nichterwerbstätigkeit entstehe, sei fraglich, denn die Erfassung einer solchen Person als nichterwerbstätige Person erfolge in der AHV nur deshalb nicht, weil hier die Statusfrage allenfalls erst im nächsten Jahr geklärt werde. Der gesetzgeberische Zweck und die Ausgestaltung der Familienzulagen als monatliche Leistung (vgl. Art. 5 FamZG) lege bei solchen Sachverhalten nahe, eine Änderung auch im Laufe des Kalenderjahres zuzulassen. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass bei Aufnahme der Erwerbstätigkeit im Laufe des Kalenderjahres der Anspruch auf Familienzulagen für Erwerbstätige umgehend entstehe, auch wenn zuvor eine Nichterwerbstätigkeit bestanden habe. Ebenso werde die Familienzulage monatsweise gewährt, bis eine nichterwerbstätige Person die ordentliche Altersgrenze erreiche (Kieser/Reich­muth, Praxiskommentar FamZG, Zürich/St. Gallen 2010, Art. 19 N. 37 f.).

3. (...) Getreu dem Wortlaut der Bestimmungen des AHVG bzw. der AHVV zur Statusbestimmung resp. nach den Regeln der Wegleitung zum FamZG würde die Beschwerdeführerin folglich für das ganze Jahr 2011 als erwerbstätig gelten mit der Konsequenz, dass ihr ab Wegfall des Arbeitsverhältnisses, konkret ab Mai 2011, trotz Stellenlosigkeit keine Familienzulagen als Nichterwerbstätige ausgerichtet wer­den könnten. Streitig ist, ob diese Betrachtungsweise, welche für die Festsetzung des Status vom Kalenderjahr ausgeht, hinsichtlich Anspruchsberechtigung auf die monatlichen Familienzulagen eins zu eins übernommen werden kann oder ob nicht vielmehr im Bereich des FamZG auch von einer monatlichen Betrachtungsweise ausgegangen werden muss.

4. Würdigend ist zunächst zu bedenken, dass die Statusbestimmung im AHV-Recht nicht leistungs-, sondern «nur» beitragsrelevant ist, folglich einzig für die Be­stimmung der Grundlagen für den Bezug der Beiträge von Belang ist. Bei der Be­stimmung des AHV-rechtlichen Status als Selbständigerwerbender, Unselbständig­erwerbender oder Nichterwerbstätiger geht es somit allein um die Frage, ob die AHV-Beiträge aufgrund des erzielten Einkommens oder aber aufgrund des Vermögens zu erheben sind. Die Frage wird im Regelfall retrospektiv beurteilt, zumal Beitrags­periode – jedenfalls in den Fällen, in welchen die Abgrenzung als Nichterwerbstätiger nicht eindeutig ist – ohnehin das Kalenderjahr ist. Die AHV-rechtliche Anspruchsbe­rechtigung als solche wird von der Statusfrage nicht im Geringsten berührt. Anders verhält es sich – bei analoger Statusbestimmung auch in zeitlicher Hinsicht – im Be­reich des Familienzulagengesetzes. Dabei ist zunächst zu beachten, dass Personen, die in einem Anstellungsverhältnis stehen und entsprechend von ihrem Arbeitgeber Lohn ausbezahlt erhalten, über diesen auch die nach Art. 5 FamZG monatlichen Familienzulagen ausgerichtet bekommen. Nichterwerbstätigen Personen wird die Familienzulage hingegen für jeden Monat direkt durch die Familienausgleichskasse ausbezahlt. Fällt ein Arbeitsverhältnis zu Beginn eines Kalenderjahres allerdings nach zwei, drei Monaten dahin mit der Konsequenz, dass die betroffene Person als nicht mehr arbeitnehmend gilt, würde sie - (...) nach der jährigen Betrachtungsweise für die Statusbestimmung - fürderhin allenfalls gleichwohl als erwerbstätig gelten. Konsequenz wäre somit, dass sie, weil weder arbeitnehmend noch nichterwerbstätig, für die restlichen Monate des fraglichen Jahres keinen Anspruch auf Familienzulagen mehr erheben könnte. Mithin wäre die Statusfrage jedenfalls bei nicht dauernd Er­werbstätigen sehr wohl leistungswirksam bzw. hätte einen Einfluss auf die An­spruchsberechtigung, dies obwohl der Gesetzgeber den Erhalt von Familienzulagen grundsätzlich nicht von einem Erwerbseinkommen abhängig machen wollte. Im Lichte der zitierten Lehrmeinung von Kieser/Reichmuth ist mit der Beschwerdeführe­rin folglich festzustellen, dass der Gesetzgeber dieses Ergebnis sicherlich nicht wollte. Die Differenzierung zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen sollte jedenfalls eher der Festlegung des jeweiligen Auszahlungsmodus dienen, als über Bestand oder Nichtbestand der Anspruchsberechtigung entscheiden. Auch wollte der Gesetzgeber sicherlich keine Regelung treffen, die zu willkürlichen, einzig durch zeit­liche Faktoren bestimmten Ungleichbehandlungen führt. (...) Mit Kieser/Reichmuth ist alsdann festzustellen, dass man der Ausgestaltung der Familienzulagen als mo­natliche Leistung mit einer auf das Kalenderjahr bezogenen Qualifikation als Er­werbs- oder Nichterwerbstätiger eindeutig nicht gerecht wird. In diesem Zusammen­hang darf daran erinnert werden, dass auch Anfang und Ende der Anspruchsberech­tigung in der Regel nicht mit dem Kalenderjahr in Einklang stehen, sind sie doch von völlig anderen Faktoren abhängig. Vermag der Verweis auf die Statusbestimmung nach AHV-Recht für nicht voll Erwerbstätige durchaus Sinn machen, führt er im Falle nicht dauernd erwerbstätiger Personen hingegen zu ungewollten Ungleichbehand­lungen. (...)

5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich eine ganzjährige Betrachtungs­weise für die Statusbestimmung als Erwerbstätiger oder Nichterwerbs­tätiger im Bereich des FamZG (...) trotz des grundsätzlichen Verweises von Art. 19 Abs. 1 FamZG auf die Bestimmungen des AHVG nicht als richtig erweist, da dies zu rechtsungleicher Gesetzesanwendung führen kann bzw. führt. Da das FamZG mo­natliche Leistungen vorsieht, ist auch die Statusbestimmung monatlich und nicht für das Kalenderjahr vorzunehmen, zumal es ja sicherlich nicht darum gehen soll, ge­wisse Stellenlose ohne Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung einfach von der An­spruchsberechtigung auszuschliessen. Nach dem Gesagten ergibt sich, dass die Be­schwerdeführerin ab 1. Mai 2011 als Nichterwerbstätige zu betrachten ist und als solche – vorbehältlich der übrigen Voraussetzungen des FamZG – Anspruch auf Familienzulagen hat. (...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26.Januar 2012 S 2011 159

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