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Art. 2 Abs. 5 AVE GAV FAR
Art. 4 ATSV; Art. 43 Abs. 1 ATSG

Art. 6 MVG

Regeste:

Art. 6 MVG – Der adäquate  Kausalzusammenhang zwischen einem  Knalltrauma und einem subjektiven Tinnitus (Rückfall/Spätfolge) beurteilt sich – sofern kein Schleudertrauma, eine äquivalente Verletzung der HWS oder ein Schädelhirntrauma vorliegt – nach der vom Bundesgericht mit BGE 115 V 133 entwickelten Methode (sogenannte Psycho-Praxis); Verneinung der Adäquanz im konkreten Fall.

Aus dem Sachverhalt:

Beim Versicherten A., geboren (...) 1960, wurde nach einem Gefechtschiessen am 30. Juli 1980 in der RS durch Dr. med. B., Spezialarzt FMH für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten, ein Tinnitus rechts diagnostiziert. Nachdem der Tinnitus trotz Schiess-Dispens während der restlichen RS und Behandlung mit Trental 400 persistierte, meldete Dr. B. A. am 6. Januar 1981 bei der Militärversicherung an. Die Militärversicherung anerkannte am 23. Januar 1981 ihre Leistungspflicht und wies A. an, sein Gehör künftig bei Schiessübungen mit einem Schalenschutzgerät zu schützen. Am 11. Oktober 2010 meldete sich A. erneut bei der Militärversicherung und teilte mit, die Beschwerden (verstärkte Ohrgeräusche und Schlafstörungen) hätten in den letzten zwei Jahren zugenommen, weshalb er sich untersuchen lassen wolle. Am 21. November 2011 erfolgte die formelle Anmeldung als Rückfall/Spätfolge. Gestützt auf eine Stellungnahme von Kreisarzt Dr. med. C., Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates FMH, teilte die Militärversicherung A. mit Schreiben vom 29. Februar 2012 mit, es handle sich beim heutigen Tinnitus rechts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit um eine Spätfolge des während des Dienstjahres 1980 erlittenen Knalltraumas. Demgegenüber handle es sich beim von der behandelnden Ärztin ebenfalls diagnostizierten Zähneknirschen (Bruxismus) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht um eine Spätfolge des Knalltraumas. Daraufhin reichte A. am 5. Juni 2012 Rechnungen für im Zeitraum von Januar bis März 2012 erfolgte osteopathische Behandlungen ein, welche ihm von der behandelnden HNO-Ärztin verschrieben worden waren. Die Militärversicherung lehnte die Kostenübernahme für die Osteopathiebehandlungen mit Schreiben vom 11. Juni 2012 sowie Verfügung vom 30. Juli 2012 ab mit der Begründung, Osteopathiebehandlungen würden die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) geforderten Voraussetzungen der Wirtschaftlich-, Zweckmässig- und Wirksamkeit (WZW-Formel), welche auch für die Militärversicherung anwendbar sei, nicht erfüllen. Es handle sich nicht um eine Grundversicherungsleistung gemäss Krankenversicherungsgesetz. Aus diesem Grund könne die Militärversicherung die Kosten nicht übernehmen. Eine gegen die Verfügung vom 30. Juli 2012 erhobene Einsprache wies die SUVA, Abteilung Militärversicherung, mit Einspracheentscheid vom 2. Oktober 2013 ab (Dispositiv-Ziffer 1) und verfügte, die Haftung der Militärversicherung für den 2011 angemeldeten Tinnitus werde abgelehnt (Dispositiv-Ziffer 2) und die Kosten für die Osteopathiebehandlung würden nicht durch die Militärversicherung übernommen (Dispositiv-Ziffer 3). Begründend wird im Einspracheentscheid ausgeführt, Facharzt Prof. D. sei nach langjähriger Praxis und Gutachten zur Erkenntnis gelangt, dass die Evolution einer knalltraumatischen Gehörschädigung nicht wahrscheinlich sei. Ein solcher Gehörschaden nehme nach den Untersuchungen von Prof. D. in der Folgezeit nicht mehr zu. Eine spätere Verschlechterung des Gehörs werde daher nicht durch das Knalltrauma bewirkt, sondern beruhe ausschliesslich auf anderen Ursachen. Der nachträgliche Hörverlust sei somit keine Spätfolge des initialen Knalltraumas. Dies treffe auch vorliegend zu. (...). Selbst wenn aber eine Haftung vorläge, handle es sich bei der Osteopathiebehandlung, welche weder von einem Arzt noch von einem Chiropraktor vorgenommen worden sei, nicht um eine vom Gesetzgeber auf der vorgegebenen Liste der kostenpflichtigen Leistungen aufgeführte Leistung. Deshalb könne die Militärversicherung, welche sich wie die Krankenversicherer an dieser Liste zu orientieren habe, die Osteopathiebehandlung von A. nicht übernehmen.

Gegen diesen Einspracheentscheid erhob A. am 3. November 2013 (Datum der Postaufgabe) Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragte, die am 29. Februar 2012 von der Militärversicherung anerkannte Haftung für die Folgen des Schiessunfalles von 1980 sei zu bestätigen und die 2010/ 2011 gemeldeten Beschwerden seien als Folgen des Schiessunfalls von 1980 anzuerkennen.

Aus den Erwägungen:

(...)

2.
2.1 Gemäss Art. 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Militärversicherung vom 19. Juni 1992 (MVG, SR 833.1) erstreckt sich die Militärversicherung auf jede Gesundheitsschädigung, die während des Dienstes in Erscheinung tritt und gemeldet oder sonstwie festgestellt wird. Nach Art. 5 Abs. 2 MVG haftet die Militärversicherung nicht, wenn sie den Beweis erbringt, dass die Gesundheitsschädigung sicher vordienstlich ist oder sicher nicht während des Dienstes verursacht werden konnte (lit. a.), und dass diese Gesundheitsschädigung sicher während des Dienstes weder verschlimmert noch in ihrem Ablauf beschleunigt worden ist (lit. b). Erbringt die Militärversicherung nur den nach Absatz 2 Buchstabe a geforderten Beweis, dagegen nicht denjenigen nach Absatz 2 Buchstabe b, so haftet sie für die Verschlimmerung der Gesundheitsschädigung (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 MVG). Der nach Absatz 2 Buchstabe b geforderte Beweis gilt auch für die Bemessung des versicherten Schadens (Art. 5 Abs. 3 letzter Satz MVG). Dies bedeutet, dass die Haftung der Militärversicherung erst dann erlischt, wenn auch die Verschlimmerung sicher behoben ist (BGE 105 V 225 Erw. 2).

2.2 Wird die Gesundheitsschädigung erst nach Schluss des Dienstes durch einen Arzt, Zahnarzt oder Chiropraktor festgestellt und bei der Militärversicherung angemeldet oder werden Spätfolgen oder Rückfälle geltend gemacht, so haftet die Militärversicherung nur, wenn die Gesundheitsschädigung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit während des Dienstes verursacht oder verschlimmert worden ist oder wenn es sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit um Spätfolgen oder Rückfälle einer versicherten Gesundheitsschädigung handelt (Art. 6 MVG). Bei einem Rückfall handelt es sich um das Wiederaufflackern einer vermeintlich geheilten Krankheit, so dass es zu ärztlicher Behandlung, möglicherweise sogar zu (weiterer) Arbeitsunfähigkeit kommt; von Spätfolgen spricht man, wenn ein scheinbar geheiltes Leiden im Verlaufe längerer Zeit organische oder psychische Veränderungen bewirkt, die zu einem andersgearteten Krankheitsbild führen können. Auch Rückfalle und Spätfolgen schliessen somit begrifflich an ein bestehendes «Unfallereignis» an (BGE 123 V 137 Erw. 3a = Pra 1998 Nr. 30 S. 190 ff. = SVR 1998 MV Nr. 1; BGE 118 V 293 Erw. 2c; BGE 105 V 31 Erw. 1c).

2.3 Der Unterschied zwischen der Haftung gemäss Art. 5 MVG und Art. 6 MVG besteht darin, dass im ersten Fall der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Einwirken während des Dienstes und der Gesundheitsschädigung vermutet wird und nur durch den gegenteiligen Sicherheitsbeweis ausgeschlossen werden kann, während im zweiten Fall das Vorliegen adäquat kausaler Folgen von Einwirkungen während des Dienstes mit dem im Sozialversicherungsrecht allgemein erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erwiesen sein muss (sog. Wahrscheinlichkeitsbeweis; BGE 111 V 370 Erw. 1b; BGE 105 V 225 Erw. 2).

2.4
2.4.1 Die Leistungspflicht des Militärversicherers für einen während des Dienstes erlittenen Unfall setzt einen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden voraus (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_1040/ 2012 vom 15. März 2013 Erw. 2 mit Hinweisen). Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhangs sind alle Umstände, ohne deren Vorhandensein der eingetretene Erfolg nicht als eingetreten oder nicht als in der gleichen Weise beziehungsweise nicht zur gleichen Zeit eingetreten gedacht werden kann. Entsprechend dieser Umschreibung ist für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht erforderlich, dass ein Unfall die alleinige oder unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist; es genügt, dass das schädigende Ereignis zusammen mit anderen Bedingungen die körperliche oder geistige Integrität der versicherten Person beeinträchtigt hat, der Unfall mit andern Worten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch die eingetretene gesundheitliche Störung entfiele (BGE 129 V 177 Erw. 3.1, 402 Erw. 4.3.1, 123 V 45 Erw. 2b, 119 V 335 Erw. 1, 118 V 286 Erw. 1b, je mit Hinweisen). Ob zwischen einem schädigenden Ereignis und einer gesundheitlichen Störung ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht, ist eine Tatfrage, worüber die Verwaltung beziehungsweise im Beschwerdefall das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu befinden hat. Die blosse Möglichkeit eines Zusammenhangs genügt für die Begründung eines Leistungsanspruches nicht (BGE 129 V 177 Erw. 3.1, 119 V 335 Erw. 1, 118 V 286 Erw. 1b, je mit Hinweisen). Als adäquate Ursache eines Erfolges hat ein Ereignis nach der Rechtsprechung dann zu gelten, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Eintritt dieses Erfolges also durch das Ereignis allgemein als begünstigt erscheint (BGE 125 V 456 Erw. 5a, 123 V 98 Erw. 3d, 139 Erw. 3c, 122 V 415 Erw. 2a, 121 V 45 Erw. 3a mit Hinweisen; RKUV 1997 Nr. U 272 S. 172 Erw. 3a).

2.4.2 Um zu entscheiden, ob zwischen dem Unfall und einer psychischen Störung ein adäquater Kausalzusammenhang besteht, sind in der Militärversicherung dieselben Grundsätze anzuwenden, die von der Rechtsprechung im Unfallversicherungsbereich entwickelt worden sind. Im Sozialversicherungsrecht spielt die Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der sich aus dem natürlichen Kausalzusammenhang ergebenden Haftung des Militärversicherers im Bereich klar ausgewiesener organischer Unfallfolgen praktisch keine Rolle, da sich hier die adäquate weitgehend mit der natürlichen Kausalität deckt. Anders verhält es sich bei natürlich unfallkausalen, aber organisch nicht objektiv ausgewiesenen Beschwerden. Hier ist bei der Beurteilung der Adäquanz vom augenfälligen Geschehensablauf auszugehen, und es sind je nachdem weitere unfallbezogene Kriterien einzubeziehen. Nach der für psychische Fehlentwicklungen nach Unfall erarbeiteten sogenannten Psycho-Praxis werden diese Adäquanzkriterien unter Ausschluss psychischer Aspekte geprüft, während nach der bei Schleudertraumen und äquivalenten Verletzungen der HWS sowie Schädel-Hirntraumen anwendbaren sogenannten Schleudertrauma-Praxis auf eine Differenzierung zwischen physischen und psychischen Komponenten verzichtet wird (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_1040/2012 vom 15. März 2013 Erw. 2 mit Hinweisen).

2.4.3 Das Bundesgericht bereinigte die bisher zur Unfallkausalität des Tinnitus ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung in BGE 138 V 248. Es führte in Erw. 5.7.2 unter Hinweis auf die medizinische Lehre aus, dass zwischen sog. objektivem und subjektivem Tinnitus zu unterscheiden sei. Der objektive Tinnitus bezeichne ein Ohrgeräusch, welches aufgrund pathologisch-anatomischer Veränderungen entstehe und grundsätzlich auch für Aussenstehende – allenfalls mit technischen Hilfsmitteln – hörbar werde. Meist handle es sich um gefässreiche Missbildungen, Tumore oder um muskulär bedingte Schallgeräusche. Der subjektive Tinnitus werde einzig durch den Betroffenen gehört und stelle die weitaus häufigste Form dar. Unter Berücksichtigung der medizinischen Lehrmeinungen könne an der Annahme, subjektiver Tinnitus sei ein körperliches Leiden oder zumindest (zwingend) auf eine körperliche Ursache zurückzuführen, nicht festgehalten werden. Auch lasse sich nicht vom Schweregrad eines Tinnitus auf eine organische Unfallfolge als Ursache schliessen. Das schliesse zwar nicht aus, dass ein Tinnitus in einer organischen Unfallfolge begründet sein könne. Es bestehe aber keine Rechtfertigung, bei einem Tinnitus, welcher im Einzelfall nicht ausgewiesenermassen auf eine solche Unfallfolge zurückzuführen sei, auf das Erfordernis einer besonderen Adäquanzprüfung zu verzichten. Anders zu verfahren, würde kausalrechtlich einer sachlich und rechtlich nicht begründbaren Bevorteilung des Tinnitus gegenüber anderen organisch nicht objektiv ausgewiesenen Beschwerdebildern entsprechen (Erw. 5.10).

2.4.4 Demzufolge ist zur Beurteilung der Unfallkausalität eines Tinnitus – sofern nicht ein Schleudertrauma, eine äquivalente Verletzung der HWS oder ein Schädel-Hirntrauma vorliegt – die mit BGE 115 V 133 entwickelte Methode (sog. Psycho-Praxis) heranzuziehen (vgl. auch BGE 8C_498/2011 vom 3. Mai 2012 Erw. 6; BGE 8C_1040/2012 vom 15. März 2013 Erw. 4.2.1). Demnach ist zunächst zu ermitteln, ob der Unfall als leicht oder als schwer zu betrachten ist oder ob er dem mittleren Bereich angehört. Der adäquate Kausalzusammenhang zwischen Unfall und gesundheitlicher Beeinträchtigung ist bei leichten Unfällen in der Regel ohne weiteres zu verneinen und bei schweren Unfällen ohne weiteres zu bejahen, wogegen sich die Frage, ob zwischen Unfall und Folgen ein adäquater Kausalzusammenhang besteht, bei Unfällen des mittleren Bereichs nicht aufgrund des Unfalles allein schlüssig beantworten lässt. Es sind daher weitere, objektiv erfassbare Umstände, welche unmittelbar mit dem Unfall im Zusammenhang stehen oder als direkte beziehungsweise indirekte Folgen davon erscheinen in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen. Als wichtigste Kriterien sind zu nennen:

  • besonders dramatische Begleitumstände oder besondere Eindrücklichkeit des Unfalls
  • die Schwere oder besondere Art der erlittenen Verletzungen, insbesondere ihre erfahrungsgemässe Eignung, psychische Fehlentwicklungen auszulösen
  • ungewöhnlich lange Dauer der ärztlichen Behandlung
  • körperliche Dauerschmerzen
  • ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert
  • schwieriger Heilungsverlauf und erhebliche Komplikationen
  • Grad und Dauer der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit (BGE 115 V 133 Erw. 6c/aa):

Diese Kriterien werden unter Ausschluss psychischer Aspekte geprüft bzw. einzig die physischen Komponenten sind zu berücksichtigen (vgl. U 394/06 vom 19. Februar 2008 Erw. 2.1 und 6.1). Der Einbezug sämtlicher objektiver Kriterien in die Gesamtwürdigung ist nicht in jedem Fall erforderlich. Je nach den konkreten Umständen kann für die Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs ein einziges Kriterium genügen. Dies trifft einerseits dann zu, wenn es sich um einen Unfall handelt, welcher zu den schwereren Fällen im mittleren Bereich zu zählen oder sogar als Grenzfall zu einem schweren Unfall zu qualifizieren ist (vgl. RKUV 1999 Nr. U 346 S. 428; 1999 Nr. U 335 S. 207 ff.; 1999 Nr. U 330 S. 122 ff.; SVR 1996 UV Nr. 58). Anderseits kann im gesamten mittleren Bereich ein einziges Kriterium genügen, wenn es in besonders ausgeprägter Weise erfüllt ist, wie z.B. eine auffallend lange Dauer der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit infolge schwierigen Heilungsverlaufes. Kommt keinem Einzelkriterium besonderes beziehungsweise ausschlaggebendes Gewicht zu, so müssen mehrere unfallbezogene Kriterien herangezogen werden. Dies gilt umso mehr, je leichter der Unfall ist. Handelt es sich beispielsweise um einen Unfall im mittleren Bereich, der aber dem Grenzbereich zu den leichten Unfällen zuzuordnen ist, müssen die weiteren zu berücksichtigenden Kriterien in gehäufter oder auffallender Weise erfüllt sein, damit die Adäquanz bejaht werden kann. Diese Würdigung des Unfalles zusammen mit den objektiven Kriterien führt zur Bejahung oder Verneinung der Adäquanz. Damit entfällt die Notwendigkeit, nach andern Ursachen zu forschen, die möglicherweise die psychisch bedingte Erwerbsunfähigkeit mitbegünstigt haben könnten (BGE 115 V 133 Erw. 6c/bb, vgl. auch BGE 120 V 352 Erw. 5b/aa; RKUV 2001 Nr. U 442 S. 544 ff.; Nr. U 449 S. 53 ff.; 1998 Nr. U 307 S. 448 ff.; 1996 Nr. U 256 S. 215 ff.; SVR 1999 UV Nr. 10 Erw. 2).

(...)

4. Die vorliegende Streitsache dreht sich demnach um die Frage, ob der im Jahr 2011 als Rückfall/Spätfolge angemeldete Tinnitus auf das im Jahr 1980 erlittene Knalltrauma zurückzuführen ist oder nicht. Nachdem vorliegend unzweifelhaft ein jahrelanges behandlungsfreies Intervall gegeben ist und die Militärversicherung seit spätestens 1981 (letztes in den Akten liegendes Dokument zum Knalltrauma vom 30. Juli 1980 datiert vom 23. Januar 1981) keine Leistungen erbracht hat, richtet sich die Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin nach den Grundsätzen von Art. 6 MVG.

(...)

5. Fest steht in casu, dass es sich beim erstmals nach dem Knalltrauma im Jahr 1980 durch den Beschwerdeführer festgestellten Tinnitus um einen sog. subjektiven Tinnitus handelt; mithin kein organisches Korrelat vorliegt. Die Akten geben auch keinerlei Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführer eine die Anwendung der sog. Schleudertrauma-Praxis rechtfertigende Verletzung – ein Schleudertrauma, eine äquivalente Verletzung der HWS oder ein Schädel-Hirntrauma – erlitten hat; der hier diagnostizierte Tinnitus allein vermag die Anwendung der Schleudertrauma-Praxis nicht zu rechtfertigen (BGE 8C_498/ 2011 vom 3. Mai 2012 Erw. 6.1). Der adäquate Kausalzusammenhang des Tinnitus zum im Jahr 1980 erlittenen Knalltrauma ist demzufolge nach der sog. Psycho-Praxis zu prüfen. Ergibt diese Prüfung, dass die Adäquanz zu verneinen ist, kann die Frage, ob ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht, offen bleiben.

5.1 Ausgangspunkt der Adäquanzbeurteilung bildet das (objektiv erfassbare) Unfallereignis. Massgebend für die Beurteilung der Unfallschwere ist der augenfällige Geschehensablauf mit den sich dabei entwickelnden Kräften (SVR 2010 UV Nr. 3 Erw. 9.1 und 2008 UV Nr. 8 Erw. 5.3.1), nicht aber – wie vom Beschwerdeführer irrtümlicherweise angenommen – die für den Versicherten aufgrund des Unfalls vorhandenen (vorliegend akustischen) Beeinträchtigungen. Die Beschwerdegegnerin ging beim vom Beschwerdeführer im Jahr 1980 erlittenen Knalltrauma von einem mittelschweren Ereignis aus. Ob diese Einstufung zutreffend ist, oder ob es sich lediglich um ein banales bzw. leichtes oder um ein mittelschweres, im Grenzbereich zu den leichten Unfällen stehendes Ereignis handelte, spielt für den Ausgang des vorliegenden Prozesses keine Rolle und kann deshalb offen gelassen werden: Wie noch aufzuzeigen bleibt, kam die Beschwerdegegnerin nämlich zu Recht zum Schluss, dass weder ein einzelnes Adäquanzkriterium in besonders ausgeprägter Weise gegeben ist noch die massgebenden Kriterien in gehäufter oder besonders auffallender Weise erfüllt sind.

5.2 Bei der Prüfung der Adäquanzkriterien nach der Psycho-Praxis sind nach dem Gesagten lediglich die physischen, nicht aber die objektiv nicht nachweisbaren Komponenten – wozu auch der subjektive Tinnitus gehört – zu berücksichtigen. Das Kriterium der besonders dramatischen Begleitumstände oder der besonderen Eindrücklichkeit des Unfalls ist vorliegend nicht gegeben. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist auch bei diesem Punkt vom Ereignis selber auszugehen, und nicht etwa von den nach dem Unfall eingetretenen Beeinträchtigungen akustischer Natur. Die Kriterien der Schwere und besonderen Art der erlittenen Verletzungen sowie der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung können ohne weiteres verneint werden, da beim Beschwerdeführer keine somatisch begründbaren Beschwerden vorlagen. Körperliche Dauerschmerzen, eine ärztliche Fehlbehandlung oder ein schwieriger Heilungsverlauf/ erhebliche Komplikationen lagen nicht vor. Nachdem keine physische Beeinträchtigung vorlag, kann auch das Kriterium des Grades und der Dauer der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit ohne weiteres verneint werden. Zusammenfassend ist im vorliegenden Fall keines der Adäquanzkriterien gegeben. Die Beschwerdegegnerin hat den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem im Jahr 1980 erlittenen Knalltrauma und dem heute geltend gemachten Tinnitus zu Recht verneint. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob es im vorliegenden Fall – entgegen der medizinischen Beurteilung von Dr. D. – tatsächlich auch am natürlichen Kausalzusammenhang fehlt, wie dies von der Beschwerdegegnerin im angefochtenen Einspracheentscheid behauptet wird. Da die Beschwerdegegnerin für die Osteopathiebehandlung bereits mangels adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Einwirken während des Dienstes (Knalltrauma) und dem Tinnitus nicht aufzukommen hat, ist auf die Frage nach der Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit dieser Behandlungsmethode bei Tinnitus nicht weiter einzugehen.

6. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerdegegnerin den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem im Jahr 1980 erlittenen Knalltrauma und dem am 21. November 2011 angemeldeten Tinnitus zu Recht verneint hat. Die Militärversicherung ist im Zusammenhang mit dem Tinnitus nicht leistungspflichtig. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie abzuweisen ist.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 31. Januar 2014 S 2013 154

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