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Art. 2 Abs. 5 AVE GAV FAR

Regeste:

Art. 2 Abs. 5 AVE GAV FAR – Die  Unterstellung eines Betriebes unter den  AVE GAV FAR bedeutet, dass grundsätzlich dessen ganzes Personal ebenfalls den Bestimmungen des AVE GAV FAR untersteht. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung unterstehen auch Erdsondenbohrunternehmen dem AVE GAV FAR (Erw. 3.1). Aus diesem Grunde ist ein Erdsondenbohrunternehmen auch insbesondere für seine Mechaniker beitragspflichtig, zumal diese auch nicht als technisches Personal im Sinne von Art. 2 Abs. 5 AVE GAV FAR zu qualifizieren sind (Erw. 4 ff.). Die Beiträge sind im vorliegenden Fall ab dem 1. Januar 2011 geschuldet, weil ein in Rechtskraft erwachsenes Urteil des Verwaltungsgerichtes des Kantons Zug die Beklagte bis zum 31. Dezember 2010 von der Beitragspflicht befreite (Erw. 5).

Aus dem Sachverhalt:

Der Schweizerische Baumeisterverband (SBV), die Gewerkschaften GBI bzw. UNIA und SYNA schlossen am 12. November 2002 – im Bestreben, der körperlichen Belastung der Arbeitnehmer im Bauhauptgewerbe Rechnung zu tragen, die damit verbundenen Beschwerden im Alter zu lindern und dem Baustellenpersonal eine finanziell tragbare Frühpensionierung zu ermöglichen – den Gesamtarbeitsvertrag für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe (GAV FAR) ab. Mit Bundesratsbeschluss vom 5. Juni 2003 wurde dieser teilweise allgemeinverbindlich erklärt und trat am 1. Juli 2003 in Rechtskraft. Für die gemeinsame Durchführung des GAV FAR im Sinne des Art. 357b OR haben die Vertragsparteien die Stiftung für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe (nachfolgend: Stiftung FAR) gegründet. Diese ist für den gesamten Vollzug des GAV zuständig und ist insbesondere berechtigt, die notwendigen Kontrollen gegenüber den Vertragsunterworfenen durchzuführen und namens der Vertragsparteien Betreibungen und Klagen zu erheben.

Ab Mai 2005 begann ein Rechtsstreit zwischen der Stiftung FAR und der Y. AG betreffend Beitragspflicht. Während die Stiftung FAR der Ansicht war, dass die Y. AG dem AVE GAV FAR unterstehe, bestritt die Y. AG dies. Da sich die Parteien nicht einigen konnten, reichte die Stiftung FAR am 15. Februar 2007 beim Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden Klage gegen die damals noch im Kanton Nidwalden domizilierte Y. AG ein und beantragte, diese habe für jeden unter den persönlichen Geltungsbereich des AVE GAV FAR fallenden Mitarbeiter für den Zeitraum vom 19. April 2004 bis zum 31. Dezember 2010 Beiträge zu entrichten. Da die Y. AG in der Zwischenzeit ihren Sitz in den Kanton Zug verlegt hatte, überwies das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden mit Urteil vom 2. April 2007 an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug.

Mit Urteil vom 27. Oktober 2011 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zug die Klage der Stiftung FAR ab. Begründend führte es zusammengefasst aus, dass die Bohrungen für Erdwärmesonden dem Betrieb der Y. AG das Gepräge gegeben hätten. Bei Erdwärmesondenbohrungen handle es sich gemäss den zuständigen Zuger Zivilgerichten nicht um das Bauhauptgewerbe und somit auch nicht um Tiefbauarbeiten gemäss Art. 2 Abs. 4 lit. a BRB AVE GAV FAR, was zur Abweisung der Klage geführt habe. Der Entscheid des Verwaltungsgerichtes Zug erwuchs in der Folge – abgesehen vom Kostenpunkt – unangefochten in Rechtskraft.

Mit Urteil vom 15. April 2013 (9C_975/2012, 9C_976/2012) entschied das Bundesgericht, dass Tätigkeiten im Bereich der Erdwärmesondenbohrungen dem Bereich Tiefbau anzurechnen und somit vom betrieblichen Geltungsbereich des BRB AVE GAV FAR bzw. des GAV FAR erfasst seien.

Mit Schreiben vom 22. Juli 2013 forderte die Stiftung FAR von der Y. AG gestützt auf den genannten Bundesgerichtsentscheid vom 15. April 2013 die FAR-Beiträge ab dem 1. Januar 2011 ein und teilte gleichzeitig mit, dass die Inkassostelle FAR Lohnsummenformulare senden werde. Die Y. AG antwortete mit Schreiben vom 24. Juli 2013 und argumentierte, sie sei aufgrund des Urteils des Zuger Verwaltungsgerichtes vom 27. Oktober 2011 nicht dem GAV FAR unterstellt. An ihren Standpunkten hielten die Parteien auch in weiteren Schreiben fest.

Am 30. Oktober 2013 reichte die Stiftung FAR beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug Klage gegen die Y. AG ein, mit folgenden Anträgen: 1.) Es sei festzustellen, dass die Beklagte vollumfänglich dem Gesamtarbeitsvertrag für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe (GAV FAR) untersteht. 2.) Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin folgende FAR-Beiträge zu bezahlen: 5.3 % der AHV-pflichtigen Lohnsumme vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2011 jedes Mitarbeiters, der unter den persönlichen Geltungsbereich des BRB AVE GAV FAR fällt, nebst Zins zu 5 % ab dem Folgejahr; 5 % der AHV-pflichtigen Lohnsumme vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2013 jedes Mitarbeiters, der unter den persönlichen Geltungsbereich des BRB AVE GAV FAR fällt, nebst Zins zu 5 % ab dem jeweiligen Folgejahr. 3.) Die Beklagte sei zu verpflichten, auch in Zukunft FAR-Beiträge abzurechnen. 4.) Es seien sämtliche AHV-Lohnsummenmeldungen seit dem 1. Januar 2011 zu edieren. 5.) Es sei die Klägerin zu berechtigen, ihre Forderung gestützt auf die beantragte Edition der AHV-Lohnsummenmeldungen zu präzisieren. 6.) Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Beklagten.

Aus den Erwägungen:

(...)

3.
3.1 Mit – abgesehen vom Kostenpunkt – unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Urteil vom 27. Oktober 2011 entschied das Verwaltungsgericht des Kantons Zug, dass die Y. AG für die Zeit bis zum 31. Dezember 2010 keine FAR-Beiträge zu entrichten habe bzw. dem Bundesratsbeschluss über die Allgemeinverbindlicherklärung des Gesamtarbeitsvertrages für den flexiblen Altersrückritt im Bauhauptgewerbe (AVE GAV FAR) nicht unterstellt sei, weil es sich – gemäss den Urteilen der Zivilgerichte des Kantons Zug – bei Erdsondenbohrtätigkeiten nicht um das Bauhauptgewerbe und damit auch nicht um Tiefbauarbeiten handle. In einem ähnlichen Fall entschied das Bundesgericht in der Folge jedoch mit Urteil vom 15. April 2013 (9C_975/2012 Erw. 4.3.5), dass Erdsondenbohrtätigkeiten dem Bereich Tiefbau im Sinne von Art. 2 Abs. 4 lit. a AVE GAV FAR zuzurechnen und entsprechende Betriebe somit vom (betrieblichen) Geltungsbereich der allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen des GAV FAR erfasst seien.

3.2 Die Beklagte ist unbestrittenermassen nicht Mitglied beim SBV und fällt daher vertraglich nicht in den Geltungsbereich des GAV FAR. Sie hat sich diesem auch nicht im Sinne von Art. 2 Abs. 3 GAV FAR angeschlossen. Die Geltung des GAV FAR für die Beklagte kann sich daher nur aus dem AVE GAV FAR ergeben (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 30. April 2010, 9C_1033/2009 Erw. 2.1).

(...)

4.
4.1 Die Unterstellung eines Betriebes unter den AVE GAV FAR bedeutet konkret, dass grundsätzlich alle ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – soweit sie nicht einem anderen, spezifischeren GAV unterstehen – ebenfalls den Bestimmungen des AVE GAV FAR unterliegen. Dies ist Ausfluss des Grundsatzes der Tarifeinheit (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 12. März 2001, 4C.350/2000 Erw. 3a). Ob das Personal eines unterstellten Betriebes ihre Arbeit in einer wohltemperierten Werkstatt oder auf einer Wind und Wetter ausgesetzten Baustelle verrichtet, ist für die Unterstellung daher irrelevant. Das Beachten solcher Gegebenheiten im Einzelfalle und die individuelle Abklärung einer jeden AVE GAV FAR Unterstellung wäre schlichtweg nicht umsetzbar, weswegen der Gesetzgeber eine pauschale Lösung gewählt hat. Weil diese pauschale Unterstellung aber zu weit gehen würde, sieht der AVE GAV FAR Ausnahmen vor, welche unter dem persönlichen Geltungsbereich aufgeführt werden. Nachfolgend ist daher zu prüfen, welche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der Beklagten unter den persönlichen Geltungsbereich von Art. 2 Abs. 5 AVE GAV FAR fallen und welche von der Unterstellung ausgenommen werden. Strittig ist vorliegend zum einen, ob die Mechaniker der Beklagten ebenfalls vom persönlichen Geltungsbereich umfasst sind, und zum andern, ob der Arbeitnehmer S., welcher zumindest teilweise auf den Baustellen tätig ist, vom persönlichen Geltungsbereich umfasst wird. Unstrittig sind hingegen die Unterstellung des reinen Baustellenpersonals sowie die Nicht-Unterstellung des leitenden und des Büropersonals.

4.2 Der persönliche Geltungsbereich ist in Art. 2 Abs. 5 AVE GAV FAR wie folgt geregelt: «Die allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen gelten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (unabhängig ihrer Entlöhnungsart), die in den Be-trieben nach Absatz 4 tätig sind, insbesondere für:
a. Poliere und Werkmeister;
b. Vorarbeiter;
c. Berufsleute, wie Maurer, Strassenbauer, Pflästerer usw.;
d. Bauarbeiter (mit oder ohne Fachkenntnisse);
e. Spezialisten wie Maschinisten, Chauffeure, Magaziner und Isoleure sowie die Hilfskräfte;
f. weitere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sofern sie Hilfstätigkeiten in einem dem Geltungsbereich unterstellten Betrieb ausführen.

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterstehen dem GAV FAR ab dem Zeitpunkt, ab dem sie AHV-pflichtig werden. Ausgenommen ist das leitende Personal, das technische und kaufmännische Personal sowie das Kantinen- und Reinigungspersonal eines unterstellten Betriebs.»

4.2.1 Abweichend von Art. 2 Abs. 5 lit. e AVE GAV FAR sieht Art. 3 Abs. 1 lit. e GAV FAR eine Geltung für Spezialisten wie Maschinisten, Chauffeure, Magaziner und Isoleure sowie die Hilfskräfte nur vor, «sofern sie auch dem Geltungsbereich des LMV unterstehen». Aufgrund dieser Diskrepanz legte das Bundesgericht in seinem Urteil vom 7. Dezember 2012 (9C_374/2012 Erw. 2.7.2 ff.) Art. 2 Abs. 5 lit. e AVE GAV FAR aus und kam dabei zum Schluss, dass die Allgemeinverbindlicherklärung eines GAV die Ausweitung seines Geltungsbereichs auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer des betreffenden Wirtschaftszweiges oder Berufes (Art. 1 Abs. 1 AVEG) bezwecke. Nur in diesem Sinne könne die AVE über die Vorgaben des GAV hinausgehen; Verpflichtungen, die von den am GAV beteiligten Sozialpartnern nicht vorgesehen gewesen seien, seien der Allgemeinverbindlichkeit nicht zugänglich. Eine Erweiterung des im GAV FAR definierten persönlichen Geltungsbereichs falle ausserdem mit Blick auf Art. 2 Ziff. 1 AVEG ausser Betracht; dadurch würden denn auch keine Nachteile für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer vermieden werden können. Auch bei der Anwendung von Art. 2 Abs. 5 lit. e AVE GAV FAR sei daher entscheidend, ob die darin genannten Berufsleute dem Geltungsbereich des LMV unterstehen würden.

4.2.2 Der betriebliche Geltungsbereich erstreckt sich gemäss Art. 2 Abs. 3 AVE LMV unter anderem auch auf den Tiefbau bzw. gemäss Art. 2 Abs. 2 lit. a LMV auf den Tiefbau einschliesslich des Spezialtiefbaus. Die Beklagte wird mithin vom betrieblichen Anwendungsbereich des LMV erfasst. In den persönlichen Geltungsbereich fallen nach Art. 2 Abs. 4 AVE LMV sämtliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ausgenommen Poliere und Werkmeister, technisches und administratives Personal sowie Kantinen- und Reinigungspersonal. Artikel 3 Abs. 2 LMV nennt die gleichen Ausnahmen, während in Art. 3 Abs. 1 LMV die Geltung in persönlicher Hinsicht festgelegt wird für (a) Vorarbeiter, (b) Berufsleute wie Maurer, Zimmerleute, Strassenbauer, Pflästerer und (c) Spezialisten wie Maschinisten, Chauffeure, Magaziner, Isoleure und Hilfskräfte, unter Vorbehalt allfällig bestehender Gesamtarbeitsverträge mit anderen Arbeitnehmerorganisationen.

4.2.3 Sowohl bei Art. 3 Abs. 2 LMV als auch bei Art. 5 Abs. 2 lit. e AVE GAV FAR handelt es sich um nicht abschliessende Aufzählungen, in welchen die Mechaniker nicht explizit erwähnt werden. Das Bundesgericht hat diesbezüglich aber bereits festgehalten, dass mit dem Begriff «Spezialisten» absichtlich eine «pauschale Lösung» gewählt worden sei, um das kaum zu bewältigende Konfliktpotential im Zusammenhang mit individuellen Abgrenzungsfragen zu vermeiden (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 7. Dezember 2012, 9C_374/2012 Erw. 2.7.2.2). Insofern handelt es sich auch bei den zum unterstellten Betrieb gehörenden Mechanikern um Spezialisten im Sinne von Art. 3 Abs. 2 LMV und Art. 5 Abs. 2 lit. e AVE GAV FAR. Führt man sich vor Augen, dass selbst Chauffeure vom Geltungsbereich des LMV und des GAV FAR (explizit) umfasst werden, so liegt der Schluss nahe, dass eben auch andere Spezialisten wie vorliegend die Mechaniker von LMV und GAV FAR erfasst werden. Dem Gericht ist im Übrigen nicht bekannt, dass es einen spezifischen GAV für Mechaniker geben würde; dies wurde denn von der Beklagten auch gar nicht vorgebracht. Festzuhalten ist damit, dass auch die Mechaniker der Beklagten vom LMV und vom AVE GAV FAR erfasst werden.

4.3 Es verbleibt nun einzig zu prüfen, ob die als Spezialisten vom Geltungsbereich des AVE GAV FAR grundsätzlich erfassten Mechaniker in casu als «technisches Personal» zu qualifizieren und somit vom persönlichen Geltungsbereich ausgenommen sind oder nicht. Mangels einer näheren Beschreibung oder anderweitigen Grundlagen ist der Begriff «technisches Personal» (Art. 2 Abs. 5 dritter Satz AVE GAV FAR) auszulegen.

4.3.1 Für die Auslegung von Bestimmungen über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen gelten die allgemeinen Grundsätze der Gesetzesauslegung (BGE 127 III 318 Erw. 2a; Urteil des Bundesgerichts vom 8. Oktober 1997, 4C.93/1997 Erw. 3a, in: Jahrbuch des Schweizerischen Arbeitsrechts [JAR] 1998 S. 282 ff.; je mit Hinweisen). Es besteht weder ein Grund für eine besonders restriktive noch für eine besonders weite Auslegung. Durch die Allgemeinverbindlicherklärung sollen die Arbeitsbedingungen der bei Aussenseitern angestellten Arbeitnehmer gesichert, die Sozial- und Arbeitsbedingungen als Faktor des Konkurrenzkampfes ausgeschlossen und dem Gesamtarbeitsvertrag zu grösserer Durchsetzungskraft verholfen werden (Urteile 9C_374/2012 vom 7. Dezember 2012 Erw. 2.3 und 4C.45/2002 vom 11. Juli 2002 Erw. 2.1.2). Die Auslegung des Gesetzes ist auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die von ihm erkennbar getroffenen Wertentscheidungen auszurichten. Ausgangspunkt der Auslegung einer Norm bildet ihr Wortlaut. Vom daraus abgeleiteten Sinne ist jedoch abzuweichen, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass der Gesetzgeber diesen nicht gewollt haben kann (vgl. BGE 136 V 84 Erw. 4.3.2.1). Solche Gründe können sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben (BGE 135 IV 113 Erw. 2.4.2; 135 V 382 Erw. 11.4.1; 127 III 318 Erw. 2b). Zu beachten ist dabei unter anderem das Bedürfnis nach Rechtssicherheit. Wenn der Gesamtarbeitsvertrag seine Schutzfunktion erfüllen soll, muss es für die Parteien leicht erkennbar sein, ob sie ihm unterstehen oder nicht. Diesem Kriterium der leichten Erkennbarkeit einer GAV-Unterstellung kommt indes keine eigenständige Bedeutung zu; vielmehr ist sie im Zusammenhang mit den klassischen Elementen der Gesetzesauslegung zu berücksichtigen (Urteil 9C_975/2012 Erw. 4.3.4 vom 15. April 2013).

4.3.2 Über die Herkunft des Wortes «Technik» finden sich im Duden Angaben aus dem Neulateinischen und aus dem Griechischen. So steht zum Beispiel das griechische Wort «téchnē» für Handwerk, Kunstwerk, Kunstfertigkeit und Wissenschaft. Weiter versteht man gemäss Duden unter Technik etwa die «Gesamtheit der Massnahmen, Einrichtungen und Verfahren, die dazu dienen, die Erkenntnisse der Naturwissenschaften für den Menschen praktisch nutzbar zu machen» oder eine «besondere, in bestimmter Weise festgelegte Art, Methode des Vorgehens, der Ausführung von etwas». Vorliegend ist dabei auf die erstere Umschreibung abzustellen, handelt es sich bei «Ausführung von etwas» doch um eine Beschreibung, die schlichtweg auf jeden Arbeitnehmer zutreffen würde. Die erstgenannte und in casu zu bevorzugende Umschreibung des Dudens hingegen setzt den Begriff Technik insbesondere in Zusammenhang mit Erkenntnissen aus den Naturwissenschaften. Im allgemeinen Sprachgebrauch bringt man Technik vor allem mit Technologie und Elektronik in Verbindung, was sich nicht vollständig mit der Umschreibung des Dudens deckt. Folglich kann – selbst mit der weniger weitgehenden Beschreibung – anhand des Wortlautes nicht klar definiert werden, welches Personal als «technisch» zu gelten hat und welches nicht. Der Begriff erweist sich mithin als zu weitgehend, als dass man anhand der grammatikalischen Auslegung zu einem klaren Ergebnis kommen könnte.

4.3.3 Um die fragliche Ausnahmeklausel teleologisch und historisch nachvollziehen zu können, ist die Präambel des GAV FAR heranzuziehen. Gemäss dieser ging es beim GAV FAR darum, «der körperlichen Belastung der Arbeitnehmer im Bauhauptgewerbe Rechnung zu tragen und die damit verbundenen Beschwerden im Alter zu lindern und dem Baustellenpersonal eine finanziell tragbare Frühpensionierung zu ermöglichen». Indem das Gesetz das technische Personal explizit nicht dem GAV FAR unterstellt, kann darauf geschlossen werden, dass das technische Personal einer (wesentlich) geringeren körperlichen Belastung ausgesetzt ist und es deswegen eine Frühpensionierung aus gesundheitlichen Gründen auch nicht nötig hat. Es muss sich somit um Tätigkeiten handeln, welche sich sowohl betreffend die körperliche Belastung als auch betreffend die allgemeinen Arbeitsbedingungen – man denke etwa an das Unfallrisiko – deutlich vom gewöhnlichen Baustellenpersonal unterscheiden. Das Bundesgericht hat andererseits aber auch schon festgehalten, dass das Ausmass der körperlichen Belastung einer bestimmten Arbeit alleine noch kein Kriterium für eine (Nicht-)Unterstellung sei (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 7. Dezember 2012, 9C_374/2012 Erw. 2.7.2.2). Auch die Tatsache, dass mit dem Wort «Spezialisten» in Art. 3 Abs. 1 lit. e GAV FAR eine pauschale Lösung getroffen wurde, weist darauf hin, dass das Ausmass der körperlichen Belastung alleine kein Kriterium für eine (Nicht-)Unterstellung sein kann. Im Übrigen findet sich die Ausnahmeklausel für das technische Personal auch im LMV, wobei die Auslegung auch dort gleich ausfallen würde. Mangels Unterstellung unter den LMV ist davon auszugehen, dass das technische Personal weniger schutzbedürftig ist und deswegen nicht auf Gesamtarbeitsverträge etc. angewiesen ist.

4.3.4 In systematischer Hinsicht ist festzuhalten, dass das technische Personal im selben Satz wie das leitende Personal und das kaufmännische Personal genannt wird. Im LMV wird es zusammen mit dem administrativen Personal genannt. Sowohl leitendes, kaufmännisches als auch administratives Personal arbeitet nicht handwerklich. Das leitende Personal ist zwar teilweise auf Baustellen anzutreffen (z.B. ein Bauführer), doch ist es dort nicht handwerklich – sondern vielmehr leitend, planerisch oder organisatorisch – tätig. Insofern unterscheidet es sich betreffend körperliche Belastung und Unfallrisiko nicht wesentlich vom kaufmännischen und administrativen Personal, welches grundsätzlich im Büro tätig ist. Das technische Personal muss folglich eine gewisse Ähnlichkeit zur Arbeitsweise bzw. der Arbeitsbelastung des leitenden, kaufmännischen und administrativen Personals aufweisen, wird es vom Gesetz doch an gleicher Stelle genannt. Daraus kann abgeleitet werden, dass das vom Gesetz genannte «technische Personal» ebenfalls nicht handwerklich tätig ist.

Das Kantinen- und Reinigungspersonal ist zwar gewissermassen auch handwerklich tätig, doch handelt es sich dabei um Berufe, welche mit dem Bauhauptgewerbe grundsätzlich nichts zu tun haben. Zumindest das Reinigungspersonal untersteht zudem einem eigenen GAV, sodass dessen Nennung in LMV und GAV FAR rein deklaratorisch ist. Mithin liegt es in der Natur der Sache, dass sowohl das Kantinen- als auch das Reinigungspersonal nicht vom flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe umfasst werden. Daraus lässt sich für das vorliegende Verfahren indes nichts ableiten.

(...)

4.3.6 Im Übrigen kann die Beklagte aus ihrem Vorbringen, wonach eine GAV-Unterstellung leicht erkennbar sein müsse, nichts zu ihren Gunsten ableiten. Diesbezüglich wurde bereits ausgeführt, dass dem Kriterium der leichten Erkennbarkeit keine eigene Bedeutung zukomme und sie im Zusammenhang mit den anderen Auslegungselementen zu berücksichtigen sei (vgl. oben Erw. 4.3.1; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts vom 15. April 2013, 9C_975/2012 Erw. 4.3.4). Jedenfalls kann aus dem blossen Umstand, dass über die einen Betrieb prägende Tätigkeit und über die Frage, ob eine bestimmte Berufskategorie in den Geltungsbereich gemäss Art. 2 Abs. 5 AVE GAV FAR fällt, unterschiedliche Auffassungen vertreten werden können, nicht auf eine fehlende Unterstellung geschlossen werden. Dies gilt auch unter dem Aspekt der Rechtssicherheit: Einerseits liegen Abgrenzungsfragen in der Natur der Sache und anderseits hätte es ansonsten ein Beitragspflichtiger in der Hand, sich der Beitragspflicht allein mit deren entsprechend begründeten Bestreitung zu entziehen, was nicht Sinn und Zweck einer Allgemeinverbindlicherklärung gesamtarbeitsvertraglicher Bestimmungen (vgl. etwa Art. 110 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 [BV, SR 101]; Art. 1 AVEG) sein kann. Im Übrigen war vorliegend zumindest die Möglichkeit einer AVE GAV FAR Unterstellung leicht erkennbar, sind doch grundsätzlich alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines vom betrieblichen Geltungsbereich umfassten Betriebes FAR-beitragspflichtig (vgl. Erw. 4.1). Weiter argumentiert die Beklagte, dass die grammatikalische Auslegung gegen eine Unterstellung spreche, weil die ETH Zürich die Mechaniker explizit zum technischen Personal zähle und auch online Stellenbörsen unter dem Suchbegriff «technisches Personal» Mechanikerstellen angeben würden. Auch dieser Argumentation kann indes nicht gefolgt werden, hat sich doch bereits erwiesen (Erw. 4.3.2), dass die grammatikalische Auslegung in casu keine stichhaltigen Rückschlüsse zulässt, weil der Wortlaut zu weitgehend ist. Es erstaunt daher nicht, dass andere Institute oder Stellenbörsen den Begriff anders definieren. Dies jedoch ändert nichts an der Tatsache, dass vorliegend auf den Wortlaut alleine nicht abgestellt werden kann; vielmehr sind die weiteren Auslegungselemente zur weiteren Präzisierung des Begriffes heranzuziehen.

4.3.7 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass es sich bei den Mechanikern der Beklagten nicht um «technisches Personal» im Sinne von Art. 2 Abs. 5 AVE GAV FAR handelt. Mithin werden auch die Mechaniker vom persönlichen Geltungsbereich der AVE GAV FAR umfasst und sie unterstehen folglich auch der FAR-Beitragspflicht.

(...)

5. Strittig ist weiter, ab welchem Datum die FAR-Beiträge zu entrichten sind. Die Beklagte führte aus, dass das Urteil des Verwaltungsgerichtes des Kantons Zug erst im Jahr 2012 rechtskräftig geworden sei, weswegen die Beiträge nicht schon für das Jahr 2011 geschuldet sein können. Diese Behauptung ist insoweit richtigzustellen, als dass das kantonale Urteil – mit Ausnahme der Frage der Parteientschädigung – bereits im Jahr 2011 rechtskräftig geworden ist. Im Übrigen ist es so, dass nur die Beitragspflicht bis zum 31. Dezember 2010 Gegenstand des Entscheides vom 27. Oktober 2011 (S 2007 51) war. Demgegenüber richtet sich der zeitliche Geltungsbereich der AVE GAV FAR nach deren Art. 5. Danach erstreckte er sich vom 1. Juli 2003 bis 30. Juni 2008. Mit Bundesratsbeschlüssen vom 26. Oktober 2006 (BBl 2006 8865), 1. November 2007 (BBl 2007 7881) und 6. Dezember 2012 (BBl 2012 3076) wurde die Geltungsdauer ohne Unterbruch bis zum 31. Dezember 2016 verlängert. Der GAV FAR ist somit auch für die vorliegend relevante Zeitperiode noch in Kraft und anwendbar. In Anbetracht der Tatsache, dass der GAV FAR allgemeinverbindlich erklärt wurde, ihm gemäss Bundesgericht auch Betriebe wie derjenige der Beklagten unterliegen und die Beklagte die Unterstellung grundsätzlich anerkennt, ist erstellt, dass die Beklagte grundsätzlich schon seit jeher beitragspflichtig gewesen wäre. Der einzige Grund, weswegen die Beklagte bislang keine Beiträge entrichten musste, war das – mit Ausnahme der Frage der Parteientschädigung – unangefochten in Rechtskraft erwachsene Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 27. Oktober 2011 (S 2007 51). Das Urteil hatte die Zeitperiode ab dem 1. Januar 2011 jedoch nicht zum Gegenstand, sodass ab diesem Tag kein Urteil mehr vorliegt, welches die Beklagte von der Beitragspflicht befreien würde. Insofern ist ein Beginn der FAR-Beitragspflicht für die Beklagte per 1. Januar 2011 naheliegend. Die Beklagte bestreitet diesen Zeitpunkt denn auch lediglich pauschal bzw. überhaupt nicht (vgl. Stellungnahme des Rechtsvertreters der Beklagten vom 27. März 2014) und bringt somit keine stichhaltigen Gründe vor, weshalb für den Beginn der Unterstellung ein anderer Zeitpunkt herangezogen werden müsste. Im Übrigen kann die Beklagte nichts für sich ableiten, wenn sie die rückwirkende Einforderung der Beitragszahlungen für unzulässig hält. Die Beitragserhebung ist gestützt auf die gesetzeskonforme Publikation des AVE GAV FAR zulässig, sobald die entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Es handelt sich vorliegend ausserdem auch nicht um eine unzulässige Rückwirkung, geht es doch einzig darum, einen bestehenden Anspruch nachträglich durchzusetzen (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 7. Dezember 2012, 9C_374/2012 Erw. 3.1.1). Festgehalten werden kann somit, dass die Beklagte während dem gesamten im vorliegenden Verfahren relevanten Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2012 dem AVE GAV FAR bzw. der FAR-Beitragspflicht unterstand und dies im Übrigen – unter Vorbehalt wesentlicher Veränderungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht – auch nach diesem Zeitpunkt tun wird.

6.
6.1 Nach dem Gesagten ist erstellt, dass die Beklagte ab dem 1. Januar 2011 FAR-beitragspflichtig ist. Vom persönlichen Geltungsbereich umfasst werden auch die Mechaniker der Beklagten, nicht jedoch S., welcher zum leitenden Personal zu zählen ist. Die Klägerin dringt somit mit ihren Anträgen, wonach die Beklagte für die Jahre 2011 und 2012 FAR-Beiträge für ihr Baustellenpersonal und die Mechaniker zu entrichten habe, grossmehrheitlich durch.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. August 2014 S 2013 153

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