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Art. 2 Abs. 5 AVE GAV FAR
Art. 4 ATSV; Art. 43 Abs. 1 ATSG
Art. 6 MVG
Art. 8 Abs. 1 lit. c und f AVIG; Art. 21 Abs. 1 AVIV; Art. 27 ATSG

Art. 8 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 IVG

Regeste:

Art. 8 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 IVG – Kein  Anspruch auf  Umschulung zur Naturheilpraktikerin tibetische Heilkunde; das Erfordernis der Gleichwertigkeit verlangt insbesondere, dass bei Berufen mit tiefen Löhnen, neben den aktuellen Verdienstmöglichkeiten im Rahmen einer Prognose weitere Faktoren wie etwa die Lohnentwicklung mitberücksichtigt wird. Erweist sich ein dauerhaftes und mittelfristig leistungsrelevant ansteigendes Einkommen aus der Tätigkeit als Naturheilpraktikerin tibetische Heilkunde als nicht überwiegend wahrscheinlich, so fehlt es dem angestrebten Beruf an der wirtschaftlichen Verwertbarkeit und es ist ihm auch die Gleichwertigkeit im Vergleich zur bzw. zu den erlernten Tätigkeiten abzusprechen.

Aus dem Sachverhalt:

Die Versicherte W., Jahrgang 1984, diplomierte Pflegefachfrau im Bereich der Psychiatrie, meldete sich im September 2011 bei der IV-Stelle des Kantons Zug zur Früherfassung, im Oktober 2011 zum Leistungsbezug (berufliche Integration / Rente) an. Zur Begründung wurde auf eine Depression als Folge völliger Überlastung am Arbeitsplatz, verbunden mit schwerer Affektlabilität und starker Selbstwerteinbusse, verwiesen. In Erwerblicher Hinsicht den Akten zu entnehmen sind unter anderem ein «Certificat de Spécialisation en Maquillage Beauté», ausgestellt am 31. Juli 2000 in Paris, ein in Zürich und nach erfolgreichem Besuch des Instituts Minerva ausgefertigtes Bürofachdiplom VSH Vollzeitausbildung (Verband Schweizerischer Handelsschulen) vom 28. September 2001, ein «First Certificate in English», Grade B der University of Cambridge, ausgestellt im März 2001 in Zürich sowie das Diplom als «diplomierte Pflegefachfrau HF», ausgestellt am 22. Februar 2008 in der Berufsschule für Gesundheits- und Krankenpflege Südhalde, Zürich. Weiter enthalten die Akten Belege dafür, dass die Versicherte mehrere Weiterbildungen im Zusammenhang mit der Betreuung von Patienten der Psychiatrie absolvierte, dass ihre letzte ordentliche Arbeitsstelle im Wohnheim E. in S. war und dass sie ab Dezember 2010 zu 100% krankgeschrieben war. Gleichwohl konnte sie von Oktober 2011 bis April 2012 im Sinne eines Arbeitsversuchs ein befristetes Arbeitsverhältnis im Pensum von ca. 30 bzw. 40% im Sekretariat der reformierten Kirchgemeinde X bewältigen. Die IV-Stelle eröffnete ihr mit Mitteilung vom 27. Februar 2012, sie habe Anspruch auf Berufsberatung sowie Abklärung der beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten. Infolge eines durch die IV-Stelle in Auftrag gegebenen psychiatrischen Gutachtens von Dr. I. vom 3. Juli 2012 und der Diagnose «Borderline-Störung» ergab sich, dass eine Rückkehr in den Beruf der Pflegefachfrau im Bereich Psychiatrie nicht mehr in Frage kommt. Mit Mitteilung vom 26. November 2012 wurde der Versicherten Kostengutsprache für ein Aufbautraining, gleichzeitig die Kostenübernahme für eine berufliche Abklärung, alles in der IG-Arbeit, Berufsförderungskurs, gewährt und die Ausrichtung eines Taggeldes verfügt. Nach weiteren Abklärungen durch die IV-Berufsberatung sowie nach einem psychiatrischen Konsilium durch RAD-Psychiater M. teilte die IV-Stelle der Versicherten mit Vorbescheid vom 12. Juni bzw. mit Verfügung vom 12. September 2013 mit, das Leistungsbegehren für eine Umschulung zur diplomierten Naturheilpraktikerin tibetische Heilkunde werde abgelehnt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, da die Tätigkeit als Pflegerin im Bereich der Psychiatrie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als möglich erscheine, könnte der Anspruch auf Umschulung – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – grundsätzlich bejaht werden und aus medizinischer Sicht stehe dem neuen Berufswunsch auch nichts entgegen. Nicht zutreffend sei, dass der Versicherten aus medizinischer Sicht jede andere Tätigkeit im Pflegeberuf nicht mehr zuzumuten sei. Seitens der IV vertrete man die Meinung, dass die Versicherte als Pflegefachfrau DN II ausserhalb der Psychiatrie, aber auch in der Administration zu 100% arbeitsfähig wäre. Die IV könnte Kurse finanzieren, damit sich die Versicherte fachspezifisch qualifizieren könne. Man erachte nämlich auch die Möglichkeit, mit der Umschulung zur Naturheilpraktikerin tibetische Heilkunde ein den Anforderungen genügendes gleichwertiges Einkommen zu erzielen, als nicht gegeben. Es fehle folglich an der Wirtschaftlichkeit, aber auch an der Verhältnismässigkeit.

Aus den Erwägungen:

(...)

3.
3.1 Nach Art. 8 Abs. 1 IVG haben Invalide oder von einer Invalidität bedrohte Versicherte Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit diese notwendig und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, wieder herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern und die Voraussetzungen für den Anspruch auf die einzelnen Massnahmen erfüllt sind. Der Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen besteht unabhängig von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vor Eintritt der Invalidität. Bei der Festlegung der Massnahmen ist die gesamte noch zu erwartende Dauer des Erwerbslebens zu berücksichtigen (Art. 8 Abs. 1bis IVG). Als Invalidität gilt die durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 ATSG).

3.2
3.2.1 Gemäss Art. 17 Abs. 1 IVG hat der Versicherte Anspruch auf Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit, wenn die Umschulung infolge Invalidität notwendig ist und dadurch die Erwerbsfähigkeit voraussichtlich erhalten oder verbessert werden kann. Dabei handelt es sich um eine Naturalleistung – nur Ausnahmsweise um reine Geldleistungen –, die in der Regel nicht durch die Organe der IV erbracht wird. Die Leistungen sollen im Rahmen eines Eingliederungsplanes erfolgen, der prognostisch Gewähr bietet, dass die Wiedereingliederung erreicht wird. Erste Anspruchsvoraussetzung ist eine spezifische Invalidität, eine bleibende und für längere Zeit andauernde Erwerbseinbusse von ca. 20%. Diese Richtgrösse von 20% sah das Bundesgericht allerdings auch schon bei einem Invaliditätsgrad von 18.52% als erfüllt, wobei allfällige Soziallöhne bei der Feststellung der Erwerbseinbusse auszuklammern sind. Ein zwingender Zusammenhang zwischen Sonderschulung und Umschulung besteht nach dem geltenden Recht nicht. Sodann sind auch ungelernte grundsätzlich umschulungsberechtigt. Auch das Verschwinden eines Berufs kann – die übrigen Anspruchsvoraussetzungen vorausgesetzt – zur Umschulung führen. Zum Begriff der Umschulung hält die Praxis fest, Umschulung sei grundsätzlich die Summe der Ein-gliederungsmassnahmen berufsbildender Art, die notwendig und geeignet seien, um dem vor Eintritt der Invalidität bereits erwerbstätig gewesenen Versicherten eine seiner früheren Erwerbsmöglichkeit annähernd gleichwertige Tätigkeit zu vermitteln. Dabei bezieht sich der Begriff der «annähernden Gleichwertigkeit» nicht in erster Linie auf das Ausbildungsniveau als solches, sondern auf die nach erfolgter Eingliederung zu erwartenden Verdienstmöglichkeiten. Das Erfordernis der Gleichwertigkeit begrenzt den Umschulungsanspruch «nach oben», steht dem Anstreben eines bescheideneren beruflichen Ziels hingegen nicht entgegen. Jedenfalls ist es nicht Aufgabe der IV, einen behinderten Versicherten in eine bessere beruflich-erwerbliche Stellung zu führen, als er sie vorher innehatte. Die Ausnahme von dieser Regel ist dann gegeben, wenn Art und Schwere des Gesundheitsschadens bzw. deren beruflichen Auswirkungen so schwer wiegen, dass nur eine im Vergleich zur bisherigen Tätigkeit anspruchsvollere Ausbildung zu einer optimalen Verwertung der Arbeitsfähigkeit führt, allerdings auf einer höheren Berufsstufe. Primär entscheidend sind sodann die Verhältnisse im Zeitpunkt des Invaliditätseintritts. Gleichwohl ist der künftigen Einkommensentwicklung Beachtung zu schenken. Nebst dem Aspekt der Verdienstmöglichkeit ist auch der qualitative Stellenwert der beiden zu vergleichenden Berufe zu beachten. Denn die annähernde Gleichwertigkeit der Erwerbsmöglichkeiten in der alten und der neuen Tätigkeit auf weitere Sicht dürfte nur dann zu verwirklichen sein, wenn auch die beiden Ausbildungen einen einigermassen vergleichbaren Wert aufweisen resp. wenn eine in etwa gleichwertige berufliche Weiterentwicklung gewährt wird. So kann beispielsweise die unqualifizierte Hilfsarbeit im Vergleich zum erlernten Beruf als Automonteur nicht als annähernd gleichwertig bezeichnet werden, obschon sich aus dem Einkommensvergleich eine Verdiensteinbusse ergibt, die klar unter der Erheblichkeitsschwelle von ca. 20% liegt. Entsprechend dürfen die grösseren konjunkturellen Risiken bei Hilfsarbeiten sowie die besseren erwerblichen Aussichten im angestammten Beruf namentlich bei jüngeren Versicherten mit einer beträchtlichen verbleibenden Arbeitsdauer nicht ausser Acht gelassen werden. Wie eingangs angesprochen, besteht in der Regel nur ein Anspruch auf die dem jeweiligen Eingliederungszweck angemessenen, notwendigen Massnahmen, nicht aber auf die nach den gegebenen Umständen bestmöglichen Vorkehren, ist doch Eingliederung nach dem Willen des Gesetzgebers nur so weit sicherzustellen, als dies im Einzelfall notwendig, aber auch genügend ist (vgl. Ulrich Meyer, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, 2. Auflage, Zürich 2010, S. 190 ff., mit weiteren Hinweisen).

3.2.2 Bejaht wurde der Umschulungsanspruch vom Radio- und Fernsehelektriker zum Damencoiffeur; vom Maurer zum Maltherapeuten; vom kaufmännischen Ange-stellten zum Sozialarbeiter; vom gelernten, selbständigen Steinhauer zum bildenden Künstler im Rahmen der Schule für Gestaltung; vom Servicemonteur (Klima-, Lüftungs- und Kältetechnik) zum technischen Kaufmann; vom Flachmaler zum Kameramann; vom Landschaftsgärtner zum Orthopädisten; vom Polier zum Naturheilpraktiker; vom Bäcker/ Konditor zum Konserven- und Tiefkühltechnologen und schliesslich vom Landwirt zum Agrotechniker. Demgegenüber verneinte das Bundesgericht den Anspruch auf Umschulung für einen Maurer, der Berufspilot werden wollte; für einen Maurer, der ein internationales Managementdiplom anstrebte; für eine in einer Tagesschule tätige, gelernte Nurse, die Matura und Studium absolvieren wollte; für einen als Magaziner tätigen, gelernten Maler mit einem Minderverdienst von 17%, der technischer Kaufmann werden wollte; für den Wechsel vom Primar- zum Sekundarlehrer; für den Maler, der mit 58 noch in einen kaufmännischen Beruf wechseln wollte; zu guter Letzt mangels aktueller oder unmittelbar drohender Invalidität für einen Landwirt, der lieber Heizungsmonteur sein wollte (vgl. Ulrich Meyer, a.a.O., S. 198 f.).

3.2.3 Im Entscheid BGE 122 V 77 Erw. 3 hielt das Bundesgericht im Falle einer an Depressionen leidenden Psychiatrieschwester, die sich zur Damenschneiderin umschulen lassen wollte, fest, verlangt werde, dass die Umschulung eine dem bisherigen Beruf annähernd gleichwertige Ausbildung gewähre. Entscheidend für die Gleichwertigkeit sei in erster Linie die zu erwartende Verdienstmöglichkeit. Führe die Umschulung den Versicherten zu einem (lohnmässig) bescheideneren Ziel, werde erwartet, dass der zu erwartende Teilerfolg (der Eingliederung) noch als genügend eingliederungswirksam bezeichnet werden könne. Die beabsichtigte Umschulung in einen minderbezahlten Beruf müsse folglich zu einer dauerhaften und wesentlichen Verbesserung der Erwerbsmöglichkeit führen. Was dies ziffernmässig bedeute, habe die Rechtsprechung noch nie entschieden. Während die Literatur verlange, dass die versicherte Person mindestens einen beachtlichen Teil der Unterhaltskosten aus dem erzielten Verdienst bestreiten können müsse, habe das Gericht im Entscheid 119 V 225 Erw. 5b ausgeführt, wenn das Einkommen den AHV-Mindestbeitrag für Nichterwerbstätige erreiche oder übersteige, sei rechtlich die Erheblichkeit erreicht. In casu könne die Frage offengelassen werden. Da die Versicherte im erlernten Beruf voll arbeitsunfähig sei, nach der Umschulung aber ein Einkommen von Fr. 37'000.– (im Vergleich zum früheren Verdienst von Fr. 62'800.–) erreichen und dieses den Rentenanspruch relevant verändern könne, sei die wesentliche Verbesserung vorliegend zu bejahen. In dem von der Beschwerdeführerin erwähnten Entscheid I 693/00 vom 7. Januar 2002 hielt das Bundesgericht im Falle einer psychisch angeschlagenen, zeitweilig suizidalen gelernten Hochbauzeichnerin, die die Matura nachholen und ein Medizinstudium beginnen wollte, in Bejahung des Umschulungsanspruchs unter anderem fest, die Belastungsfähigkeit wachse vorliegend, je mehr eine Arbeit der hohen Begabung der Versicherten entspreche und eine Lebensperspektive biete. Im Lichte dieser überzeugenden Einschätzung des Psychotherapeuten erscheine es als glaubhaft, dass die gesundheitlich bedingte Inkonstanz im bisherigen Erwerbsleben auf eine berufliche Unter- und nicht Überforderung zurückzuführen sei und durch eine Beschäftigung in einem anspruchsvolleren Umfeld gemindert werden könnte. Dies gelte selbst dann, wenn die Versicherte nach Abschluss der Ausbildung nicht uneingeschränkt erwerbstätig sein könnte (I 693/00 Erw. 4a).

3.3
3.3.1 Gestützt auf Art. 64a Abs. 1 lit. b IVG in der aktuellen Fassung kann das BSV den mit der Durchführung der Versicherung betrauten Stellen Weisungen für den einheitlichen Vollzug im Allgemeinen und im Einzelfall erteilen. Verwaltungsweisungen richten sich an die Durchführungsstellen und sind für das Sozialversicherungsgericht nicht verbindlich. Dieses soll sie bei seiner Entscheidung jedoch berücksichtigen, soweit sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Mithin weicht das Gericht nicht ohne triftigen Grund von Verwaltungsweisungen ab, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben darstellen. Insofern wird dem Bestreben der Verwaltung, durch interne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewährleisten, Rechnung getragen.

3.3.2 Das Kreisschreiben über die Eingliederungsmassnahmen beruflicher Art (KSBE), gültig ab 1. Januar 2013, handelt im 4. Teil die Umschulung ab, gibt in Rz. 4001 und 4002 den Begriff wieder und hält zum Aspekt der Gleichwertigkeit in Beachtung der Verdienstmöglichkeiten fest, damit hinreichend gewährleistet sei, dass sich das Erwerbseinkommen im neuen Beruf auf weitere Sicht ungefähr im gleichen Rahmen bewege wie im ursprünglichen, müssten im Allgemeinen auch die beiden Ausbildungen einen einigermassen vergleichbaren Wert aufweisen (KSBE Rz. 4002). An anderer Stelle wird ausgeführt, die Angewöhnungs- und Einführungszeit in Beschäftigungsstätten, die voraussichtlich zu keiner wirtschaftlich ausreichend verwertbaren Arbeitsleistung führe, falle nicht unter die Umschulung nach Art. 17 IVG (KSBE Rz. 4008). Selbiges gilt für Massnahmen der sozialberuflichen Rehabilitation wie Gewöhnung an den Arbeitsprozess, Aufbau der Arbeitsmotivation, Stabilisierung der Persönlichkeit, Einüben der sozialen Grundelemente mit dem primären Ziel, die Eingliederungsfähigkeit wieder herzustellen (KSBE Rz. 4009). Anspruchsvoraussetzungen nach Art. 17 IVG sind die drohende oder bereits eingetretene Invalidität, die die bisherige Tätigkeit verunmöglicht; das Bestehen einer Eingliederungsfähigkeit im Sinne der objektiven und subjektiven Möglichkeit, berufsbildende Massnahmen zu bestehen; und die Gleichwertigkeit der neuen Tätigkeit, die der Behinderung und den Fähigkeiten des Versicherten angepasst sein muss. Schliesslich muss die Ausbildung einfach und zweckmässig sein (KSBE Rz. 4010). Randziffer 4011 umschreibt den spezifischen Invaliditätsgrad von ca. 20%. Gewährt eine Umschulung für die erste Zeit nach Abschluss einen geringeren Verdienst, ist aber ein erhebliches Lohnwachstum zu erwarten, widerspricht dies dem Gebot der Gleichwertigkeit nicht (KSBE Rz. 4012). Sodann wird an anderer Stelle festgehalten, wenn eine versicherte Person bereits in zureichender und zumutbarer Weise eingegliedert sei bzw. die Möglichkeit bestehe, dass sie ohne zusätzliche Ausbildung vermittelt werden könne, bestehe kein Anspruch auf Umschulung (KSBE Rz. 4013). Im Zusammenhang mit dem Verhältnismässigkeitsgebot ist auch die noch zu erwartende Arbeitsdauer ent-sprechend zu berücksichtigen (KSBE Rz. 4014). Ein Anspruch auf Umschulung gewährt grundsätzlich nur die zur Eingliederung im Erwerbsleben unmittelbar erforderlichen, nicht die bestmöglichen Vorkehren (KSBE Rz. 4015). Die Umschulung muss geeignet sein, die Erwerbsfähigkeit – oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen – zu beeinflussen, so dass eine drohende Invalidität abgewendet bzw. eine bereits bestehende verbessert werden kann (KSBE Rz. 4016). Eine nur vorübergehende Berufsumstellung gibt keinen Anspruch auf Umschulung (KSBE Rz. 4017). Ist eine versicherte Person auf eine Tätigkeit umgeschult worden, die ihr längerfristig kein angemessenes Einkommen ermöglicht, wobei zusätzliche Massnahmen ein solches möglich machten, so besteht Anspruch auf diese zusätzlichen Massnahmen (KSBE Rz. 4018). Hat eine versicherte Person eine Umschulung auf eine Tätigkeit erhalten, die es auf dem Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr gibt, kann sich der Anspruch auf eine weitere Umschulung ergeben (KSBE Rz. 4019). Wählt eine versicherte Person eine ausgefallene berufliche Ausbildung, die auf dem Stellenmarkt nur schwerlich zu einer Eingliederung führt, so hat sie das Risiko selber zu tragen und der Anspruch ist zu verneinen (KSBE Rz. 4020). Zu den Arten der Umschulung gehören: eine Ausbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis, mit eidgenössischem Berufsattest oder eine Anlehre nach kantonalem Recht, der Besuch einer Maturitäts-, Fach- oder Hochschule, von Berufs- oder Fachkursen, die Vorbereitung auf eine eigentliche berufliche Massnahme, die Wiedereinschulung in den früheren Beruf, die Eingliederung oder Wiedereingliederung im Aufgabenbereich, oder die Vorbereitung auf eine Hilfsarbeit im ersten Arbeitsmarkt oder auf eine Tätigkeit in einer geschützten Werkstätte (KSBE Rz. 4021). Sodann erwähnt das Kreisschreiben die Ausbildungsdauer (KSBE Rz. 4022 f.), den Umfang der Leistungen, wobei grundsätzlich alle Kosten übernommen werden, die in direktem Zusammenhang mit der Umschulungsmassnahme stehen und den Kriterien der Einfachheit, Zweckmässigkeit und Gleichwertigkeit entsprechen (KSBE Rz. 4024 ff.) sowie die Kostentragung (KSBE Rz. 4028 ff.).

(...)

5. Diese Akten und Fakten sind nun nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu würdigen.

5.1
5.1.1 Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob die Ausbildung zur Naturheilpraktikerin tibetische Medizin für die Beschwerdeführerin als geeignet erscheint resp. ob sie mit den bisherigen Ausbildungen nicht bereits als ausreichend eingegliedert gelten dürfte. Diesbezüglich ist vorab zu prüfen, ob eine Tätigkeit im Pflegeberuf der Beschwerdeführerin überhaupt noch zuzumuten ist, auch wenn es sich dabei nicht um Psychiatriepflege handelt. Wie bereits mehrfach angesprochen, kommt eine Tätigkeit als Psychiatriepflegerin für die Beschwerdeführerin nicht mehr in Frage. Die involvierten Ärzte sehen das Problem in der Persönlichkeitsstruktur der Beschwerdeführerin, welche an den letzten Stellen am Problem der Abgrenzung gegenüber den Patienten und dem Team gescheitert sei. Während Dr. I. das Abgrenzungsproblem nicht nur auf den Pflegeberuf reduziert sieht und deshalb zu einem gut strukturierten Arbeitsplatz ohne engen Kontakt zu Mitarbeitenden und Klienten rät, differenziert der behandelnde Psychiater, S., zwischen der wenig geeigneten Tätigkeit im Pflegeberuf generell und der ungeeigneten Tätigkeit im Beruf einer Psychiatriepflegerin. Er erwähnt diesbezüglich, eine Pflegerin müsse doch immer wieder zwischen den Patienten, dem Team, den Ärzten und den Angehörigen vermitteln, was die Abgrenzungsfähigkeit der Beschwerdeführerin überfordere. Hingegen erachtet er – auch aufgrund der Abneigung der Beschwerdeführerin gegen die Schulmedizin – ihr Anforderungsprofil als für eine Tätigkeit in der Komplementärmedizin viel günstiger, da die Gefahr, sich in komplexen gruppendynamischen Prozessen zu verlieren, viel kleiner sei. Während RAD-Psychiater M. von der Tätigkeit als Psychiatriepflegerin ebenfalls abrät, für eine Tätigkeit im Bereich der Komplementärmedizin aber kaum Probleme sieht, allerdings darauf hinweist, dass die Beschwerdeführerin auch im Bürobereich einsetzbar sei, hält Allgemeinpraktiker E. vom RAD-Zentralschweiz auch die Tätigkeit einer Naturheilpraktikerin als nicht ideal, da die Beschwerdeführerin auch hier mit Patienten bzw. Kunden umzugehen habe und sich folglich auch hier Abgrenzungsprobleme stellten.

5.1.2 Dass eine Tätigkeit im Bereich der Psychiatriepflege für die Beschwerdeführerin nicht mehr in Frage komme, darin stimmen sämtliche Ärzte überein. Gegen die Tätigkeit als Pflegefachfrau ausserhalb der Psychiatrie spricht alsdann aber nicht mehr als gegen jede andere Tätigkeit in einem Team und verbunden mit der Möglichkeit, sich mit Vorgesetzten, Mitarbeitern und/ oder Klienten auseinandersetzen, sich gegen diese abgrenzen zu müssen. Entsprechende Probleme könnten sich in-des auch ausserhalb des Pflegebereichs, ausserhalb medizinischer Berufe ergeben, selbst im Bürobereich. Demzufolge birgt – jedenfalls ausserhalb der Psychiatrie – nicht der Beruf an sich, sondern das berufliche Umfeld, die Ausgestaltung des Arbeitsplatzes die Probleme, die die Beschwerdeführerin überfordern könnten. Allerdings wollte sich offensichtlich keiner der involvierten Ärzte insofern festlegen, als er erklärt hätte, für die Beschwerdeführerin komme nur eine selbständige Tätigkeit, alleine und ohne Mitarbeiter, in Frage. Dies bedacht, verlangen die gesundheitlichen Probleme, vorausgesetzt der Bereich der Psychiatrie bleibt tabu, keine gänzliche Abkehr vom Pflegeberuf oder von einer Tätigkeit in der Administration – letzteres wurde bis dato auch nicht geltend gemacht –, sondern vielmehr eine sehr sorgfältige Auswahl des richtigen Arbeitsumfeldes. Entsprechend bieten die bereits absolvierten Ausbildungen zur diplomierten Pflegefachfrau Niveau II bzw. zur diplomierten Bürofachfrau an sich eine ausreichende Grundlage für eine Reintegration in den Arbeitsprozess, auch ohne Umschulung. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin auch als Naturheilpraktikerin tibetische Heilkunde mit Klienten resp. Patienten Umgang pflegen muss, aus wirtschaftlichen Gründen überdies allenfalls nebenher einer Tätigkeit in einem Büro, in einem Gesundheitszentrum, einem Wellnesszentrum oder einer Gemeinschaftspraxis nachgehen müsste, dort aber auch in ein Team integriert werden müsste, lässt sodann annehmen, dass auch der ins Auge gefasste Beruf bzw. die in diesem Zusammenhang auszuübenden Tätigkeiten durchaus Konfliktpotential haben dürften, dass folglich wiederum Abgrenzungsprobleme auftreten könnten. Damit erweist sich auch die angestrebte Tätigkeit aus medizinischer Sicht, wie jedenfalls RAD-Arzt E. zu bedenken gab, als nicht völlig unproblematisch. Dass die Beschwerdeführerin für die neue Tätigkeit viel Motivation mitbringt, hingegen starke Vorbehalte gegen die Schulmedizin hegt, führt nicht zu einer anderen Sacheinschätzung.

5.2
5.2.1 Wie in Erwägung 3 ff. ausgeführt, ist Voraussetzung für den Anspruch auf Umschulung im Sinne von Art. 17 IVG eine drohende oder bereits eingetretene Invalidität, die die bisherige Tätigkeit verunmöglicht, das Bestehen einer Eingliederungsfähigkeit im Sinne der objektiven und subjektiven Möglichkeit, berufsbildende Massnahmen zu bestehen, sowie die Gleichwertigkeit der neuen Tätigkeit, die der Behinderung und den Fähigkeiten der versicherten Person angepasst sein sollte. Zum Aspekt der Gleichwertigkeit besagt die Verwaltungspraxis – die unter anderem im Kreisschreiben über die Eingliederungsmassnahmen (KSBE) zum Ausdruck kommt –, eine Gleichwertigkeit der angestrebten Tätigkeit dürfe auch dann bejaht werden, wenn die Umschulung für die erste Zeit nach Abschluss der Ausbildung zwar einen geringeren Verdienst gewähre, indes ein erhebliches Lohnwachstum zu erwarten sei. Wähle eine versicherte Person allerdings eine ausgefallene berufliche Ausbildung, die auf dem Stellenmarkt nur schwerlich zu einer Eingliederung führe, so habe sie dieses Risiko selber zu tragen, was zur Ablehnung der Umschulungsanspruchs führe. Im Falle der an Depressionen leidenden Psychiatrieschwester, die sich zur Damenschneiderin umschulen lassen wollte, bejahte das Bundesgericht eine noch genügende Eingliederungswirksamkeit. Zwar liege das als Schneiderin zu erwartende Anfangsgehalt mit Fr. 37'000.– deutlich unter dem früheren Gehalt von Fr. 62'800.–. Indes dürfe erwartet werden, dass sich das Gehalt in renten- bzw. leistungsrelevanter Weise verändern werde, weshalb, wie von Lehre und Praxis gefordert, vorliegend von einer dauerhaften und wesentlichen Verbesserung der Erwerbsmöglichkeit ausgegangen werden dürfe (BGE 122 V 77 Erw. 3).

5.2.2 Zwar könnte in Würdigung der Ausführungen unter Erwägung 5.1 die Frage aufgeworfen werden, ob vorliegend wirklich von einer drohenden oder bereits eingetretenen Invalidität gesprochen werden kann, zumal die erworbenen Berufsdiplome als Pflegefachfrau und für den Bürobereich nicht einfach nicht mehr verwertet werden können. Darauf ist angesichts dessen, dass die Beschwerdegegnerin einen grundsätzlichen Umschulungsanspruch vorbehältlich der Anspruchsvoraussetzungen anerkennt, aber auch unter Verweis auf das obig Gesagte hier allerdings nicht näher einzutreten. Fakt ist indes, dass der Beschwerdeführerin die Eingliederungsfähigkeit nicht abgesprochen werden kann. Nicht abzusprechen ist ihr auch, dass der angestrebte Beruf ihren Interessen wie ihren Fähigkeiten durchaus entspricht. Ob er als ihrer Behinderung angepasst beurteilt werden kann, darf unter Verweis auf die abschliessenden Bemerkungen in Erwägung 5.1.2 ebenfalls offen gelassen werden. Zur Gleichwertigkeit ist nun aber insbesondere zu bedenken, dass der angestrebte Beruf aufgrund seiner Ausgefallenheit jedenfalls derzeit auf dem Arbeitsmarkt nicht nachgefragt ist, was die Beschwerdeführerin wohl zwingen wird, ihn als selbständig Erwerbende auszuüben, daneben aber, wie sie selbst der IV-Stelle gegenüber einräumte, einer zweiten Tätigkeit nachzugehen, um den Lebensunterhalt fristen zu können. Dass für den Beruf einer Naturheilpraktikerin für tibetische Heilkunde nach einem anfänglich sehr geringen Verdienst überwiegend wahrscheinlich ein erhebliches Einkommenswachstum zu erwarten ist, so dass schliesslich im Sinne von Lehre und Praxis von einer dauerhaften und wesentlichen Verbesserung der Erwerbsmöglichkeit gesprochen werden kann, lässt sich sicherlich nicht sagen und die Belege von Naturheilpraktikerin R. bieten hierfür auch keinen verwertbaren Beweis, zumal Frau R. in einer etwas anderen beruflichen Stellung steht, da sie neben der therapeutischen Tätigkeit auch noch in diesem Fach unterrichtet. Erweist sich ein dauerhaftes und mittelfristig leistungsrelevant ansteigendes Einkommen aus der Tätigkeit als Naturheilpraktikerin tibetische Heilkunde aber als nicht überwiegend wahrscheinlich, so fehlt es dem angestrebten Beruf an der wirtschaftlichen Verwertbarkeit und es ist ihm auch die Gleichwertigkeit im Vergleich zur bzw. zu den erlernten Tätigkeiten abzusprechen. Damit erweist sich die beantragte Umschulungsmassnahme als nicht wirtschaftlich. Zum Aspekt der Verhältnismässigkeit ist nach Ansicht des Gerichts überdies zu bedenken, dass nebst den Ausbildungskosten in der ungefähren Höhe von Fr. 36'000.– auch die Taggeldleistungen ins Gewicht fallen dürften und beim Vergleich mit den zu erwartenden erwerblichen Folgen entsprechend einzubeziehen sind, was auch gegen die Verhältnismässigkeit der beantragten Umschulung spricht.

6. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Beschwerdegegnerin den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Umschulung zur Naturheilpraktikerin tibetische Heilkunde zu Recht ablehnte. Abgesehen davon, dass die gesundheitliche Situation in casu weniger eine Umschulung, als vielmehr eine sorgfältige Auswahl eines angemessenen, günstigen beruflichen Umfelds verlangt hätte, die Beschwerdegegnerin in diesem Zusammenhang überdies Unterstützung beispielsweise mit Kursen etc. in Aussicht gestellt hatte, erweist sich auch das Kriterium der Wirtschaftlichkeit der Umschulungsmassnahme vorliegend als nicht gegeben. Jedenfalls muss die wirtschaftliche Verwertbarkeit des angestrebten Berufs als eher prekär qualifiziert werden und der neuen Tätigkeit ist entsprechend auch die von Lehre und Praxis geforderte Gleichwertigkeit klar abzusprechen. Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet und sie ist vollumfänglich abzuweisen.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 27. Februar 2014 S 2013 140

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